SPD blockiert Nationalen Diabetesplan

Ernährung

Nationaler Diabetesplan gegen gewichtige Probleme

Übergewicht und Diabetes stehen in Prag und Berlin auf der Kongress-Agenda. Am Donnerstag startete der Europäische Kongress zu Übergewicht in Prag. Im Vorfeld veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation WHO die aktuelle Prognose für das Jahr 2030. Dann werden in Europa 65 Prozent der Männer und 47 Prozent der Frauen übergewichtig sein. Übergewicht ist einer der stärksten Faktoren für die Erkrankung an Diabetes mellitus, einer Stoffwechselerkrankung. Jährlich kommen 270.000 Neuerkrankungen hinzu, erblinden 2.000 Menschen in Folge von Diabetes. Pro Jahr werden 40.000 Amputationen durchgeführt. 95 Prozent der Diabetiker haben einen Typ-2-Diabetes, etwa 300.000 Menschen einen Typ-1-Diabetes, der in der Regel durch eine Autoimmunkrankheit hervorgerufen wird.

Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) wird sich am kommenden Mittwoch in Berlin vier Tage lang mit dem Thema beschäftigen. Im Vorfeld dieser Tagung beschäftigten sich sowohl die DDG als auch der Verband der Diagnostica-Industrie (VDGH) mit dem Nationalen Diabetesplan.

Alltag in den Praxen

Schon heute sind in Deutschland rund sechs Millionen Menschen an Diabetes erkrankt. 38 Prozent mehr als 1998. Ein Großteil davon wird vom Hausarzt betreut. Im Durchschnitt behandelt ein Hausarzt 100 Diabetes-Patienten, erläuterte Kongresspräsident Prof. Dr. Norbert Stefan. „Regelmäßige diabetologische Fortbildung ist darum auch für Hausärzte unerlässlich“, sagte der Leiter des Universitätsklinikum Tübingen auf der Pressekonferenz der DDG.

Eine besondere Herausforderung ist die Verbreitung von Diabetes bei Migranten, führte Dr. Ina Danquah vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam-Rehbrücke aus. Während der Hausarzt sich bei Bundesbürgern auf den einzelnen Patienten konzentriert, müsse bei Großfamilien ein Familien-bezogener Ansatz gewählt werden. Hinzu kommen sprachliche, religionsbezogene und kulturelle Barrieren für Lebensstilmodifikationen.

Behandlung

Die Krankheit kann lange unentdeckt bleiben, weil sie keine Schmerzen verursacht. Dennoch sind die Folgen schwerwiegend. Zu den gravierendsten Folgeerkrankungen gehören Schlaganfall, Herzinfarkt, Netzhauterkrankungen bis hin zur Erblindung, Diabetisches Fußsyndrom mit der Gefahr der Amputation sowie Niereninsuffizienz.

Der Typ-2-Diabetes kann häufig mit Ernährungsumstellung und körperlicher Bewegung behandelt werden. Rund die Hälfte der Patienten erhält eine orale Medikamentation. Etwa 30 Prozent werden ausschließlich oder in Kombinationstherapie mit Insulin behandelt. Letzteres ist Pflicht bei Typ-1-Diabetes.

Sowohl Wissenschaft als auch Technik machen Fortschritte. Vor allem der Typ-2-Diabetes stellt die Wissenschaft vor große Herausforderungen, erklärt Prof. Dr. Oliver Schnell, Leiter der Forschergruppe Diabetes am Helmholtz Zentrum München auf der Mitgliederversammlung des VDGH. Die therapeutischen Optionen haben zugenommen und moderne Arzneien zur Einstellung des Blutzuckerspiegels führen nicht mehr zu einer gefährlichen Unterzuckerung. Sensoren können diese sogar schon auf ein bis zwei Stunden im Voraus ermitteln. Die Wissenschaft habe auch gelernt, dass der Blutzuckerwert nach der Mahlzeit eine Aussagekraft haben kann.

Nationaler Diabetesplan

Gesundes und ungezwungenes Leben sowie Senken der enormen Folgekosten durch Diabetes sind Grund genug, die Prävention auf ein stabiles Fundament zu stellen. Die aktuelle Versorgung der Diabetes-Patienten ist nicht schlecht. Doch die stark steigende Zahl an Erkrankungen fordert zum Handeln heraus.

Das wichtigste Ziel für die DDG ist eine sektorenübergreifende Versorgung und eine flächendeckende Versorgungslandschaft für Diabetiker, unterstreicht DDG-Präsident Dr. Erhard Siegel. Es gebe nicht nur regionale Versorgungslücken. Zudem gibt es Schnittstellenprobleme zwischen ambulanter und stationärer Versorgung und beim Übergang in die Reha oder Pflege. Der DDG drängt seit Jahren auf den Aufbau eines nationalen Diabetesregisters, für verbesserte Versorgungsforschung und Qualitätssicherung. Ein Nationaler Diabetesplan würde das umsetzen.

Das sieht auch die Industrie so. VDGH-Vorsitzender Matthias Brost sieht darin eine konzertierte Aktion, die auch im Interesse der Industrie sei. Solange beispielsweise Teststreifen in der Ausschreibung nur nach Kostenabwägungen ausgewählt würden, bleibe die Qualität auf der Strecke. Ein Plädoyer für die Ausbildung der Ärzte hielt Dr. Günther Jonitz, Präsident der Ärztekammer Berlin. Die Lehrstühle für Diabetologie an den Universitäten düfe nicht weiter abnehmen.

Union einig über den Plan

Damit die Wünsche nicht bloß Lippenbekenntnisse bleiben, haben Dietrich Monstadt und Michael Hennrich (CDU) im Juni 2014 bereits ein „Positionspapier Diabetes Mellitus“ aufgelegt. Nur wenige Tage nachdem der Gemeinsame Bundesausschuss die „Nichtaufnahme eines Moduls Adipositas“ beschlossen hatte [1].

Im Präventionsgesetz ist das Modul Diabetes zwar vorgesehen. Aber das reiche nicht. Sowohl bei der DDG als auch beim VDGH war Dietrich Monstadt aus dem Bundestagsgesundheitsausschuss und Berichterstatter für Diabetes und Adipositas der AG Gesundheit in der CDU/CSU-Fraktion unterwegs. Er warb für den Initiativantrag „Nationale Diabetes-Strategie“ der Union.

Diese sei „als eine ressortübergreifende Querschnittsaufgabe dringend erforderlich“. Sie schließt neben der Gesundheitspolitik das Bundesernährungsministerium, das Kultusministerium für den Schulsport („eineinhalb Stunden in der Woche über Kästen hüpfen ist zu wenig“) aber auch das Bundesbauministerium mit ein. So müsse neben einer Schule kein Fast Food-Restaurant aufmachen: „Das kann man anders regeln.“

Das BMEL hat mit „In Form“ und „peb“ bereits Initiativen für Gesundheit und Ernährung gestartet. Doch speziell für die Erkrankung Diabetes mit ihren spezifischen Bedürfnissen brauche es einen ergänzenden Schwerpunkt, sagte Monstadt zu Herd-und-Hof.de. Ein Treffen mit Bundesernährungsminister Christian Schmidt stehe als nächstes auf der Agenda.

Der Herd-und-Hof.de vorliegende Entwurf für einen Bundestagsantrag beschreibt zunächst die Fortschritte der Gesundheitspolitik. Neben dem Nationalen Aktionsplan „In Form“ gibt es für Menschen ab 35 einen Gesundheits-Check-up zur Früherkennung, das Versorgungsangebot der strukturierten Behandlungsprogramme, die so genannten Disease Management Programme (DMP) für Diabetes wurde eingeführt und das Präventionsgesetz berücksichtigt die Erkrankung mit einem Modul.

Aber: Alleine Diabetes und seine Folgeerkrankungen belasten das Gesundheitssystem mit 48 Milliarden Euro jährlich. Die durchschnittlichen Kosten der Versorgung der Diabetes sind zwischen 2002 und 2014 von 4,9 auf 6,3 Milliarden Euro angestiegen.

Deswegen müsse mit der Nationalen Diabetes- Strategie die Vorbeugung und Früherkennung gestärkt und ausgebaut werden. Um belastbare Daten zu erhalten, solle das Gesundheitsmonitoring für Diabetes am Robert Koch Institut zu einem Diabetes-Überwachungs-System ausgebaut werden. Das RKI solle einen periodischen nationalen Diabetes-Bericht erstellen, die DMPs müssten bekannter werden. Um der Vielfalt an teilweise obskuren Internetseiten Qualität entgegenzustellen, wurde am Helmholtz Zentrum München ein neuer Diabetesinformationsdienst aufgebaut. Neben der ressortübergreifenden Arbeit, sollen Voraussetzungen für Länder-Initiativen geschaffen werden [2].

Bundes-SPD blockiert

Der Weg vom Initiativantrag bis zur Umsetzung ist weit. Vor allem, so Monstadt zu Herd-und-Hof.de, weil die SPD den Antrag blockiere. Dabei wolle die Union den Plan in der Koalition gemeinsam auf den Weg bringen. Die Vereinten Nationen haben eine entsprechende Resolution im Jahr 2006 verabschiedet. Die EU folgte im gleichen Jahr und die WHO Europa forderte das im Jahr 2011. Bis heute haben 17 EU-Länder einen solchen Plan umgesetzt. Auf Antrag der Länder Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern hat der Bundesrat am 11. Juli 2014 eine entsprechende Entschließung verfasst. Auf Bundesebene hat sich der rote Koalitionspartner darüber nur im Zusammenhang mit dem Präventionsgesetz geäußert.

Ernährungsindustrie

Wer im Unionsentwurf nicht steht, an den aber Dietrich Monstadt denkt, ist die Ernährungsindustrie. Auch wenn es keine ungesunden Lebensmittel gebe, trage die Branche eine Mitverantwortung für die Gesundheit des Gemeinwesens. Ketchup könne auch mit weniger Zucker schmecken, sagte er zu Herd-und-Hof.de. Wenn das nicht freiwillig geschehe, könnten Regulierungen helfen.

Der Charme dieser Argumentation liegt weniger darin, dass sich das Bundesernährungsministerium damit gegenüber der Ernährungsindustrie im Zeitverlauf abgenutzt hat. Vielmehr liegt er darin, dass mit Gesundheitspolitikern und Ärzten neue Akteure auftreten. Jetzt meldet sich die Seite, auf der sich die Folgen einer falschen Ernährung als Ausgaben ansammeln [3].

Lesestoff:

www.diabeteskongress.de

www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de

[1] Spielt Übergewicht keine Rolle mehr in der Prävention?

[2] in Sachsen veröffentlichte eine Fachkommission Diabetes bereits 1997 einen handlungsorientierten Diabetes-Leitfaden, der für die Jahre 2000 bis 2002 Grundlage für ein Diabetesprojekt wurde. Patienten, Hausärzte und Schwerpunkt-Diabetologen fanden sich zusammen und konnten die Zahl der Hochrisiko-Typ -2-Diabetiker auf unter 50 Prozent senken. Dennoch hat die AOK einseitig die Verträge im Jahr 2003 gekündigt, wie die Bundesärztekammer bedauerte. Das Projekt wurde durch die DMP ersetzt. Seit 2007 gibt es eine Fachkommission Diabetes bei der Sächsischen Landesärztekammer. www.slaek.de

[3] Braucht der Stups zum Glück doch Regulierung? Der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde wird 60

Roland Krieg

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