Two miles a day keep the doctor away
Ernährung
Gesundheit und Sicherheit – BLL-Jahrestagung
Eigentlich macht der Mensch heute nur genau das, was ihm während der Evolution das Überleben gesichert hat: Er spart Energie und isst, sobald er die Chance dazu hat. Nur jagt er nicht mehr in der Savanne, sondern sitzt heute auf dem Sofa vor dem Fernseher. Das früher vorteilhafte Verhalten generiert heute übergewichtige Probleme. Aber, so Prof. Dr. med. Hans-Georg Predel, Leiter des Instituts für Kreislaufforschung der Sporthochschule Köln, auf der Jahrestagung des Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL), nicht alle Schuld liegt in den Genen. Bei den Zivilisationskrankheiten des metabolischen Syndroms (Übergewicht, Diabetes, erhöhter Blutdruck und erhöhte Blutfettwerte) ist es vielmehr der Lebensstil, der für die Krankheiten verantwortlich ist. Also jeder Einzelne.
Sport statt Medikamente
Zwei künftige Herausforderungen gilt es nach Dr. Predel zu meistern: „Das biblische Lebensalter von 77 Jahren ist heute Standard.“ Frauen werden im Durchschnitt 81,6 und Männer 71,1 Jahre alt. Die Neugeborenen in den neuen Bundesländern gewinnen jedes Jahr vier Monate Lebenszeit hinzu. Ein 2006 in Deutschland geborenes Mädchen hat bereits eine Lebenserwartung von 100 Jahren. „Gesund altern“, ist also die Aufgabe der Gesellschaft. Aber: die dicken Kinder drohen auch zu dicken Erwachsenen zu werden.
Sport ist einer der Ratschläge, das richtige Gewicht zu halten. Forsches Spazierengehen oder Nordic Walking reduziert die Sterblichkeit bereits um die Hälfte. Täglich zwei Meilen, rund 3,2 Kilometer müssten es allerdings schon sein. Wer in der Woche 2.000 bis 2.500 Kilokalorien durch Bewegung verbrennt ist auf der sicheren Seite, wobei es egal ist, ob sie in kurzen, intensiven Intervallen oder häufiger in kleinen Aktionen verbrannt werden. Zu viel oder zu wenig lässt das Risiko wieder ansteigen.
Dr. Predel erteilt isolierten Lösungen eine Absage. Am besten ist der „optimale Lifestyle“, der sich aus Nichtrauchen, einem Body-Maß-Index von weniger als 25, zweimal die Woche Seefisch wegen der Omega-3-Fettsäuren, moderatem Alkoholgenuss und regelmäßiger Bewegung von fünf Einheiten je 30 Minuten in der Woche zusammensetzt. Untersuchungen haben gezeigt, dass alleine schon vier dieser Punkte das Krankheitsrisiko deutlich senken Die Wirkungen addieren sich und sind konkurrenzloser als jedes Medikament, so Predel.
Kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem
Nur ein Drittel aller Deutschen aber treibt regelmäßig Sport. Komischerweise seien es ausgerechnet die Menschen, die auf Präventionsmaßnahmen reagieren, obwohl die andern zwei Drittel es nötiger hätten. Fehlende Motivation sei die größte Hemmschwelle, sich etwas gutes zu tun. Und fehlende Treffsicherheit der Kommunikation.
Das liegt an der selektiven Wahrnehmung der Verbraucher, so Prof. Dr. Dr. Hensel, Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR). Risiken werden unterschiedlich wahrgenommen, weil es auch mittlerweile verschiedene Verbrauchertypen gibt. Die durchorganisierte Ökofamilie, der Konsumgenervte, die unauffällige Familie, aktive Senioren oder junge aktive Menschen.
Die Verfügbarkeitsheuristiker erkennen ein Risiko nur, wenn es ein konkretes Beispiel gibt, dass von den Medien gut transportiert werden kann. Vertraute Risiken werden als gering eingeschätzt. Die Warscheinlichkeitsvernachlässiger sehen nur den schlimmsten Fall, auch wen dieser am unwahrscheinlichsten eintritt. Sie rufen bei einem „Worst-Case-Szenario“ nach den schärfsten Kontrollen. Es gibt auch den „Glauben an die gütige Natur“. Hierbei stehen künstliche Prozesse unter Generalverdacht und Konsumenten überhöhen die Gefahr technisch erzeugter Pflanzenschutzmittel. Natürliche Krebsrisiken der sekundären Pflanzenstoffe werden unterschätzt.
Gute Erfahrungen hatte das BfR mit dem Verbraucher-Forum Nanotechnologie gemacht, bei dem sich die unterschiedlichsten Menschen im Vorfeld mit einem Risiko auseinandersetzen können. Hier werden Alltagsfragen erfasst und Konsumenten lernen die wissenschaftliche Sicht der Dinge kennen. Umgekehrt erfahren die Wissenschaftler von neuen Bedenken. Für Prof. Hensel ein gelungenes Vorgehen, dass bei der grünen Gentechnik in der Vergangenheit angewandt, die Diskussion heute nicht nur zwischen Ablehnung und Versprechen pendeln lassen würde.
Zielgruppenorientierte Ansprache statt Lebensmittel verbieten
Der BLL setzt auf die Eigenverantwortung der Verbraucher, sich in der Konsumwelt gesundheitsbewusst zurecht zu finden. Rote Warnpunkte auf einem Lebensmittel lehnt er ab. Präsident Dr. Theo Spettmann kann sich dabei auf die KiGGS-Studie beziehen, die nicht einem bestimmten Lebensmittel die Schuld an Übergewicht und Adipositas gibt. Dr. Bärbel-Maria Kurth vom Robert-Koch-Institut (RKI) fasste die Ergebnisse noch einmal zusammen: Alle Formen der Essstörungen. Übergewicht, Adipositas, den wenigsten Verzehr von Obst und Gemüse, schlechte Zahnpflege, Rauchen, am wenigsten gestillt werden, den meisten Fernsehkonsum und die wenigsten Arztbesuche findet sich in den deutschen und Migrationsfamilien mit der wenigsten Bildung, den geringstem Einkommen und dem geringsten Sozialstatus. „Ob man eine Cola trinkt oder nicht, ist nicht die Frage.“ Es seien immer die selben, um die man sich kümmern müsse, stellte die Studienleiterin der KiGGS fest. Ein Präventionskonzept muss umfassender angesetzt und gezielt ausgerichtet werden. Das sei jedoch leichter gesagt als getan. Das RKI hat mittlerweile Ergebnisse aus der Studie in Broschüren zusammengefasst, die an Kinder und Familien ausgegeben werden können.
Lesestoff:
Das RKI hat mit KiGGS erstmals Referenzwerte für Jugendliche umfangreich und repräsentiert erfasst. Zum Jahresende sollen sie Wissenschaftlern und Interessierten zur Verfügung gestellt werden: www.kiggs.de
Untersuchungen beim Boston-Marathon haben gezeigt, dass die wenig trainierten sich durch den Marathon Verletzungen am Herzmuskel holen können. Eine Analyse der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS) beim Köln-Marathon hat für Deutschland das Ergebnis nicht untermauern können. Diese Analyse wird demnächst publiziert. Die DSHS in Köln hat in ihrer letzten Ausgabe „F.I.T“ eine Zusammenfassung der Schulsportkampagne „Fit am Ball“ beschrieben: www.dshs-koeln.de (Publikationen)
Die GfK-Studie für den BLL „Entwicklungen und Trends im Lebensmittelangebot“ kann unter www.bll.de abgerufen werden.
Roland Krieg