Sicherer als sicher?
Ernährung
„Wir lernen an den Pflanzenschutzmitteln“
Für Michael Santen von Greenpeace ist das klar: Wir wissen nicht wie Bisphenol A in die Saugschnuller kommt, kennen aber das mögliche Risiko auf Kleinkinder, also muss der Stoff raus. Was so einfach klingt, ist so schwer. Das zeigte die Abschlussdiskussion des Verbraucherschutzforum des Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), das sich in diesem Jahr mit endokrinen Disruptoren, Substanzen mit hormonellen Auswirkungen, beschäftigte.
Wissenschaftler mahnen Sorgfalt an
Für Prof. Dr. Hensel, Präsident des BfR, besteht die Aufgabe des Instituts in der Wahrung des „unverstellten Blicks auf die Realität“. Wissenschaftler untersuchen zunächst die Gefahren, die von einer Substanz ausgehen, wollen dann die Exposition abschätzen, in welchem Umfang der Verbraucher der Gefahr ausgesetzt ist und erst dann über das Schicksal der Substanz entscheiden. Prof. Hensel beunruhige nicht, ob und wie viel Bisphenol A im Schnuller ist, sondern wie hoch eine Migrationsrate zum Menschen ist. Für Dr. Christian Grugel aus dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) ist die Politik die Verpflichtung eingegangen, die richtige Reihenfolge einzuhalten: Erkennen – Verstehen – Handeln. Die Vorgabe Pflanzenschutzmittel für die neue EU-Verordnung zu überprüfen sei ein Testfall, der auch für das Chemikalienrecht oder für alle Bedarfsgegenstände gelten werde: „Wir lernen an den Pflanzenschutzmitteln.“
Auch Ellen Dhein von der Bayer AG warnte vor voreiligen Reaktionen. Gerade zu Bisphenol A gibt es mehrere Hundert Studien, aber immer noch keine abschlie0ende Risikobewertung. Wenn die Politik entscheide, Produkte aus dem Regal zu nehmen, nur um Verbraucher zu beruhigen, „sei das kein Weg.“
Vorsorge oder Gluckeneffekt?
Nach Santen warnen Nichtregierungsorganisationen nicht vor Produkten, um „Modeschadstoffe über die Medien zu pushen“. Sie warnen auf Grund von einzelnen Studien, wenn eine reale Gefahr entstehen kann. Man könne nicht abwarten bis ein Verdacht durch eine tatsächliche Schädigung bestätigt werde. Das sei das Vorsorgeprinzip.
Wissenschaftler hingegen wollen allerdings hinterfragen, wer darf einen Verdacht äußern und wie fundiert muss der Verdacht sein, um an die Öffentlichkeit zu gehen. Falschen Verdacht hat es in der Vergangenheit genauso gegeben, wie unzulänglich ausgeführte Studien. Prof. Hensel verweist dabei auf die bestehenden Sicherheitsmargen, die zur Zulassung eines Stoffes berücksichtigt sind. Wenn Nichtregierungsorganisationen die Werte halbieren, machten sie „Sicheres noch sicherer“. Das sei aber kein Risikomanagement mehr, sondern ein Qualitätskriterium.
Mittlerweile ist die Analytik in der Lage im Bodensee ein Stück Würfelzucker zu finden. Immer feinere Analysen entdecken immer neue Gefahren. So habe der Gesundheitsschutz gezeigt, dass er den wissenschaftlichen Erkenntnissen folgen kann. Nach Prof. Grugel habe die Bundesregierung bei BSE gezeigt, dass sei mit fortschreitendem Wissen auch immer weitreichender reagiert habe.
Herbert Zerbe vom Fresenius Institut hatte vormittags noch die aktuellen Herausforderungen bei endokrinen Disruptoren aufgelistet. Es gehe nicht mehr nur um die „grpßen“ Moleküle wie Phtalate, Isoflavone und Bisphenol A, sondern schon um Abbau- und Zwischenprodukte, die bereits im Nanogramm-Bereich über die Luft Gegenstände und Lebensmittel kontaminieren können.
Neue Welten
Die Wissenschaft ist bereits in einen stofflichen Kosmos vorgedrungen, der nicht mehr die Risikovorstellungen der Menschen trifft. Das Nanogramm Gift ist in einer Studie wissenschaftlich beunruhigend, muss aber im Verbraucheralltag hinter anderen realeren Gefahren keinen prioritären Stellenwert einnehmen. Medienschlagzeilen vermengen die Ausmaße und Verbraucher haben Schwierigkeiten im öffentlichen Disput ihre Bezugsgröße richtig zu definieren.
Auswirkungen auf die Branche
Nach Prof. Grugel sind die Testmethoden bei endokrinen Disruptoren mittlerweile in dem Stadium, dass wirkliche Bewertungen vorgenommen werden können. Aber der Methodenstreit ist nicht das einzige, dass Wissenschaft, Verbraucherschützer und Konsumenten verwirrt.
Die EU führt bei dem Thema und am Beispiel der Pflanzenschutzmittel eine Zeitenwende herbei. Bislang diskutieren die Menschen noch im Sinne Paracelsus, nach dem die Höhe der Dosis das Ausmaß der Wirkung bedingt. Die Dosis-Wirkungs-Beziehung wird möglicherweise aufgelöst und durch das „Cut off“ – Prinzip ersetzt. Dann gibt es für eine Substanz nur noch zwei Bewertungen für ihre Wirkung auf das Hormonsystem: Vorhanden oder nicht. Ein Positivbescheide würde den Produktionsstopp nach sich ziehen und eine Wiederzulassung nach Auffassung von Ellen Dhein nicht mehr möglich sein. Die Auswirkungen seine nicht absehbar.
Roland Krieg