Ungeliebte Erntehelfer
Ernährung
Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft
> Mit dem offiziellen Start in die Spargelsaison dieser Woche wird die erste Feldfrucht geerntet, die nicht ohne ausländische Saisonarbeitskräfte auf den Teller gelangen würde. In der Diskussion der vergangenen Wochen muss dabei deutlich von den Arbeitern unterschrieben werden, die fälschlicherweise in der Bau- und Fleischwirtschaft als Fremddienstleiter eingesetzt werden (s. Herd-und-Hof.de vom 14.03.2005). Geschichte der Saisonarbeiter
Letztes Jahr wurden rund 300.000 Saisonarbeitskräfte eingestellt, deren Bezahlung nach tariflichen Bedingungen erfolgt. Durchschnittlich sind 5,42 Euro pro Stunde zwischen den landwirtschaftlichen Arbeitgeberverbänden und der IG BAU (Bau Agrar Umwelt) vereinbart. Darüber hinaus erhalten sie in der Regel freie Kost und Logis.
Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verursachte die Landflucht aus Ostdeutschland in die Industriemetropolen einen Landarbeitermangel, den grenznahe Gutsbesitzer aus Polen wieder decken konnten. Ende des Jahrhunderts beanspruchte der gestiegene Anteil der Hackfrüchte Kartoffeln und Zuckerrüben vor allem in Sachsen einen Arbeitsbedarf, den die so genannten ?Sachsengänger? ausgleichen konnten. Das waren einheimische Kräfte, weil Bismarck die Ausländer ausgewiesen hatte. Allerdings verdrängten die Saisonarbeiter die Landbevölkerung, die ganzjährig auf Beschäftigung angewiesen war. Diese wanderten in die Industriestädte. Die Saisonarbeitskräfte waren ?frei?, wie die IG BAU in ihrer Dokumentation über ?Landwirtschaftliche Saisonarbeit 2001? schreibt. Gut verdienende Landwirte mit intensiver Produktion konnten hohe Löhne zahlen. Betriebe mit geringerer Produktivität mussten auf billigere Saisonkräfte aus Osteuropa zurückgreifen, was nach 1880 auch wieder zugelassen wurde. Bald lag die Zahl bei 20.000 jährlich. In den 1960er und 70er Jahren wurde trotz des Eisernen Vorhangs auf polnische Saisonarbeiter in Westdeutschland zurückgegriffen. In der BRD gab es rund 50.000 Erntehelfer, in der DDR bis zu 150.000 aus den ?sozialistischen Bruderländern? in der landwirtschaftlichen Saisonspitze.
Bereits 1919 galt der Satz, das zum Ausgleich der Leistungsbereitschaft eines polnischen Arbeiters, die doppelte Zahl einheimischer Kräfte notwendig wäre.
Harte Arbeit Landwirtschaft
Bei über fünf Millionen Arbeitslosen sind die Rufe natürlich laut, dass zuerst die eigene Bevölkerung eine Anstellung bekommen soll. Doch die Rufer haben kaum auf einem Feld gearbeitet: Wer viele Stunden bei Regen, Wind oder Sonne auf staubigem Feld in gebückter Haltung zugebracht hat, weiß abends was er getan hat. Oftmals beginnt die Arbeit noch vor Sonnenaufgang; Sonntage oder Feiertage gibt es nicht. Die Bauern müssen sich auf die Erntehelfer verlassen können, denn Spargel und Erdbeeren sind empfindliche Kulturen. Wird Spargel nicht richtig gestochen bedeutet das einen Qualitätsverlust oder im schlimmsten Falle einen Ernteausfall. Die Trainingsmaßnahmen im Erntevorfeld waren in den letzten Jahren bei den deutschen Arbeitslosen nicht sehr ertragreich. Innerhalb der ersten Woche schmissen viele wieder hin und meldeten sich krank.
Heinrich Alt, Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, nannte Anfang des Monats die Voraussetzungen für Saisonarbeiter: ?1. Die Menschen müssen geeignet sein. 2. Sie müssen mit dieser Arbeit einverstanden sein. Und 3. der Landwirt, dessen Jahresverdienst ja häufig von der Ernte abhängt, muss davon überzeugt sein, dass wir ihm Arbeitskräfte vermitteln, die eine gute Leistung erbringen.?
Gert Sonnleitner, Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), sieht das ähnlich: ?Leistungsbereite und Leistungswillige deutsche Arbeitsuchende mit dem notwendigen Engagement werden als Arbeitskräfte in bayrischen und deutschen landwirtschaftlichen Betrieben jederzeit mit offenen Armen aufgenommen. Zwangsweise vermittelte deutsche Arbeitslose, die nur zum Erhalt ihres Arbeitslosengeldanspruches durch landwirtschaftliche Betriebe durchgeschleust werden, sind für die heimischen Bauern eine unzumutbare Belastung.?
Bürokratie
Mittlerweile dürfen ausländische Saisonarbeitskräfte vier Monate im Jahr, und damit einen Monat länger als bisher, beschäftigt werden. Die Betriebe dürfen jetzt acht Monate lang Saisonarbeitskräfte beschäftigen, was bisher auf sieben Monate begrenzt gewesen ist. Im Obst-, Gemüse-, Wein-, Hopfen und Tabakanbau darf ein Betrieb ganzjährig Saisonarbeitskräfte beschäftigen. Allerdings weist der DBV noch auf ein ungeklärtes Problem hin: Die Neuregelung der Sozialversicherungspflicht. Bisher waren die meisten Saisonkräfte aus Osteuropa sozialversicherungsfrei beschäftigt.
Seit dem EU-Beitritt Polens müssen die Bauern meist Sozialversicherungsabgaben nach dem Recht des jeweiligen Heimatlandes in Höhe von 48 Prozent zahlen. Sonnleitner unterstrich , dass der Berufsstand frühzeitig versucht habe, die Sachlage mit der Politik zu klären. Die Bundesregierung solle mit Polen diesbezüglich eine Sonderregelung vereinbaren, denn die Abgaben bedeuten eine ?Kostenexplosion und eine weitere extreme bürokratische Belastung für die deutschen Landwirte?.
In Brandenburg werden rund 3.000 Männer und Frauen aus dem östlichen Nachbarland das königliche Gemüse stechen. 2004 stieg der Anteil deutscher Erntehelfer gegenüber dem Vorjahr von acht auf 10,5 Prozent an. Trotzdem: Die polnischen Spargelbetriebe suchen mittlerweile selber händeringend erfahrene Spargelstecher ? die kommen dort bereits aus Weißrussland und der Ukraine, wie der Tagesspiegel berichtete.
VLE