Süßen ohne Reue

Ernährung

Hohenheimer Süßstoff-Pflanze reif für die Zulassung

>Nördlich des Wendekreises des Steinbocks, 22°35´S/55°39´W ist es im Grenzgebiet zwischen Paraguay und Brasilien in einer Höhe von 662 Meter über NN semihumid-tropisch mit einer Jahresdurchschnittstemperatur von 21 °C und Temperaturextremen zwischen 43 °C und -6 °C - ohne Bodenfrost. Mindestens 1.500 mm Niederschlag. Dort wächst in den Graslandgesellschaften des Hochlandes von Amambay, dem so genannten Campo Limpios, zwischen der Leitpflanze Zyperngras auch Stevia rebaudiana.

Geschichte mit Hindernissen
Bereits die Guarani-Indianer haben ihren Mate-Tee mit Blättern der Stevia-Pflanze gesüßt, allerdings hat der Schweizer Botaniker Moisés Bertoni erst Ende des 19. Jahrhunderts das Gewächs mit einer wissenschaftlichen Beschreibung in Europa bekannt gemacht. Die getrockneten Stevia-Blätter sind etwa 15 bis 30 mal süßer als Zucker und enthalten mit 0,21 Kcal/Gramm praktisch keine Kalorien. Dafür sind zahlreiche Spurenelemente enthalten, so dass die Hohenheimer Forscher schon fast meinen, "dass das Süßen mit Stevia die Gesundheit fördert".
Aber: Die Verwendung von Stevia ist in der EU nicht zulässig, da für den Süßstoff Steviosid die Unbedenklichkeitsbescheinigung fehlt. Der Contergan-Skandal vor rund 50 Jahren ließ den Gesetzgeber als vorbeugenden Verbraucherschutz erst eine Zulassung befürworten, sofern umfangreiche Untersuchungen die Unbedenklichkeit bescheinigen. In der EU ist die Genehmigung bereits mehrfach gescheitert: 1982, 1987 und 1995 wurde Steviosid nicht als natürlicher Süßstoff zugelassen. 1997 scheiterte der Antrag für Stevia als neuartiges Lebensmittel.

In Asien weit verbreitet
Im Rahmen des Stevia-Forschungsprojektes der Europäischen Union hatte das Forscherteam um Prof. Dr. Thomas Jungbluth und Dr. Udo Kienle von der Universität Hohenheim die Stevia-Pflanze für den Anbau und die Anwendung in Europa weiterentwickelt. Aus anbau- und verfahrenstechnischer Sicht ist Stevia reif für die Markteinführung, so Dr. Kienle, der auch Mitglied der Internationalen Gesellschaft für Stevia-Forschung e.V. angehört. Der natürliche Süßstoff könnte künftig andere künstliche Süßstoffe in Getränken, Bonbons Brotaufstrichen, Keksen, Schokolade und Kaugummis ersetzen. In einigen südamerikanischen und asiatischen Staaten ist der Pflanzensüßstoff bereits zugelassen. Auch im Nachbarland Schweiz sind Stevia Produkte schon in der Apotheke erhältlich. In den USA ist der Stevia Süßstoff seit 1995 als Nahrungsergänzungsmittel erhältlich. Nun rückt die Zulassung auch in der EU mittelfristig in greifbare Nähe: So entschied der Expertenausschuss von WHO und FAO, Süßstoffen aus Stevia einen ADI-Wert zu erteilen, mit dem die Aufnahme einer gewissen Tagesdosis durch Lebensmittel befristet bis 2007erlaubt ist. Allerdings reicht die Zuteilung eines ADI-Wertes alleine nicht für eine Zulassung aus, ist jedoch ein wichtiger Schritt.
In Japan ist Stevia in Softdrinks, alkoholischen Getränken, Dressings, Brot- und Backwaren, Bonbons, Nahrungsergänzungsmitteln sowie Sauerkonserven bereits zugeführt. In Korea und China noch nicht so verbreitet, allerdings beispielsweise bei Joghurt und Milchgetränken in der Versuchsphase. Japan und China verwenden Stevia auch bereits bei pharmazeutischen Produkten, wie Dr. Kienle auf einer Fachveranstaltung über Stevia präsentierte.

Schwierige Ergebnisse
Eine Limonade mit acht Prozent Zuckergehalt beinhaltet rund 80 g Zucker. Diese Menge kann durch 750 - 800 mg Steviosid ersetzt werden, was beim Verzehr von einem Liter Limonade bei einem 75kg schweren Mann zu einer Steviosid Belastung von 10 mg pro Kilo Körpergewicht führt. Ein 5jähriges 20 kg-Kind akkumuliert 37,5 und ein 15 kg schweres 3jähriges Kind etwa 50 mg Steviosid pro Kilo Körpergewicht.
Die Angaben über die akute Toxizität schwanken je nach Quelle. So kam Tama Biochemical aus Japan 1975 auf einen Toxizitätswert von 420 mg/ kg, die Universität von Illinois 1982 auf 20 mg/kg Körpergewicht. Die Japaner nahmen als Testsubstanz ein Extrakt mit 52 Prozent Steviosid, die Amerikaner Pures bei einem Reinheitsgehalt von 98 Prozent. Insgesamt gibt es noch einige offenen Fragen, wie auch die Hohenheimer Experten zugeben. Stevia ist möglicherweise kontrazeptiv, löst möglicherweise Hodenkrebs aus, hat möglicherweise eine pharmakologische Wirkung und ist möglicherweise auch mutagen.

Perspektive
Die EU sieht die Einzelstudien kritisch, weil es keine nachhaltigen Ergebnisse gibt. Entscheidend wird wohl sein in welcher Form Steviosid zur Anwendung kommt und ist schließlich in 20 Ländern bereits zugelassen. Die Hohenheimer zeigen sich optimistisch: Auch der Wegfall der Subventionen für den Tabakanbau lässt die Bauern in den überwiegend kleinstrukturierten Betrieben nach Alternativen suchen - aufgrund ihrer Eigenschaften eignet sich Stevia besonders für diese Regionen.

roRo

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