peb-Forum Teil II

Ernährung

Auftaktveranstaltung „Besser essen – Mehr bewegen“

Das Auftaktforum „Besser essen. Mehr bewegen“ präsentierte alle 24 Gewinner aus der Bundesrepublik, die in den nächsten drei Jahren gefördert werden und aus über 450 Projekten im Mai dieses Jahres ausgesucht wurden. Die Initiativen zeigen die unterschiedlichsten Methoden, mit denen Übergewicht bei Kindern verhindert werden kann. So geht beispielsweise ein breites Netzwerk aus Wissenschaft, Wirtschaft, Behörden und Vereinen in Bremen an den Start und erreicht insgesamt 10.000 Kinder zwischen Null und 10 Jahren. Denn es geht bereits mit der Information an werdende Mütter los. Es werden „Lernorte für eine gesunde Ernährung“ aufgebaut und ein CitySpielHaus, dass dem Bewegungsdrang der Kinder nachgibt. Ein weiteres Teilprojekt versucht Wege und Räume zu beleben und veranstaltet Abenteuerradtouren für die ganze Familie. Das Bremer Projekt „kinder.leicht.gesund“ hat sich mit vier Handlungsfeldern die Stadtteile ausgesucht, die besonders benachteiligt sind.

Kindheitswissenschaften
Seit einem Jahr gibt es an der Fachhochschule Magdeburg-Stendal den „Wissenschaftscluster um das Kind herum“, warb Dr. Raimund Geene, der seit November 2005 diesen Studiengang um Kinderrechte und Kinderpolitik betreut. Niemals haben die Jungen mit 74 und Mädchen mit 80 Jahren eine von Beginn an so hohe durchschnittliche Lebenserwartung wie derzeit. Und trotzdem nimmt die Kinderarmut zu. Waren es 2002 noch 1,02 Millionen Kinder die in Deutschland in Armut leben, so sind es 2005 bereits 1,5 Millionen, die von der Sozialhilfe leben. Dr. Geene spricht von der Trias Fetternährung, Bewegungsmangel und mangelnde Stressbewältigung die sozial ungleich verteilt sind und zumeist die sozial schwachen Kinder betrifft. Als Erklärung führt er den Habitus an, dass soziale Standards auf das Gesundheitsverhalten abgebildet werden. Der Habitus bedingt die Gewohnheit und das Handeln – ich rauche, weil ich arm bin. Persönliche Hausbesuche von Betreuern, die individuelle Gesundheitsberatungen durchführen wollen, werden oft als diskriminierend abgelehnt. Dr. Geene hält es zwar für schwieriger, aber für nachhaltiger, wenn entsprechende Vorbilder zu einem Imagewechsel führen.

Hauptsache Spaß
Kinder haben jedoch das gleiche Problem wie Eltern. Und die vermitteln ihr Verhalten wiederum an ihren Nachwuchs. Prof. Dr. Volker Pudel, von der Ernährungspsychologischen Forschungsstelle der Universität Göttingen zeigte den Stellenwert des Essens innerhalb der deutschen Lusthierarchie, die eine Befragung ergeben hatte: An erster Stelle steht der „Urlaub“, dann folgen „Familie“, auf dem dritten Platz „Sex und Liebe“ und das „Gute Essen“ auf Platz vier. Ab dem 33. Lebensjahr rückt das „Gute Essen“ einen Platz nach vorne. Diese emotionale Bedeutung des Essens ist das Dilemma der Prävention. Einem Kind werden die „Zufallspädagogen Eltern“ den Trinkgenuss von Milch nicht dadurch schmackhafter machen, dass sie es ermahnen, später nicht an Osteoporose leiden zu müssen, wie die Oma. Die Belohung durch eine richtige Ernährung liegt zu weit in der Zukunft, als dass der momentane Genussverzicht darauf abgestimmt werden könnte. (Das Verhalten haben Bochumer Forscher auch bei Tauben zeigen können, die in begrenztem Umfang auf die größere Belohnung warten lernten; roRo).
Bereits im letzten Jahr ließ Kulturhistoriker Dr. Uwe Spiekermann, ebenfalls von der Universität Göttingen, bei der 11. Ernährungsfachtagung der DGE-MV kein gutes Haar an der modernen Ernährungsberatung: „Die Ernährungskommunikation ist defizitär und gescheitert, weil die Veränderungen in der gesellschaftlichen Wissenswelt nicht wahrgenommen werden.“ Auch Dr. Pudel sieht den Unterschied zwischen „Ernährung“ und „Essen“. Das letztere ist positiv besetzt, während beim dem ersten Wort, die Menschen beginnen, abzuwinken. Und das, obwohl die Erwachsenen und Kinder wissen, was ausgewogen und gesund ist.
Was also ist erfolgsversprechend, Kinder auf den richtigen Weg zu bringen? „Spaß“, sagt Dr. Pudel. Man müsse weniger auf die kognitiven Komponenten setzen und keine Kalorien zählen. Sein Geheimnis ist der Wandel von der Verhaltens- zur Verhältnisprävention, wie der Ernährungspsychologe am Beispiel des Straßenverkehrs erklärt: Die Zahl der Verkehrstoten ging von über 20.000 im Jahr in den 1960er auf heute unter 6.000 pro Jahr zurück. Nicht weil man das über die Vernunft geregelt hat, sondern überwiegend, weil man die Verhältnisse angepasst hat. Mit Leitplanken, mit technischer Ausstattung der Autos mit aktiven und passiven Sicherheitssystemen und Geschwindigkeitsbeschränkungen wurden die Verhältnisse rund um den Menschen so eingerichtet, dass die Anzahl der Verkehrstoten zurück ging. Dieses Prinzip könne auf das Essen und Trinken übertragen werden. „Man dürfe nicht immer nach dem Staat rufen, alles zu regeln.“ Man könne die Lust an der Bewegung fördern, Moden generieren, die „Fett ist out“ propagieren und auf positive Ideale setzen.

Wieder an die alte Leistungen anknüpfen
Neuste Forschungen aus dem Jahr 2006 haben nach Angaben Prof. Wabitsch gezeigt, dass bereits moderate Bewegung schon deutlich sichtbare Verbesserungen bei Blutdruck, Leberwerten und Blutzucker hervorruft und bezieht sich auf eine Studie die im Lancet 2006, 368, 299-304 veröffentlicht wurde.
In Köln haben hingegen nur noch 40 Prozent der Schulen drei Wochenstunden Schulsport. Das ist für Sportmedizinerin Dr. Dr. Christine Graf von der Sporthochschule Köln viel zu wenig. 1976 konnten Kinder in sechs Minuten noch eine Strecke von 1.024 Meter zurücklegen und 16,3 Liegestütze in 40 Sekunden vollführen. Ein Vergleich zwanzig Jahre später zeigte, dass die Kinder nur noch 876 Meter schafften und auf 12,4 Liegestütze kamen. Dabei ist es ihr wichtig, daran zu erinnern, dass auch die Eltern die Bewegungsfreiheit der Kinder einschränken. Kinder sind in ihrer Freizeit verplant, Spielplätze verdreckt und mit defekten Geräten versehen und auf den Straßen tummeln sich 45 Millionen Autos.
Dr. Graf stellt dabei die „Problemkinder, die sich schon nicht mehr bewegen“ in den Vordergrund. Betroffen sind in einer Art Teufelskreislauf immer die bereits übergewichtigen Kinder, die wenig Gelegenheiten haben, früh entgegenzusteuern.
Das war schließlich auch der Gründungstenor der Plattform Ernährung und Bewegung, die nach einem Jahr der inneren Entwicklung, bei der man sie fast wieder vergessen hätte, jetzt so richtig in Schwung zu kommen scheint. Vorstandsvorsitzender Prof. Dr. Erik Harms sagte auch, dass nicht alles nur durch Vorbilder geprägt sei, sondern, das die Genetik ebenso ihren Anteil am Übergewicht hat. „Es gibt zahlreiche Hotspots im Chromosomensatz, die mit Adipositas phänotypisch verbunden sind. Das allerdings sei kein Grund, sich hinter molekulargenetischen Analysen zurückzuziehen.“ Dr. Harms gibt den weiteren Weg vor: Die Therapie ist wegen des Ausmaßes keine Lösung. Sie sei zu teuer und zu wenig erfolgversprechend. Daher also schon die Prävention im Vorschulalter, denn mit den Kindertagesstätten erreiche man 90 Prozent aller Kinder in Deutschland.

Roland Krieg

[Der erste Teil beschrieb das Ausmaß der Altersdiabetes bei Kindern und die Aufgaben der Public Health. Der dritte Teil in dieser Woche gibt ein Gespräch von Herd-und-Hof mit Prof. Dr. Volker Pudel wieder]

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