Streit um Kinderlebensmittel

Ernährung

Die Nährstoff-Profiler

Gut, dass die Studie von „foodwatch“ war. Da ist die Ablehnung griffiger und leichter. Doch neben foodwatch standen auch die Deutsche Diabetes Gesellschaft, diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe und die Deutsche Adipositas Gesellschaft. Gemeinsam stellten sie am Montag die Studie zu Kinderlebensmittel vor. 90 Prozent der von foodwatch untersuchten Lebensmittel für Kinder wurden als „unausgewogene Produkte“ und nur 10 Prozent als „ausgewogene Produkte“ klassifiziert.

Die Einteilung „gesund“ und „ungesund“ hat sogleich den Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL) auf den Plan gerufen. Die Ergebnisse der Studie wurden „als unseriös und effektheischend“ von Hauptgeschäftsführer Christian Minhoff abgelehnt. „Foodwatch verunglimpft sichere und qualitativ hochwertige Lebensmittel aufgrund von Nährwertprofilen, die eine reine Empfehlung und keine verpflichtende Vorgabe darstellen, erst vor wenigen Monaten veröffentlicht und zudem in einem intransparenten Verfahren bestimmt wurden“, erklärt BLL-Hauptgeschäftsführer Christoph Minhoff und ergänzt: „Erneut werden wissenschaftlich nicht belegte Kausalzusammenhänge behauptet. So bleiben die Autoren der Studie etwa die Antwort schuldig, warum 94 Prozent der Kinder in Deutschland nicht adipös sind, obwohl sie den gleichen medialen, gesellschaftlichen und gesetzlichen Bedingungen ausgesetzt sind, wie die sechs Prozent betroffenen adipösen Kinder!“

Auch wenn diese Sichtweise in der Union als Appell an die Eigenverantwortung der Industrie zu verstehen ist, droht bei ständigem Versagen der Eigenverantwortung doch irgendwann das Ordnungsrecht. Hinter der „freiwilligen Selbstverpflichtung“ könnte die Union auch anders, wie Gitta Connemann, die als stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU den gesundheitlichen Verbraucherschutz bearbeitet, im Sommer durchblicken ließ [1].

Minhoffs Kritik der „Unwissenschaftlichkeit“ richtet sich an die WHO, die von den medizinischen Gesellschaften begleitend zur Studie zitiert wurde. Neben Hunger und Mangelernährung gilt Übergewicht weltweit als dritte Säule der möglichen Fehlernährung. Aus diesem Grund haben die europäischen Gesundheitsminister in Folge der Wiener Deklaration zur Ernährung und den nichtübertragbaren Erkrankungen im Kontext „Health 2020“ [2] die WHO beauftragt, eine Methode zu entwickeln, die u.a. eine Refomulierung der Rezepte und ein Nährstoff-Profiling ermöglicht, das den Verbrauchern die Wahl für gesündere Lebensmittel erleichtert. Veröffentlicht wurde die Arbeit „Europe nutrient profile model“ im Frühjahr 2015 [3].

Den Rückgriff auf den WHO-Ansatz nutzen die medizinischen Gruppen, weil die „Selbstverpflichtung“ der Industrie nicht funktioniert. Sonst würden nicht 90 Prozent der untersuchten Lebensmittel auffallen, argumentieren DAG, DDG und die Diabetes-Hilfe. Firmen haben sich in der Initiative „EU Pledge“ für eine Selbstbeschränkung bei der Werbung für Kinderlebensmittel zusammengetan [4]. Doch fehlen mit Haribo, Bahlsen oder Dickmann wichtige Produzenten, beklagen die Gesellschaften. Während Jugendschutzregeln bis 18 Jahre ausgelegt sind, will „EU Pledge“ nur die Kinder bis 12 Jahre schützen. Eine Nichteinhaltung der Vorgaben werde zudem nicht sanktioniert. Das Nährstoff-Profiling solle Grundlage für ein EU-Gesetz werden.

Die Mediziner wollen das „Marketing für übergewichtförderne Lebensmittel und Getränke“ verbieten. Das hat allerdings noch nirgends funktioniert.

Auf der anderen Seite ist der Anteil von zehn Prozent „guter Produkte“ auch wirklich kein Signal für eine Eigenverantwortung, sondern dient eher als Alibi. Da geht bestimmt noch mehr.

Lesestoff:

[1] Eigenverantwortungsinitiative der Union

[2] www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0009/193878/Vienna-Declaration.pdf

[3] www.euro.who.int/en/health-topics/disease-prevention/nutrition/publications/2015/who-regional-office-for-europe-nutrient-profile-model

[4] www.eu-pledge.eu/

WHO kritisiert lasche Werbevorschriften gegen Adipositas

www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de

Der BLL hat hier seine Sicht zu den Themen und Zucker dargelegt: www.bll.de/werbung und
www.bll.de/de/fragen-und-antworten-zu-zucker

Download Max Rubner Institut: Komplexes Geschehen Übergewicht / Adipositas als PDF

Roland Krieg

Zurück