Seelen, Brezel, Hungerbrote

Ernährung

Brotlose Zeiten in Baden und Württemberg

Heute ist die Frage nach dem (Über)lebensmittel Brot in unseren Breiten mehr eine Frage des Geschmackserlebnisses als des Habens. In ganz Deutschland können Verbraucher zwischen mehr als 300 verschiedenen Brotsorten sowie 1200 Sorten Klein- und Feingebäck wählen. Und nicht zufällig ist auch in Baden-Württemberg der Appetit auf Brot- und Backwaren ungebrochen, erlebt man doch auch oder gerade hier ein besonders aktives Bäckerhandwerk, das neben der Grundversorgung die Tradition spezieller Brote und Kleingebäcke wie Seelen oder Brezeln pflegt.

Sorge um das tägliche Brot
Ungeachtet dieser Fülle ist die Geschichte des Brotes untrennbar verbunden mit der Sorge darum und so nimmt Brot als Symbol für alles, was das Leben des Menschen ausmacht, eine zentrale Rolle in der Historie ein und war Auslöser zahlreicher Revolutionen und sozialer Unruhen.
Vor diesem Hintergrund hat die regionale „Essgeschichte“ viele Gesichter und verdeutlicht, dass Brot in seinen regionaltypischen Ausformungen eben nicht nur regionale Geschichte ist, sondern auch regionale Geschichte gemacht hat. Ein Beispiel:
Brot wird zu einem zentralen Thema, wenn es knapp wird. Die Brotkrawalle in Stuttgart und Ulm 1847 erzählen davon. Und das Vertreter der weltlichen Obrigkeit das Fehlen der Lebensgrundlage Brot nicht auf Dauer ignorieren konnten und wollten, zeigte Königin Katharina in ihrem Königreich Württemberg. Während der großen Hungersnot 1816/17 richtete sie Suppenküchen und Speiseanstalten ein, um die allgegenwärtige Not durch eine tägliche Mahlzeit zu lindern.
Brot ist ein zentrales Thema, bei dem öffentliches und privates Leben miteinander verwoben waren. Versorgungsengpässe dieser Art lassen zumindest erahnen, warum vor allem bei jüngeren Menschen der Entschluss heranreifte, besseren Zeiten entgegenzuziehen und in die Vereinigten Staaten von Amerika oder nach Russland auszuwandern. Im Jahr 1816 wurden 443 Württemberger gezählt, die gen Westen zogen, drei Jahre später waren es bereits 6.000. In den ersten vier Monaten des Jahres 1817 emigrierte mit 18.000 Menschen fast ein Fünftel der Bevölkerung Württembergs.

Knauzen, Kimmicher und Mutschel
Eine ganz andere regionale Facette des Brotes ist der mit dem Brot verbundene Lebensgenuss. Eine ganze Reihe von kulturgeschichtlich interessanten Backwaren stammen aus Baden und Württemberg.
Vielfalt und Abwechslung waren zwar nicht unbedingt kennzeichnend für den früheren Speiseplan, aber in der früheren Metropolen, genauer gesagt in den früheren Reichsstädten der Region, sah die Situation etwas anders aus. Hier waren die meisten Bäckereien zu finden, die Wert auf ihre Eigenständigkeit hielten und ihre eigenständigen Kleinbrote entwickelten. Kleinbrote wie Aalener Prügel, Biberacher Knauzenwecken, Ravensburger Seelen, Reutlinger Kimmicher und Backwerke wie die Reutlinger Mutschel. Die Freie Reichsstadt Ulm war am Schnittpunkt von Fernstraßen gelegen im Mittelalter so reich, dass sich ihre Bürger feinstes Gebäck wie das Ulmer Zuckerbrot mit exotischen Gewürzen leisten konnten. Solche Traditionen haben sich bis heute bis zum Seißener Backfest oder den Altenrieter Brezelmarkt erhalten. Brot und Backwaren sind eben auch mit der Vorstellung von vergnüglichen Festen, von Sonn- und Feiertagen, von Freude und Brauchtum verbunden. Unentbehrlich ja, aber auch ein Stück Wohlstand, Bürgerstolz und ab und zu auch (süßer) Luxus.

Ausstellung im Ulmer Museum der Brotkultur
Die geschilderten und noch viel mehr Facetten zeigt bis November das Ulmer Museum der Brotkultur ab dem 06. Mai in seiner Sonderausstellung „Seelen, Brezeln, Hungerbrote“. Kuratorin der Ausstellung ist Irene Krauß, die ein Begleitbuch zur Ausstellung herausgebracht hat. Das Museum der Brotkultur ist in der Salzstadelgasse 10 in 89073 Ulm zu finden. www.museum-brotkultur.de

Museum der Brotkultur

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