Trends in der Ernährungspraxis
Ernährung
Ernährungsforum der DGE / MV
Agrarminister Dr. Till Backhaus übernahm die Schirmherrschaft über das 1. Ernährungsforum der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) Sektion Mecklenburg-Vorpommern, das gestern an der Hochschule Neubrandenburg unter dem Motto „Aktuelle Entwicklung für die Praxis“ stattfand. Minister Backhaus wusste auch warum: „Wir reden zu viel, aber es wird zu wenig umgesetzt, obwohl es so viele Ideen gibt.“ Neue Ideen haben sich Lernende und Praktiker in der Stadt der vier Tore geholt.
MV setzt auf Qualität
Die Voraussetzungen aus MV das Gesundheitsland Nummer 1 zu machen, sind gut. Nach Dr. Backhaus hat das nördliche Bundesland das reinste Wasser, die beste Luft und die gesündesten Wälder. Aber, so klagte er auch, MV ist das Bundesland mit den meisten Übergewichtigen und dem höchsten Alkoholverbrauch.
Von den 160 Milliarden Euro Ausgaben im deutschen Gesundheitssystem entfallen rund 30 Prozent auf die Behandlung von Übergewicht. Es seien nicht nur die ungünstigen Ernähungsweisen, sondern auch die ungünstige Auswahl an Lebensmitteln, die ernährungsbedingte Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes bei Sechs- und Siebenjährigen hervorrufen: Cola statt Wasser und Fruchtsäfte statt Milch.
Wichtig sind wirkungsvolle Maßnahmen, die vorbeugen und das Ministerium in die Lage versetzen, Verbraucher umfassend aufzuklären. Dabei setzt Backhaus auf die gute Zusammenarbeit zwischen der DGE und der Hochschule Neubrandenburg, die neben den klassischen Lebensmittelwissenschaften auch im Fachbereich Gesundheit und Pflege den Studiengang Gesundheitswissenschaften anbietet.
Für Ende Oktober ist in MV das erste Qualitätsmanagement für die Gemeinschaftsverpflegung angekündigt und im Ministerium arbeitet bereits eine Arbeitsgruppe am ersten Verbraucherforum für die Seniorenernährung.
Ernährung sei genauso wichtig, wie Umwelt, Klima und Frieden, sagte Backhaus.
Auf die Qualifizierung kommt es an
Sind in der Ernährungsberatung alle einer Meinung, reicht es, ein „gefährliches“ Lebensmittel zu entfernen, diskutiert die Beratung die Größe eines Hamburgers? Bei dem Werbeversprechen, sieben Kilo in neun Tagen abnehmen zu können, wird es Dr. Ute Brehme, Referatsleiterin Fortbildung der DGE Bonn, bestimmt kalt den Rücken hinunterlaufen. Der Begriff „Ernährungsberater“ ist nicht geschützt und kann sogar über das Internet „bescheinigt“ werden. So sind dann auch viele angebotene Produkte von vergleichbarem Wert, den die Stiftung Warentest diesen März ermittelt hat.
Drei Ziele formuliert Dr. Brehme für eine gute Ernährungsberatung, die 2005 auf breiter Basis zu Rahmenrichtlinien geführt haben:
Selbstverpflichtung zur Einhaltung von Qualität, Qualität von Fortbildung sichern und Verbraucherschutz verbessern. Wichtiges Unterscheidungsmerkmal aus Verbrauchersicht: Ernährungsberatung und Produktverkauf schließen sich aus.
Die gesetzliche Grundlage für die Ernährungsberatung im präventiven Bereich ist im Sozialgesetzbuch Fünftes Buch § 20 geregelt. Hier legen die Spitzenverbände der Krankenkassen fest, dass Beratungsleistungen bei ausgebildeten Beratern auch abgerechnet werden können. Voraussetzung ist ein beruflicher Abschluss und mindestens eine Zusatzqualifikation. Diese Kombination wird „Anbieterqualifikation“ genannt. Paragraph 43 fordert für ernährungstherapeutische Maßnahmen die ärztliche Notwendigkeitsbescheinigung.
Seit 2007 gelten bei der DGE neue Vorgaben für die berufliche Weiterbildung, die zur Verwendung des Berater-Logos als sichtbare Orientierung für Verbraucher führt.
Vergleichbar zu einem TÜV, muss das erworbene Zertifikat alle drei Jahre nach einem Punktesystem erneuert werden. Seit März 2007 gibt es zusätzlich eine Online-Fortbildung für die Themen Diätetik, Ernährungsberatung und Gemeinschaftsverpflegung.
Bislang führte der berufliche Werdegang die Ernährungsberater meist in die Kliniken oder Reha-Bereiche, aber, so Dr. Brehme zu Herd-und-Hof.de, hier findet ein Wandel statt. Die Kliniken beginnen, diese Dienste auszulagern und die Praxen suchen sich neue Wege der Kooperation. Die Nachfrage nach diesen Berufen ist derzeit so groß, dass die DGE bereits Kapazitätsprobleme hat und eine Warteliste von sechs Monaten führt.
Der Bedarf ist noch lange nicht gedeckt.
Personalisierte Ernährung
Die Menschen haben eine unterschiedliche, individuelle Ausstattungen von Genen: Den Genotyp. Ein bestimmter Nährstoff in Lebensmitteln kann nun auf den Genotyp A anders wirken als auf den Genotyp B. Was bei dem einen keinen Einfluss hat, kann bei dem anderen ein erhöhtes Risiko für eine Krankheit bedeuten. Soll die Krankheit vermieden werden, kann man in der frühen Prävention dieses Lebensmittel weglassen. Das Zauberwort heißt Nutrigenomik und Ernährung sowie Prävention können individuell auf den einzelnen Menschen zugeschnitten werden. Mit Biomarkern sind Risikofaktoren früh und leichter festzustellen, als bei fortschreitender Erkrankung.
Aber: „Es gibt keinen Gewinn ohne Schaden“, begrenzte Prof. Dr. Dr. Hans-Georg Joost, Vorsitzender des Vereins für Nutrigenomik und Experte am Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE), die neuen Visionen. In der Ernährungs-Umschau hatte er bereits gesagt, dass die Umsetzung in naher Zukunft noch nicht funktioniert. Gestern hat er in Neubrandenburg detaillierte Auskunft gegeben.
Menschen, die Kaffe langsam metabolisieren, haben ein geringeres Erkrankungsrisiko als Menschen mit einer schnellen Umsetzrate. Allerdings setzt das Enzym bei der langsamen Umsetzung Metaboliten mit negativen Folgen frei. Der Genotyp kann also auch unerwünschte Wirkungen nach sich ziehen. Zudem ist das Auswirkungsmaß eines einzelnen Effektes viel zu gering. Krankheiten sind hochkomplex in ihrer kausalen Wirkungsgeschichte und können das Erkrankungsrisiko um ein Vielfaches erhöhen.
Typ-2-Diabetes hat nicht nur eine genetische Grundlage, sondern wird durch exogene Faktoren wie Ernährung und Bewegung mit hervorgerufen. So müsse bei der Nutrigenomik eine Nutzen-Risiko-Analyse erstellt werden, um alle Vor- und Nachteile abzuschätzen.
Trotzdem sieht Dr. Joost gute Einsatzmöglichkeiten. Das DIfE hat für Diabetes-2 einzelne Risikoparameter erstellt, die dem Arzt anzeigen, wo er intervenieren könnte. So hat das Institut bei Potsdam als erstes herausgefunden, dass Sport bei einer körpermassenunabhängigen Betrachtung keinen so großen positiven Effekt auf die Gesundheit hat. Da allerdings Sport direkt den Bauchumfang schmälert, ergänzen sich die Effekte Bewegung und Umfang zu einem gesunden Team.
Morgen gibt es den zweiten Teil über die DGE-Tagung: Echte Männer essen keine Quiche!
Lesestoff:
Der „Leitfaden Prävention“ der Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen kann hier eingesehen werden: www.ikk.de/ikk/generator/ikk/service-und-beratung/download/3236.pdf
Die Anbieterqualifikation des Curriculum Ernährungsberatung der DGE gibt es hier: www.dge.de/rd/curriculum
Die Rahmenvereinbarung zur Qualitätssicherung in der Ernährungsberatung wurde 2006 überarbeitet und kann hier eingesehen werden: www.dge.de/rd/rv
Das DIfE hat im Internet erstmals ein interaktives Webtool erstellt, womit man sich seine Risikofaktoren für Diabetes individualisieren lassen kann. Der Deutsche Diabetes-Risiko-Score (DRS) ist über www.dife.de zu erreichen und kann gut durchlaufen werden (Maßband bereithalten!).
Roland Krieg