Rollback der Argumente
Ernährung
Sikkim ist der grüne Traum
Sikkim ist der Traum der Ökobranche. Der indische Bundesstaat im Himalya zwischen Nepal, China und Bhutan ist mit 600.000 Einwohnern der kleinste Bundesstaat Indiens. Seit 2015 hat Sikkim seine komplette Landwirtschaft auf den Ökolandbau umgestellt. Ein Traum. Für die einen. Jede Familie wirtschaftet auf ein bis eineinhalb Hektar, sagte Renate Künast am Montagabend beim Digitalen Feierabend von Bündnis 90/Die Grünen zum Thema Ernährungssicherung. Der Bundesstaat, ist kleiner als Hamburg und ist in der Biobranche das leuchtende Beispiel „wie Bio geht“. 66.000 Bauern bewirtschaften 76.000 Hektar Land. Die Landwirtschaft nahm 2020 einen Anteil zehn Prozent am Bruttosozialprodukt ein. Die Nutztierhaltung hat daran einen Anteil von 13,6 Prozent. Die Zahlen des Ministeriums für Statistik und Programmumsetzung weisen zwischen dem Wirtschaftsjahr 2011/12 und 2019/20 fast eine Verdreifachung des Bruttosozialproduktes pro Kopf aus. Das dürfte aber aus dem Handwerk und vor allem dem Tourismus resultieren. Immerhin wächst Sikkim mehr als Indien insgesamt.
Ist aber Sikkim ein Beispiel für den Rest der Welt? Es ist richtig, dass auch ohne Krieg in der Ukraine viele Krisen neue Herausforderungen hervorrufen, die lange vernachlässigt wurden und dessen Implementierung nicht schnell genug geht. Putins Krieg setzt noch eine Aktualität obendrauf, die schwer mit den bisherigen Lösungen auszubalancieren ist [1]. „Wir müssen bei weitem mehr machen“, sagte Künast. Ein Verschieben der Klima- und Artenschutzprobleme mache alles nur noch schlimmer.
Wo ist die Ukraine?
„Wer weniger Klimaschutz fordert, rennt in die falsche Richtung“, ergänzte Deborah Düring, Sprecherin für Entwicklungspolitik. Nur: Das hat kaum einer gefordert. Die Nutzung der Brachflächen für die Futter- und Nahrungsmittelproduktion ist Konsens bei internationalen Organisationen [2]. Auch Düring fordert, mehr im Bereich der Ernährungssicherheit zu machen, aber kein „Rollback“ mit Auflösung der grünen Architektur. Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) ab 2023 müsse verschärft werden. Weltweit sei der Mangel an Nahrung ein Preis- und Verteil-, aber kein Mengenproblem.
Francisco Mari ist Referent für Welternährung, Agrarhandel und Meerespolitik bei „Brot für die Welt“. Die Ausweitung des Anbaus auf Brachflächen mache ihn nicht glücklich, wie er sagte. Alles was die Preise dämpfe, sei gut gegen eine wirkliche Mangelkrise im Herbst 2022. Brot für die Welt hat in der Vergangenheit erfolge mit lokalen Ernährungsprogrammen erzielen können.
Auch das ist alles richtig. Sie beschreiben aber den langfristigen Trend, der Transformation. Künast, Düring und Mari sind sich über die langfristigen Ziele einig. Doch hilft das nicht den Menschen in der Ukraine, wo Putins Armee gezielt Getreidelager zerstört und die Landwirte offenbar auf nur einem Drittel der geplanten Frühjahrsfläche säen können. Und dafür hatte das Trio kein Konzept.
Für diese Grünen gibt es nur die Welt von Ökolandbau und Agrarindustrie, ohne jegliche Abstriche.
Die alten Argumente
Für Künast und Co. findet der Krieg in der Ukraine nicht statt. Sie bauen an einer kleinstrukturierten Landwirtschaft, die zwar Lösungsoptionen für die Umwelt bietet, aber nicht auf einen Krieg vorbereitet sind. Man könne auch Weizen ohne Pflanzenschutz auf umgebrochenem Grünland anbauen, sagte Landwirt Siegfried Jäger, der auch dem Bayerischen Bauernverband angehört. Michael Häsch vom Landeverband der Bayerischen Geflügelwirtschaft bezeichnete die Diskussion als „scheinheilig“. Man könne aus der Öko- und der konventionellen Welt das Beste nutzen.
„Wir müssen uns die Lebensfrage stellen. Das gute Leben und das gute Essen müssen neu definiert werden“, sagte Künast. Dafür muss vor allem die Landwirtschaft geändert werden, sagte sie zu Herd-und-Hof.de, weil die Verbraucher ein gutes Vorbild für einen guten Lebensstil bekommen.
Grün ist nicht grün
Der Digitale Feierabend zeigte vor allem eines: Es gibt einen Graben innerhalb von Bündnis 90/Die Grünen. Während die einen auf den aktuellen Krieg mit langfristigen Umbauplänen im Agrarbereich reagieren, sprinten Annalena Baerbock und Robert Habeck mit harter Außenpolitik und einer Verlängerung der Kohlekraftwerke voraus. Baerbock und Habeck haben ihre grünen Ziele dabei nicht außer Acht gelassen, sondern Prioritäten gesetzt.
Lesestoff:
[1] Wie viele Krisen verträgt die Welt? https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/wie-viel-krisen-vertraegt-die-welt.html
[2] Nahrungsmittelhilfe für die Ukraine ohne die Ökoverbände? https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/der-einsame-rufer-oezdemir.html
Roland Krieg
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