Planet der Rinder

Ernährung

Proteinversorgung im 21. Jahrhundert

>Der Journalist Michael Miersch hat heute auf der Grünen Woche die Entwicklung der Nahrungsmittelversorgung gelobt. Bis 2050 wird sich die Zahl der Menschen noch einmal verdoppeln. Zur Zeit gibt es immer noch rund 840 Millionen unterernährte Menschen und daher "keinen Anlass, die Hände in den Schoss zu legen". Trotzdem hat die Nahrungsmittelversorgung in den beiden letzten Jahrzehnten um 60 Prozent zugelegt. Und die Hungernden sind vielfach fehlernährt, so Miersch. Gerade in den Schwellenländern können viele Menschen ihr bisheriges "Leben in Not" in ein "Leben in Wohlstand" tauschen. Der Mittelstand Indiens umfasst bereits genauso viele Menschen, wie der Mittelstand in ganz Europa. Das erste, was die Menschen mit beginnendem Wohlstand verändern, ist die Erhöhung des Fleischkonsums. Daher hat sich aus einer Tagung von vor zwei Jahren, die bei dem Spezial-Chemie Unternehmen Degussa stattgefunden hat, eine Idee entwickelt, den Proteinbedarf der künftigen Generationen in einem Buch darzustellen. Mierschs Mitautor Dirk Maxeiner sieht das Buch "Protein Population Politik" als Wissensvermittlung "gegen Hysterie" für aufgeklärte Menschen, das ohne vorgelagerten Skandal geschrieben ist. Vor allem ist es nicht nur aus deutscher Sicht geschrieben, sondern hat einen globalen Standpunkt eingenommen. Die deutschen Diskussionen über Lebensmittel seien in Umfang und Breite in den Schwellenländern nicht nachvollziehbar.

Intensivierung der Fleischproduktion
Zur Buchvorstellung hielt Prof. Dr. Josef Reichholf, Leiter der Wirbeltierabteilung der zoologischen Staatssammlung und Mitglied des Stiftungsrates des World Wildlife Fund (WWF) ein Einführungsreferat.
Bereits in der Bibel hebt der Satz "Das Fleisch (Lamm) war Gott gefälliger als Kains Korn" die tradierte Bedeutung des Fleischverzehrs heraus. Reichholf sieht die besondere Wertschätzung des Fleisches in der gegenüber dem Ackerbau 10-mal höheren Landnutzung begründet. Die 1,5 Milliarden Rinder weisen fast die doppelte Biomasse aller Menschen auf. Dazu kommen rund jeweils 1 Milliarde Schafe und Schweine, 700 Millionen Ziegen, 118 Millionen Pferde und 24 Millionen Kamele. Der Nahrungsbedarf aller Tiere ist etwa 10fach höher als für Menschen, weil die Tiere mit der Leistung von Milch und Fleisch höheren Bedarf haben.
Alle Haustiere kommen aus den gleichen Regionen wie die Nutzpflanzen. Es sind Regionen, die einen heißen und trockenen Sommer und kalte Winter haben. Das hat sie zum einen robust gemacht, spiegelt andererseits auch das Reservoir ihrer Anpassungsfähigkeit wieder. So entstanden vielfältige Zuchtformen und Rassen. Die Menschen haben die Tiere immer auf eine Überschussproduktion hin weiter gezüchtet. Milch und das Fleisch sind mehr, als die Tiere für sich brauchen.
Die Serengeti und einigen hochintensive "englischen Weiden" können 20 Tonnen Lebendgewicht an Tieren pro Quadratkilometer ernähren, ohne dass das Ökosystem Schaden nimmt. Das entspricht etwa 95 Huftieren pro qkm. In Vechta, einer sehr intensiv genutzten deutschen Landwirtschaftsregion, werden dagegen rund 1.760 Huftiere pro qkm gehalten. Hinzu kommen 22.500 Hühner und 152 Menschen. Alle diese Lebewesen können sich nicht mehr durch ein natürliches Weideland, wie es die Serengeti als Ursprungsregion des Menschen ist, ernähren. Woher kommen also welche Futtermittel und wohin müssen die Ausscheidungen in Form von Gülle und Jauche gebracht werden? Importiertes Futtergetreide "kompensiert" den Grasmangel. Gülle und Jauche, die in den 1970er Jahren den Festmist verdrängt haben, führen überschüssige Nährstoffe in den Boden, der mittlerweile auch überversorgt ist und Luft und Wasser verschmutzt.
International werden jährlich Flächen in der Größenordnung Australiens verbrannt, um ein neues Graswachstum für die Weidehaltung zu stimulieren. Das entspricht einem Energieäquivalent von rund 50 Millionen Steinkohleeinheiten. Deutschland verbraucht insgesamt 420 Millionen Steinkohleeinheiten pro Jahr. Das erhöht nicht nur die globale Erwärmung, sondern reduziert auch die biologische Vielfalt in den Tropen und Subtropen. Brasilien zeigt deutlich und beispielhaft, dass der Schwund an tropischen Regenwald für Rinderflächen und Exportsoja und nicht für menschlichen Besiedlungsraum verursacht wird. So tauscht Brasilien mit dieser Politik rund 1.000 Tonnen Waldbiomasse gegen jeweils eine magere Kuh von gerade einmal 350 kg Lebendgewicht.
Reichholf gab auch noch eine evolutionäre Betrachtung des menschlichen Fleischbedarfes wieder: Fett und Kohlehydrate sind die Betriebsstoffe des menschlichen Organismus, während das Protein für den eigentlichen Aufbau verantwortlich ist. Der Vergleich mit Schimpansen zeige, dass deren Population auf proteinarmen Flächen beschränkt ist, während der Mensch mit der Entwicklung und dem Verzehr proteinreicher Nahrung einen wichtigen Schritt machte. Die Fortpflanzungsrate hat sich verdoppelt und die Betreuungszeit für den Nachwuchs sei nur durch den "Proteinhunger" des Menschen erreicht worden.
So sieht Reichholf den Bedarf für Protein entwicklungsgeschichtlich begründet und einen Trend, der manchen Wünschen einfach widerspricht. Da die Landwirtschaft auch zu 80 Prozent für den Artenrückgang in Deutschland verantwortlich ist, weil immer mehr Grenzertragsstandorte genutzt werden, führe eine Intensivierung der Produktion, hier Tierproduktion, und die effizientere Verwertung durch Erhöhung des Wirkungsgrades zu einer Lösung der dargestellten Probleme. Die Aufforderung weniger Fleisch zu essen sei keine Lösung, weil es, selbst wenn es umgesetzt werden würde, nur eine regionale Lösung wäre. Der weltweite Trend bliebe unverändert.

Synthetisches Methion
Die Autoren und der Herausgeber Degussa waren bei der Buchvorstellung über die Inhalte sehr bedeckt. Allerdings ist es kein Geheimnis, dass gerade Degussa mit Feed Additives einen wachsenden Markt bearbeitet. Im vierten Quartal 2005 wird die Produktion der vierten Methionin-Anlage in Antwerpen beginnen. Es werden rund 380.000 Tonnen Jahreskapazität erwartet, wie Dr. Hubert Wennemer, Leiter des Geschäftsbereiches Food Additives der Degussa AG, gegenüber Herd-und-Hof.de bestätigte. Die Wachstumsrate für synthetische Aminosäuren, wie auch für Lysin, Tryptophan und Threonin liegen bei vier bis fünf Prozent. Das Investitionsvolumen für die Fabrik in Antwerpen beträgt 350 Millionen Euro. Der Gegenwert für ein Kilo Methionin etwa 2,20 Euro (s. auch Herd-und-Hof.de vom 11.06.2004).
Das Buch "Protein Population Politik" von Maxeiner und Miersch kostet ? 14,90, ist ab sofort im Buchhandel erhältlich (ISBN 3-937996-00-1) und wird sicherlich für einigen Gesprächsstoff sorgen. So bleib das Thema in der kurzen Diskussion auch nicht unwidersprochen, denn mit rund 150 Liter Wasserverbrauch pro Rind und Tag könne Süßwasserknappheit der Rinderproduktion auch ein ganz anderes Ende bereiten, so ein Teilnehmer.

roRo

[Sie können sich alle bisherigen Artikel zur Grünen Woche im Archiv mit dem Stichwort "IGW 2005" anzeigen lassen.]

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