Sind AGEs doch nicht schädlich?
Ernährung
AGEs: Zeit für eine Neubewertung
Wenn Lebensmittel erhitzt werden und Eiweiß dabei mit Zucker reagiert, bilden sich Farbstoffe und köstliche Aromen. Alltägliche Beispiele sind gerösteter Kaffee, knusprige Brotkrusten oder goldgelbes Bier. Der Biochemiker Louis Maillard entdeckte diese Reaktion im Jahr 1912 und bis heute ist sie nach ihm benannt. Am Ende der Maillardreaktion entstehen stabile Verbindungen, die Advanced glycation endproducts, kurz AGEs. Sie sind aus medizinischer Sicht von großem Interesse: Die Maillardreaktion und damit auch die AGE-Bildung läuft nämlich nicht nur in Lebensmitteln, sondern auch im menschlichen Körper ab. Diese gebildeten AGEs gelten als gesundheitsschädlich; sie reichern sich beispielsweise in den Augenlinsen von Patienten mit Grauem Star oder im Gehirn von Alzheimerpatienten an. Zudem sollen sie eine Schlüsselrolle bei der Auslösung chronischer Entzündungen spielen. Doch auch bei Gesunden reichern sich AGEs an: „Wir verzuckern innerlich im Lauf des normalen Alterungsprozesses“ sagte Professor Thomas Henle, TU Dresden, auf einer Veranstaltung des Instituts Danone Ernährung für Gesundheit e. V. Mitte Mai in Hannover.
Gesundheitsfördernde Potenziale
Da Maillardverbindungen täglich grammweise vor allem über Back- und Teigwaren oder Kaffee in den Körper gelangen, rückte die Rolle der Nahrungs-AGEs bei der Entstehung von Krankheiten in den Fokus der Untersuchungen. Fazit war, dass Nahrungs-AGEs als Risikofaktor für Herz-Kreislauf- und Nierenerkrankungen eingestuft wurden. Tatsächlich umfasst der Summenbegriff AGEs jedoch eine Vielzahl einzelner Verbindungen „Die Pro-Risikoliteratur ist mit großer Vorsicht zu genießen, denn bislang belegt keine einzige Studie, dass definierte AGE-Strukturen für gesundheitsschädliche Prozesse verantwortlich sind“, sagte Henle. Dagegen lassen immer mehr Studien vermuten, dass bestimmte AGEs positiv wirken könnten. Beispielsweise gingen hohe AGE-Gehalte im Plasma von Hämodialysepatienten mit einer höheren Überlebensrate einher. Andere Daten wiesen antioxidative, präbiotische und antikanzerogene Effekte nach.
Vor diesem Hintergrund sind Ernährungsempfehlungen kritisch zu bewerten, die den Verzicht auf Maillardprodukte und somit auf gebackene, gebratene Speisen propagieren. Die AGE-Werte einer 2004 publizierten Lebensmittel-Datenbank sind aus analytischer Sicht zudem größtenteils falsch: „Sie gibt hohe AGE-Werte für fettreiche Lebensmittel wie Butter oder Olivenöl an, während die Brotkruste angeblich kaum AGEs enthält. Richtig wäre es umgekehrt“, so Henle. Trotzdem dient diese Datenbank als Grundlage für Ernährungsempfehlungen selbst seriöser Institutionen wie dem Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen. Künftige Forschungen sollten sich eher auf das gesundheitsfördernde Potenzial von AGEs konzentrieren.
Dorothee Hahne, aid infodienst