Schalter für Zuckertransport ins Gehirn entdeckt

Ernährung

Astrozyten tanken Zucker aktiv ins Gehirn

Es gibt Lücken in der Erkenntnis, wie der Zucker- und Energiestoffwechsel wirklich funktioniert. Je mehr Lücken geschlossen werden, desto eher gibt es Auswege aus der Epidemie Übergewicht, die mittlerweile nicht nur in den Industrieländern um sich greift.

Bislang haben Wissenschaftler geglaubt, dass Zucker durch einen passiven Vorgang vom Blut ins Gehirn gelangt. Wissenschaftler um Prof. Matthias Tschöp vom Helmholtz Diabetes Zentrum (HDC) in München haben jetzt einen aktiven Mechanismus entdeckt, der Zucker ins Gehirn tankt.

Stützzellen als Tankwart

Das Gehirn ist das Organ mit dem höchsten Zuckerverbrauch und kontrolliert das Hungergefühl des Menschen. „Wir vermuteten deswegen, dass es bei einem so wichtigen Vorgang, wie der Versorgung des Gehirns mit ausreichend Zucker, nicht um einen zufälligen Prozess handeln könnte“, sagte Neurobiologin Dr. Cristina Garciá Cáceres am HDC. In den Fokus gerieten Astrozyten. Die häufigsten Zellen im Gehirn bilden die Bluthirnschranke. Sie umschließen die Blutgefäße und lassen nur bestimmte Stoffe zu den Nervenzellen. Die Astrozyten galten bislang als Stützzellen. Doch eine weitere Funktion wurde jetzt enthüllt.

Paradigmenwechsel

Cáceres und Tschöp untersuchten die Aktivität von Insulinrezeptoren auf der Oberfläche der Astrozyten. Bei Mäusen, denen diese fehlten, wiesen bei den dahinter liegenden Nervenzellen, die auf die Nahrungsaufnahme einen zügelnden Einfluss haben, eine geringere Aktivität auf. Diese so genannten „Proopiomelanocortin Neuronen“ liegen überwiegend im Hypothalamus und im Kern des Stammhirns. Beide Regionen beeinflussen die Nahrungsaufnahme und den Appetit [1].

Gleichzeitig hatten diese Mäuse Schwierigkeiten, bei veränderter Zuckerzufuhr ihren Stoffwechsel anzupassen. Mit Hilfe von bildgebenden Methoden konnten die beiden Wissenschaftler aufzeigen, dass Hormone wie Insulin und Leptin auch an Stützzellen wirken und die Aufnahme von Zucker aktiv regulieren. Ohne die Insulinrezeptoren zeigten die Appetitzentralen im Hypothalamus schlechtere Transportraten von Glukose ins Gehirn.

Was ist das Ergebnis?

„Unsere Ergebnisse zeigen erstmals, dass essentielle Stoffwechsel- und Verhaltensprozesse nicht nur über Nervenbahnen reguliert werden, sondern dass auch andere Zelltypen wie Astrozyten hier eine entscheidende Rolle spielen“, fasst Matthias Tschöp zusammen.

Weil sich die Betrachtungsweise geändert hat, findet sich möglicherweise ein Grund, warum die Entwicklung von neuen Medikamenten für Diabetes und Adipositas so schwierig gestaltet. Das Modell der Nahrungsaufnahme und des Körperstoffwechsels müsse  durch die neue Rolle der Astrozyten ergänzt werden. „Erst wenn das Zusammenspiel dieser verschiedenen Zellen etwas besser verstanden ist, können Wege und Stoffe für den Eingriff in die Signalkette gefunden werden, um die Zuckerabhängigkeit zu unterbinden und letztlich die wachsende Zahl an Zuckerkranken und Übergewichtigen besser behandeln zu können“, heißt es am HDC. Aber: „Da liegt sehr viel Arbeit vor uns“, sagte Garciá Cáceres. Immerhin hat die Arbeit gezeigt, in welchen Zellen gesucht werden muss.

Lesestoff:

Cáceres, C. et al.: Astrocytic insulin signaling couples brain glucose uptake with nutrient availability (2016); Cell doi: 10.1016/j.cell.2016.07.028

[1] George Millington: The Role of proopiomelanocortin (POMC) neurons in feeding behaviour; Nutr Metab (London); 2007; 4: 18 doi: 10.1186/1743-7075-4-18

Roland Krieg

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