Sarah Wiener nimmt technische Enzyme ins Visier
Ernährung
Europagrüne wollen technische Enzyme deklarieren
Enzyme sind Eiweiße mit wichtigen Eigenschaften in biologischen Prozessen. Sie wirken beispielsweise als Katalysator und beschleunigen die Verdauung von Lebensmitteln im Magen-Darmtrakt. Enzyme sind also natürlich. Allein das Bakterium E.coli besitzt für sein Überleben rund 500 dieser Moleküle. Lebensmittelexperten schätzen, dass es weltweit etwa 100.000 Enzyme gibt.
Große Vielfalt der Schlüssel-Moleküle
Die Vielfalt ist deshalb so groß, weil sie wie ein Schlüssel ganz spezifisch wirken und meist nur eine Reaktion auslösen, beschleunigen oder beenden. Und das ganz ohne Nebenwirkungen. Die Welt der Enzyme hat aber für den Menschen ein Problem: Es gibt sie nur in winzigen Mengen und die molekulare Struktur ist so kompliziert, dass sie kaum nachgebaut werden konnten. Dabei ist der Bedarf mit dem Anstieg von Lebensmitteln ebenfalls groß geworden.
Enzyme machen Milch dick, sie modifizieren Stärke, machen Brötchen knusprig oder klären Apfelsäfte. Der Blick auf die Lebensmittelregale regt die Frage an: Woher kommen all die Enzyme für die verarbeiteten Lebensmittel?
Klar aus dem Labor. Die Biotechnologie hat Hefen, Pilze und Mikroorganismen angeregt, mehr Enzyme herzustellen, die dann abgeschöpft und verwendet werden können. Diese Produktion hat für günstige technische Enzyme gesorgt, die damit keine Auswirkung auf die Lebensmittelpreise haben. 2016 lag nach Angaben von Transgen.de der globale Markt für technische Enzyme bei 2,1 Milliarden US-Dollar und sich in den fünf Jahren davor verdoppelt. Allerdings verteilt sich der Umsatz ungleichmäßig. Nur 19 Prozent entfallen auf Lebensmittel und Getränke, 13 Prozent auch auf Textilien und 38 Prozent auf die Waschmittelindustrie. Weltweit gibt es nur eine Handvoll Firmen, die technische Enzyme herstellen. Der mit 30 bis 40 Prozent Marktanteil größte Konzern ist der dänische „Novozyms“
Kein Wildwest
Das einheitliche Zulassungsverfahren wird in der Verordnung 1331/2008 (EG) festgehalten. Die Verordnung 1332/2008 (EG) über Lebensmittelenzyme schreibt vor: Enzyme, die verkauft und verwendet werden, müssen nach Zulassung auf einer EU-Liste stehen. „Zugelassene Enzyme dürfen nicht für die menschliche Gesundheit gefährlich sein oder den Verbraucher irreführen. Sie müssen der Erfüllung einer hinreichenden technologischen Notwendigkeit bei der Herstellung, Verarbeitung, Zubereitung, Behandlung, Verpackung, Beförderung oder Lagerung dienen.“ Und: „Für die Kennzeichnung von Enzymen gelten besondere Vorschriften, abhängig davon, ob sie für den Verkauf an die Öffentlichkeit bestimmt sind oder nicht.“ Das aber nur im Handel Business-to-Business.
Im Lebensmittel müssen sie nur gekennzeichnet werden, wenn sie im Endprodukt eine technologische Funktion erfüllen. Dabei ist es egal, ob die Enzyme biotechnologisch gewonnen sind oder nicht.
Komplizierte Rechtslage
Erst mit der EG-Verordnung wurde ein erster rechtlicher Rahmen für alle Länder geschaffen. Zuvor war es einzelnen Mitgliedsländern überlassen, wie sie was geregelt haben. Viel besser ist es aber auch nicht geworden. Nach dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) wurden Invertase (E 1103) und Lysozym (E 1105) als kennzeichnungspflichtige Lebensmittelzusatzstoffe klassifiziert. Darüber hinaus bestanden produktspezifische Regelungen für bestimmte Enzyme zur Verwendung in Wein (Urease, beta-Glucanase und Lysozym), für Lab und andere milchkoagulierende Enzyme bei der Käseproduktion sowie für einige Enzyme bei der Fruchtsaftherstellung.
Der umfangreichere Kennzeichnungswunsch zu Beginn des parlamentarischen Verfahrens fand in den beiden Verordnungen keine Berücksichtigung. In Deutschland regelt das Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) den Einsatz von Enzymen. An den Lesestellen sind meist von Regeln ausgenommen.
Risikobewertung
Mit den beiden EU-Vorschriften hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) die Risikobewertung übernommen und setzt auf den vorhandenen Bewertungen aus Dänemark und Frankreich auf. Das Bewertungsgremium wurde 2018 in „Gremium für Lebensmittelkontaktmaterialien, Enzyme und Verarbeitungshilfsstoffe“ umbenannt und liefert fleißig neue Daten. Alleine in diesem Jahr standen fünf Abschlussbewertungen für Lebensmittelenzyme an. Die bis heute letzte erfolgte am 19. Januar für „Alternansucrase“. Das Enzym wird auf natürlichem Weg eines Stammes aus dem Bakterium Leuconostoc citreum als Süßungsagens verwendet. Die EFSA-Bewertung sieht keine gesundheitliche Gefährdung vor.
Für Kennzeichnungspflicht
Die europäischen Grünen aus Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich und Portugal fordern in einer Anfrage von diesem Mittwoch an die EU-Kommission die Kennzeichnungspflicht für technische Enzyme. Hintergrund ist die steigende Verwendung der Enzyme in verarbeiteten Lebensmitteln, die lange Haltbarkeit, schnelle Zubereitung und Geschmacksverstärkung versprechen. Die Österreichische Abgeordnete Sarah Wiener begründet ihre Forderung: „Worüber aber viel zu wenig diskutiert wird, sind den Fertignahrungsmitteln zugesetzte technische Enzyme, die überwiegend von gentechnisch veränderten Organismen produziert werden und deren Wirkung auf die menschliche Gesundheit kaum erforscht ist. Zudem müssen sie nicht deklariert werden.“ Aktuell sind rund 250 Enzyme zugelassen.
Das größte Problem für Wiener ist, „dass niemand wissen kann, in welchem Fertigprodukt diese Stoffe vorkommen. Da technische Enzyme zu den Hilfsstoffen zählen, die im Endprodukt keine technologische Funktion mehr erfüllen, gibt es keine Pflicht, diese in der Zutatenliste anzugeben. Dabei weisen technische Enzyme zum Beispiel nicht nur in Fertig-Gebäck nachweislich Restaktivitäten auf“.
Roland Krieg
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