Vergiftetes Milchpulver und versteckte Allergene

Ernährung

Stockmeyer Wissenschaftspreis 2011

Der Stockmeyer Wissenschaftspreis wurde im Rahmen der 52. Arbeitstagung Lebensmittelhygiene am 30. September 2011 in Garmisch-Partenkirchen verliehen. Der Preis ist mit jeweils 10.000 Euro dotiert. Aufgrund der Qualität der eingereichten Arbeiten werden in diesem Jahr zwei Preise mit zusammen 20.000 Euro vergeben. Mit der Auszeichnung will die gemeinnützige Heinrich-Stockmeyer-Stiftung Arbeiten mit besonderem Praxisbezug und anwendungsorientierte Forschung zur Erzielung von mehr Lebensmittelsicherheit fördern und damit zur Stärkung des Verbrauchervertrauens in die Qualität von Lebensmitteln beitragen.

Melamin im Milchpulver

An vorsätzlich mit giftigem Melamin gestrecktem Milchpulver starben vor drei Jahren in China elf Säuglinge, knapp 300.000 Kinder erkrankten an Nierensteinen, mehr als 10.000 von ihnen mussten stationär behandelt werden. Weltweit wurde ein Importverbot für chinesische Milchprodukte erlassen, doch zu spät: Zu diesem Zeitpunkt war das kontaminierte Milchpulver in Afrika schon im Umlauf. Im Februar letzten Jahres flog in China eine Fabrik auf, die verseuchte Reste umetikettiert hatte. Im Juli 2010 tauchte in China erneut mit Melamin verseuchtes Milchpulver auf, insgesamt 26 Tonnen sollen produziert und in Zentralchina verkauft worden sein. Die Wiener Forschungsgruppe um Frau Professor Schoder konnte systematisch nachweisen, dass giftiges Milchpulver auch nach Afrika eingeschleust wurde.
Warum gelangt Melamin in die Nahrung? Melamin wird ausschließlich zur vorsätzlichen Verfälschung des Proteingehalts zugesetzt. Dieser ist ein wesentliches Qualitätskriterium von Lebens- und Futtermitteln, und damit auch Grundlage für den Preis der Rohstoffe. Das Melamin ist eine heterocyclische Verbindung, das heißt, einzelne Kohlenstoffatome sind im ringförmigen Molekül durch Stickstoff ersetzt – es resultiert eine sehr stickstoffreiche Substanz. Da der Proteingehalt von Lebensmitteln routinemässig über den Stickstoffgehalt bestimmt wird, erhöht das billige Melamin mit seinem hohen Stickstoffanteil scheinbar den Gehalt an wertvollem Eiweiß. Es handelt sich somit um eine gezielte Manipulation zur Vortäuschung höherer Qualität.
Melamin wird im Körper sehr rasch umgesetzt und kann gerade bei Babys zur Bildung von Nierensteinen führen. Diese Nierensteine sind aufgrund ihrer besonderen Zusammensetzung schwer zu diagnostizieren. Für Röntgengeräte sind sie praktisch unsichtbar, sie können nur mit Hilfe von Ultraschall erkannt werden. Gerade in Schwarzafrika, wo praktisch keine Lebensmittelüberwachung existiert, fehlen solche Geräte – ebenso wie gut ausgebildete Ärzte.
Die Dunkelziffer ist deshalb hoch, die Folgen einer Verunreinigung von Milchpulver nicht übersehbar.
Die bisherigen Ergebnisse sind alarmierend: Bis zu 11 Prozent der untersuchten Babynahrungsmittel waren melaminpositiv, sagt Schoder. „In der Zwischenzeit konnte das tansanische Gesundheitsministerium mehr als 40 Tonnen chinesisches Milchpulver konfiszieren.“
Prof. Dr. Dagmar Schoder ist Tierärztin und leitet die Forschungsgruppe „Globale Lebensmittelsicherheit“ am Institut für Milchhygiene und Lebensmittelwissenschaften
in Wien. Als Präsidentin von Tierärzte ohne Grenzen unterstützt sie die Untersuchung von Lebensmitteln in Afrika. Die Organisation verfolgt als bisher einzige die Frage, wie viel melaminverseuchtes Milchpulver nach Afrika gelangt ist. Systematisch suchte sie vor Ort nach Milchpulver und untersuchte die Proben.

Spuren von Allergenen

„Kann Spuren von Haselnüssen enthalten“ – mit Warnhinweisen wie diesem kennzeichnen Lebensmittelhersteller in der EU Produkte, deren Zutaten Allergie- oder Unverträglichkeitsreaktionen auslösen können. Doch das betrifft nur die Rezeptur, nicht aber sogenannte versteckte Allergene. So können beispielsweise in einer Keksfabrik beim Wechsel von einem Produkt zum nächsten Allergene wie etwa Spuren von Haselnüssen über die Backformen in Kekse verschleppt werden, die laut Rezept gar keine Nüsse enthalten sollen – und deshalb auch keinen Warnhinweis aufweisen. Bisher werden solche Backformen oft nur ausgekratzt oder abgeschabt, mit dem Ergebnis, dass Keksreste hängen bleiben und in das nächste Produkt gelangen können.
Forscher am Paul-Ehrlich-Institut nutzten eine nachgebaute Keksbäckerei und simulierten den industriellen Prozess mit verschiedenen Teigmischungen, die Haselnusssplitter und Haselnussgries enthielten. Anhand dieser Modellsysteme im Technikum stellte Röder fest, dass die gängigen Reinigungsmethoden nicht geeignet sind, um Allergiker vor unerwarteten Reaktionen zu schützen. Er fand aber auch eine Lösung: Schon das Abspülen mit heißem Wasser reicht aus, um reproduzierbar den Gehalt an Haselnussprotein im nachfolgenden Produkt auf weniger als ein Milligramm pro Kilogramm zu reduzieren – einen Wert, bei dem Allergiker nach gängiger Expertenmeinung keine schweren allergischen Reaktionen erleiden.
Nicht für alle kennzeichnungspflichtigen allergenen Lebensmittel standen bisher auch geeignete Nachweismethoden zur Verfügung – Mandeln und Paranüsse konnten in der Praxis nicht zügig detektiert werden. Zweiter Schwerpunkt der Arbeit von Martin Röder war deshalb, mit Hilfe der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) einen empfindlichen und genauen Test zu entwickeln. Zunächst im Labor mit verschiedenen Schokoladen- und Keksmischungen und dann in der Praxis mit einer Vielzahl von Lebensmitteln stellte der neue Test seine Leistungsfähigkeit unter Beweis.
So können Lebensmittelhersteller gleich doppelt die Lebensqualität für Allergiker verbessern: Einmal verhindert eine verbesserte Reinigung der Maschinen die Bedrohung durch versteckte Allergene. Dazu hilft der neue Test schon bei der Produktion, den tatsächlichen Gehalt an allergenen Bestandteilen herauszufinden. Damit müssen nur solche Produkte eine Warnung wie beispielsweise „Spuren von Haselnüssen“ tragen, in denen tatsächlich Gefahr besteht. Unnötige Einschränkungen lassen sich so vermeiden. Die neuen Testmethoden helfen auch den Lebensmittelüberwachern: Die Kontrolleure können besser herausfinden, ob sauber gearbeitet und richtig gekennzeichnet wurde.
Martin Röder, Jahrgang 1978, studierte Lebensmittelchemie an der Universität Würzburg und ist seit 2005 staatlich geprüfter Lebensmittelchemiker. Danach begann er seine Doktorarbeit zum Thema “Identification and sanitation of allergenic cross-contact in food industry and development of novel allergen detection methods” am Paul-Ehrlich-Institut in Langen in der Abteilung Allergologie unter der Leitung von Prof. Dr. Stefan Vieths in der Gruppe von Dr. Thomas Holzhauser.
Die an der Universität Frankfurt eingereichte Arbeit basiert auf fünf Forschungsartikeln, die schon in anerkannten Fachzeitschriften veröffentlicht wurden.

Lesestoff:

www.heinrich-stockmeyer-stiftung.de

roRo

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