Veggie: Jetzt geht es um die Wurst
Ernährung
Vegetarier und DLMBK ringen um den Marketingbegriff
Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Zwei Jahre vor der Wende konnte Gottlieb Wendehals die deutschen Charts mit diesem Lied erklimmen. Geschrieben und erstmals produziert wurde das Lied von Stephan Remmler schon ein Jahr zuvor. Als Spruch fand er 1867 Eingang in das Deutsche Sprichwörterbuch. Und das Original hatte einst der britische Dramatiker Francis Beaumonts in seinem Werk „Der Ritter von der brennenden Keule“ im Jahr 1613 niedergeschrieben.
Wurst und Vegetarier
Der Verzehr von Fleisch ist seit den Zeiten der Jäger und Sammler den Gesellschaften inhärent, Pythagoras hat die vegetarische Lebensweise erst tausende Jahre später um das Jahr 500 v.u.Z. begründet. Der Start in die pythagoreische Neuzeit deckt sich mit der viel weiter östlich erstmaligen Erfindung der Wurst. Die Chinesen sollen die ersten wurstähnlichen Produkte aus Lamm- und Ziegenfleisch hergestellt haben.
Hielten Pythagoras und die Chinesen im übertragenen Sinne die Wurstenden fest, gab es zwischen den Wurstenden die spannendste Entwicklung. Hinter dem Begriff der „Alternativen Proteinquellen“ decken die verschiedensten Pflanzen, laborgezüchtete Texturprodukte und Insekten die Ersatzbedürfnisse der heutigen Veganer und Vegetarier ab. Die Wurst selbst stand bislang nicht auf dem Spiel, die Gesichter an den Wurstenden haben sich verändert.
Die Fleischbranche will zwischen den Enden am liebsten nur tierische Proteinquellen dulden. Doch der aus welchen Gründen auch überwältigende Erfolg alternativer Wurst- und Fleischersatzteile für Fleischverweigerer, aus welchen religiösen, weltanschaulichen, umweltbedingten oder aus Tierrechtsansprüchen abgeleiteten Gründen auch immer, hat einen monetären Eindruck nachhaltig in die Geschäftsbücher geschrieben.
Nur so ist zu erklären, das traditionelle Chinesen-Nachfahren, wie die Rügenwalder Mühle oder die Metro, auch auf der Seite der Nachfolger Pythagoras´ mitziehen [1]. Den Vegetariern gelingt es auf absehbare Zeit nicht, ein Produkt von so tiefgreifender Marktdurchdringung und emotionaler Strahlkraft zu entwickeln, wie die Chinesen mit der tierischen Wurst.
Aus diesem Grund wurden Sehnsuchtsbegriffe der Verbraucher, wie Steak oder Bratwurst einfach vegetarisiert. Das ist keine Niederlage der Veggies, keine Demütigung der Fleischesser, sondern eine würdevolle Huldigung an errungene Empathien der tierischen Wurst. Die Vegetarisierung der Wurstbegriffe sicherte den Euro-Strom von der Ladenkasse in die vegetarischen Taschen.
Der Namensstreit, wie der Inhalt zwischen den Wurstenden fake-frei gestaltet werden kann, ist ungelöst. Die Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission (DLMBK) hatte im Dezember 2018 einen Versuch unternommen, eine künftige Verkehrsauffassung zu prägen und erlaubte weitestgehend die Vegetarisierung der Begrifflichkeiten in einfachen Regeln. So kann nach Analyse des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv) jeder Verbraucher hinter dem Begriff „Vegetarisches Schnitzel“ die Idee des Pythagoras erkennen.
Jetzt, ein halbes Jahr später, haben die Chinesen in der DLMBK die Oberhand gewonnen. Neue Leitsätze sollen die Würste deutlicher trennen. Aus der veganen Leberwurst soll jetzt die „vegane Sojastreichwurst nach Art einer Leberwurst“ werden. Der Verein ProVeg hat zusammen mit Herstellern veganer und vegetarischer Produkte sowie dem neuen Proteinverband eine ablehnende Stellungnahme zu den neuen Leitsätzen vorgelegt.
„Es bestand kein Bedarf, die bisher üblichen Bezeichnungen neu zu regeln. Seit Jahrzehnten sind vegane und vegetarische Lebensmittel im Handel unter Produktbezeichnungen zu finden, die sich an ihre tierischen Gegenstücke anlehnen. Der übliche Zusatz ,vegan‘ oder ,vegetarisch‘ bietet den Verbrauchern dabei Orientierung und stellt ein wichtiges Verkaufsargument dar“, sagt Felix Domke, Leiter Politik von ProVeg am Donnerstag.
Die Produkte sollen weiterhin „attraktiv und informativ“ benannt werden dürfen. Mit wachsendem begrifflichem Abstand zum Umsatzbringer Wurst und Fleisch aus tierischer Produktion wird auch der Umsatz für den vegetarischen Ersatz kleiner. Noch ist wie bei der Milch nicht gleich der Gattungsbegriff „Fleisch und Wurst“ rechtlich geschützt.
Milch und Milchprodukte müssen aus Milch von Nutztieren sein und hergestellt werden. Daher kann heute niemand mehr Sojamilch kaufen. Die meisten Verbraucher können das nicht glauben und kommen mit einem Sojadrink zurück, obwohl sie eine Sojamilch kaufen sollten. Sie stellen das Getränk auf den Tisch und sagen. Hier ist doch die Sojamilch!
Der rechtliche Schutz für den Begriff Milch hat nach phantasievollem Marketing dem steigenden Ab- und Umsatz von Sojagetränken keinen Abbruch getan. Im Alltag segelt der rechtlich von der Milch getrennte Drink schon lange auf dem Umsatzmeer. Das wird auch für die pythgoreischen Würste gelten, wenn die Guillotine des Gattungsbegriffes die beiden Wurstenden trennt.
Weil die Markenbildung ein langer Weg ist, sollten die ProVegs schon heute damit anfangen. Aber natürlich haben sie Recht. Wer ist schon an der Wursttheke begeistert, wenn der Kunde vor einem seine Bestellung aufgibt: Ich hätte gerne 200 Gramm vegane Sojastreichwurst nach Art einer Leberwurst. Dann hätte ich noch gerne 100 Gramm von der leckeren veganen Salami aus Weizen und mit Eiern aus der Freilandhaltung mit regionalem Rapsöl als Speckersatz nach klassischer Art. Nach der dritten Bestellung hofft die ganze Warteschlange, dass die Verkäuferin nicht fragt: Darf es etwas mehr sein?
Lesestoff:
[1] Neuer Protein-Verband für vegetarische Würste: https://herd-und-hof.de/ernaehrung-/alternative-proteinquellen.html
Roland Krieg