Nahrung ist ein Menschenrecht

Ernährung

„Recht auf Nahrung“ als neuen Anlauf gegen Hunger

Die Gründe für Hunger und Armut sind seit Jahrzehnten unverändert. Das Ziel, die Zahl der Hungernden bis 2015 zu halbieren, wird kaum noch gelingen und in den beiden letzten Jahren ist das Ausmaß an Hunger und Armut größer geworden. Jetzt soll das „Recht auf Nahrung“ Abhilfe schaffen. Zwei Tage lang konferierten Politik, NGOs und Wissenschaftler auf Einladung des Bundeslandwirtschaftsministeriums auf der siebten Berliner Konferenz „Policies against Hunger“ und verabschiedeten am Mittwoch, zum 60. Jahrestag der Menschenrechte, die Resolution „Food is a Human Right“.

Kernergebnisse
„Bisherige Politik hat versagt“. Der Kernsatz in der Resolution verdeutlicht wie ernst es den Teilnehmern ist, endlich das Problem von Hunger und Armut zu lösen. Gestiegene Lebensmittelpreise und die Finanzkrise verdeutlichen auf breiter Basis, wie drängend es ist, den mittlerweile 975 Millionen Hungernden eine Perspektive zu geben und neun Milliarden Menschen im Jahr 2050 ausgeglichene Ressourcennutzung zu garantieren. Die Hungerunruhen zu Beginn des Jahres haben gezeigt, wie fragil der soziale Frieden auf der Welt ist, wenn das Tun weniger auf die Wehrlosen wirkt.

Hausgärten
Hausgärten sind Agrarökosysteme, die nahe dem Wohnhaus liegen und auf engstem Raum Bäume, Sträucher, Hackfrüchte, Gräser und Kräuter beherbergen. Sie dienen nicht nur der Ernährung, sondern auch kulturellen Zwecken, wie beispielsweise die roten Samen der Bixa orellana für die farbliche Tätowierung bei traditionellen Festen im Amazonas. In Hausgärten werden immer neue Wildpflanzen für die Domestikation ausprobiert und Samen getauscht. Im Gegensatz zu Genbanken können sich die Pflanzen hier in der Natur weiterentwickeln und sind Schatzkammern der Vielfalt. Die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) fördert den Zugang zu Land, unterstützt die Bauern bei der Auswahl und Weiterentwicklung des Saatgutes und fördert Hausgärten gezielt in den Randgebieten von Schutzgebieten als Ausgleich für Nutzungseinschränkungen.

Seit 1996 drängt die Weltgemeinschaft, dem „Recht auf Nahrung“ mehr konkreten Inhalt zu geben. Die freiwilligen Richtlinien wurden 2004 von der FAO aufgenommen. Im Juli 2008 hat die High Level Task Force on the Global Food Crisis der Weltbank, der UN und des Währungsfonds einen Aktionsrahmen bestimmt, der zwar festlegt, dass Zugang zu Nahrung ein anerkanntes Menschenrecht ist, doch ist das den Nichtregierungsorganisationen zu wenig. Armin Paasch von FIAN bemängelt (1), dass die Menschen dieses Recht noch immer nicht einklagen können.
Das mag aber auch als Chance dienen, denn die Konferenz hat deutlich gemacht, dass das „Right to Food“ umfangreicher zu verstehen ist als ein Paragraf. Fünf Arbeitsgruppen haben an der Resolution gearbeitet.
Die Hälfte der in Hunger und Armut lebenden sind Kleinbauern und 20 Prozent landlose Landarbeiter. Um ihnen überhaupt ein Recht auf Nahrung zuzugestehen, müssen diese Menschen in die Lage versetzt werden, Ressourcen zu erschließen. Dazu zählen neben dem Zugang zu Land, auch Zugang zu Wasser, Krediten und Bildung.
Hunger kann, zweitens, nicht als illegal angesehen und verboten werden. Trotzdem braucht das Recht auf Nahrung einen Gesetzes- und Ordnungsrahmen, der indirekt über nationale Strategien der Ernährungssicherheit das Recht auf Nahrung gewährleistet. Besonderen Wert wird auf die Interaktion zwischen verschiedenen Akteuren gelegt. Dr. Christoph Kohlmeyer, Leiter des Referats Ländliche Entwicklung, Welternährung im Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit verdeutlicht, um was es dabei geht: Menschenrechtler, Ökonomen, Entwicklungshelfer und Umweltaktivisten kämpfen alle für sich. Auch Weltbank, FAO oder die Vereinten Nationen haben noch unterschiedliche Vorstellungen, was im Einzelnen durchgesetzt werden soll. Kohärenz ist das Zauberwort, das dem individuellen Recht auf Nahrung zu einem Universalitätsanspruch verhelfen soll, so dass es die verschiedenen Staaten anwenden können. Dazu müsse das international Recht auch in das nationale integriert werden. Das Recht auf Nahrung ist, so Gert Lindemann, Parlamentarischer Staatssekretär aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium, eine „Querschnittsaufgabe“.
Letztlich fasst der Begriff „gute Regierungsführung“ die sozialen und ethischen Motive zusammen, dass ein Staat seinen Menschen die Möglichkeit gibt, sich ausgewogen selbst ernähren zu können. Jürgen Schröder, Mitglied des Europäischen Parlaments führt ausdrücklich an, dass auch die europäischen Länder mit der „guten Regierungsführung“ adressiert sein wollen. Das Thema ist nicht nur entwicklungspolitisch-, handels- oder umweltpolitisch zu sehen. Auch in Europa ist das Thema „Recht auf Nahrung“ gar keines. Das Wissen darüber müsse in der Bevölkerung vermehrt werden, damit das Recht auf Nahrung in den Entwicklungsländern erfolgreich verlaufen kann.

Gefahren für das Recht auf Nahrung
Am deutlichsten wird das Recht auf Nahrung, wenn Prof. Olivier de Schutter, Sonderberichterstatter der UN, die Gefahren für das Recht beschreibt.
Eine Gefahr bestehe darin, dass die Meinung vorherrsche, wegen der künftigen neun Milliarden Menschen noch viel mehr Nahrung auf industrieller Basis produzieren zu müssen. Das sei ein falscher Weg: „Familienbetriebe können die Welt ernähren“, so Schutter. Der Anbau von Exportfrüchten konkurriere in den Ländern mit den indigenen Bauern um Ressourcen. Hier besteht die Gefahr, dass es zu einem Ungleichgewicht kommt, das den Hungernden die Ernährungssouveränität raubt. In dem Zusammenhang sieht Schutter auch privates Investment als kritisch an. Es marginalisiert die staatliche Hilfe, die bei der Umsetzung des Recht auf Nahrung zuerst gefragt ist. Hier sieht Kohlmeyer eine Herausforderung, denn Monsanto, Saudi Arabien oder China in Asien geben auch vor, dass sie den Menschen ihre Ernährungssouveränität geben. Denen müsse man ebenso das Verständnis für das Recht auf Nahrung überhelfen, wie lokalen Regierungen.
Im Zusammenhang mit Auslandsinvestitionen, auch für den Bereich der Biomasse, sind Land und Wasser zu handelbaren Gütern geworden. Das verletzt das Recht auf Nahrung durch ungleiche Besitzverhältnisse, wie auch durch die Patentierung einheimischer Pflanzen und Tiere, so Schutter.
Alles was zu einer Landkonzentration und zu einer starken Produktionserhöhung führt, gefährde die Kleinbauern, fasst Schutter zusammen. So sind alleine in Brasilien zwischen November 2007 und Mai 2008 2,2 Millionen Hektar Land an ausländische Investoren gegangen, die in die nachwachsende Ölproduktion einsteigen.

Das Bundeslandwirtschaftsministerium
Alleine schon die Konferenzreihe „Policies against Hunger“ ist ein bedeutender Schritt des BMELV, einen Konsens zu forcieren und die nächsten Schritte aufzuzeigen. Es gab Kritik, dass Konferenzen und Gipfel in der Vergangenheit keine Fortschritte gebracht haben – aber ohne sie gibt es keine Konsensbildung. Auf der nächsten Grünen Woche wollen sich internationale Agrarminister erneut treffen und nach Auskunft von Lindemann ein Bekenntnis für die Integration des ländlichen Raums, ein Bekenntnis zum fairen Handel und eines zur nachhaltigen Landwirtschaft formulieren. Lindemann lässt keinen Keil zwischen dem BMELV und dem Entwicklungsministerium treiben. Es sei nicht richtig, dass sich das BMELV für die großen und das BMZ sich für die kleinen Betriebe einsetze. Die Umwidmung von 600 Millionen Euro Entwicklungshilfe in die Förderung regionaler Landwirtschaften sei bereits der richtige Weg. Auch werden bis 2013 die Exportsubventionen abgebaut sein.
Agrarministerin Ilse Aigner stellte fest, dass es im Kampf gegen den Hunger durchaus Fortschritte in einzelnen Ländern gegeben hat, die aber durch die Rückschritte in anderen Ländern wieder aufgebraucht werden. Sie zeigte sich zu Beginn der Konferenz zuversichtlich, dass die WTO-Verhandlungen noch in diesem Jahr zu einem Abschluss kämen. Auf der Basis des Positionspapiers des BMELV zur Welternährung fügte Aigner noch die folgenden Punkte an: Marginalisierte Flächen müssen zur Sicherung der Welternährung wieder reaktiviert werden, die Landflucht erschwere die Probleme, weil sie für die wachsende Zahl der Städter die Landbewirtschaftung intensiviere und das Recht auf Nahrung werde durch das Recht auf Bildung befestigt.
Kritik an Europa kam aus Brasilien, wo die Festlegung der Biokraftstoffquoten kritisch gesehen wird, da der Sog auf andere Märkte, viele Bemühungen im Kampf für das Recht auf Nahrung zunichte mache.

Erneuerbare Energien EU
In dieser Woche haben die Quoten für erneuerbare Energien mit dem Europaparlament eine wichtige Hürde genommen. 20 Prozent Anteil aus Wind, Wasser, Sonne und Biomasse bis zum Jahr 2020 sollen es werden. Jedes Land bekommt zudem ein verbindliches Ziel. Deutschland wird 18 Prozent der fossilen Energien ersetzen.

Gert Lindemann wagt aber einen Blick in die Zukunft: Europa ist dabei, die Überschussproduktion zurückzufahren und gewinne durch die „Gute Fachliche Praxis“ der Landbewirtschaftung Alternativen für die Bauern. Die Bioenergie solle die Chance bieten, keine Lebensmittel mehr für den Export anzubauen, sondern stattdessen die Eigenversorgung im Energiebereich sichern. Daher seine die hohen Ziele der EU nicht zwingend eine Gefahr für das Recht auf Nahrung.

Als kostbaren Wert erkennen
Natürlich hat die Konferenz keine neuen Ursachen definieren können, warum die Menschen arm sind und hungern. Das ist seit vielen Jahrzehnten bekannt. Doch nähert sich das Recht auf Nahrung in seiner komplexen Gestalt der eigentlichen Adresse: Die ist nicht das Bankkonto einer Entwicklungsorganisation. Sie ist auch nicht ein Solarradio für das Afrika südlich der Sahara oder einer Aufforstung im devastierten Norden Chinas. Die Adresse ist auch nicht ein Paragraf eines lokalen Gesetzbuches. Damit das Recht auf Nahrung nicht zu einem „zahnlosen Tiger“ wird, wie es Bärbel Dieckmann, die neue Chefin der Welthungerhilfe nannte, muss das Recht auf Nahrung in die Köpfe der Menschen und dort einen eigenen Wert erhalten.
Landesbischof der evangelischen Kirche in Baden-Württemberg, Dr. h. c. Frank Otfried July nannte es „die biblische Option“. Getreu dem Motto der nunmehr 50jährigen Aktion „Brot für die Welt“ „Es ist genug für alle da“, muss sich das Recht auf Nahrung vom karikativen Verständnis zu einem Diskussionspunkt auf Augenhöhe zwischen allen Beteiligten entwickeln. Das schließt das Werben für die Einsicht der Menschen ein, dass Leben so zu verändern, dass genug für alle da ist.

Das Internationale Forschungsinstitut für Ernährungspolitik (IFPRI) hat in diesem Jahr bereits zum dritten Mal den Welthungerindex veröffentlicht. Danach sind 33 Länder akut von Hunger bedroht.

Kleines Auto mit großer Wirkung
Der Tata, automobiler Winzling mit dem Zeug zum indischen Volkswagen wurde zunächst in Westbengalen gebaut. Dafür wurden in Singur 15.000 Menschen enteignet, die durch das Werk ihr fruchtbares Ackerland verloren, von dem zwei Ernten im Jahr möglich sind. Es gab nur eine kleine einmalige Entschädigung und keinen gleichwertigen Ersatz für das Land berichtete Dr. Ujjaini Halim von Fian aus Indien. Landarbeiter bekamen gar keine Entschädigung. Seit 2006 wurden 997 acres Land (rund 400 Hektar) eingezäunt und die „Volksbewegung von Singur“ versucht seitdem ihr Recht auf Nahrung durchzusetzen. Zwei ehemalige Landarbeiter, die in der Zwischenzeit einen versprochenen industriellen Arbeitsplatz bei Tata bekamen, seien jedoch verhungert.
Ende Oktober 2008 hat sich Tata aus dem Werk zurückgezogen, weil die Proteste auch gegen polizeiliche Gewalt immer stärker wurden. Damit ist der Fall aber nicht erledigt, denn die Bauern haben ihr fruchtbares Land noch nicht wieder zurück. Da Tata auch mit der italienischen Fiat zusammen arbeitet, haben die Menschen über die Klammer des recht auf Nahrung Protestaktionen in Turin erreicht. Zuletzt hat es eine öffentliche Anhörung in Singur mit mehr als 10.000 Menschen gegeben und die lokalen Politiker sind mittlerweile für das Thema sensibilisiert. Eine internationale Briefkampagne läuft noch bis zum 15. Januar 2009.
Mit Berufung auf das Recht auf Nahrung und Hinweisen, die Enteignung, die auf einem kolonialen Gesetzt von 1894 beruht, abzuschaffen, kommt den Nichtregierungsorganisationen eine bedeutende rolle zu. Das ist auch Konsens der Berliner Tagung gewesen.
Ob die Volksbewegung von Singur auch ohne das Recht auf Nahrung etwas bewirken könnte, ist müßig zu hinterfragen. Kohärenz der Beteiligten und politischer Wille Gehör zu leihen, ist aber eine Frage des allgemeinen Verständnisses. Und das über das Right to Food zu erreichen, ist die neue Dimension im Kampf gegen Hunger und Armut.

Lesestoff:
Folien und Dokumente werden auf der Internetseite www.policies-against-hunger.de veröffentlicht
1)Paasch, A. in: Right to Food, Quarterly, Vol.3 n2, 2008
Das Beispiel von Singur ist auf www.fian.org und www.fian.de fortlaufend dokumentiert.
Die GTZ führt das Sektorprojekt „People and Biodiversity in Rural Areas“, worunter auch das Thema Hausgärten fällt. www.gtz.de Den Welthungerindex gibt es bei www.welthungerhilfe.de
Die FAO hat eine virtuelle Bibliothek auf einer CD zum Thema Right to Food herausgebracht, auf der Informationen zur Implementierung des Rechts beschrieben sind. www.fao.org/righttofood
Alle Gesellschaften durchlaufen die gleichen Übergänge zur Industrialisierung und beim Ressourcenverbrauch
Die Welt braucht eine zweite Säule der Agrarpolitik.

Roland Krieg

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