Verschwenderisch
Ernährung
Lebensmittelverluste minimieren
Seit zwei Wochen verausgabt sich das
Bundeslandwirtschaftsministerium mit Presseterminen zum Thema
Lebensmittelverschwendung. Parallel zu den europäischen Anstrengungen, weniger
Lebensmittel auf den Müll zu werfen, hat Bundesministerin Ilse Aigner vor
kurzem mit einer ausführlichen Studie die deutsche Sicht der Dinge in den
Vordergrund1) gerückt.
Auf der Konferenz zu Strategien gegen die
Lebensmittelverschwendung am Dienstag in Berlin durfte sich die Ministerin
einer breiten Unterstützung sicher sein. Kirche, Umweltorganisationen und
Handel sowie Verbraucherschützer und Bauernverbände nehmen das Thema ernst.
Trotzdem knirscht es nicht nur im Detail.
Thema getroffen?
Schon bei der Vorstellung der Studie kritisierten
Grünen und Linke die Ausrichtung des Themas. Aigner wärme „nur alte, längst
bekannte Zahlen“ auf, sagte Nicole Maisch, verbraucherpolitische Sprecherin der
Grünen. Sie schiebe die Hauptverantwortung den Verbrauchern zu und habe kein
Konzept für Industrie und Handel. Maisch forderte Discounter auf,
beispielsweise Orangen nicht nur im Gebinde von zehn Stück, sondern
bedarfsgerecht auch einzeln zu verkaufen.
Auch die Linken wehren sich gegen den Fokus auf die
Verbraucher. Karin Binder, Verbraucherpolitikerin der Linken, sieht den
ruinösen Wettbewerb in der Lebensmittelbranche als „Hauptgrund für die
Verschwendung“: „Hersteller und Handel entwerten unsere Lebensmittel durch
Niedrigstpreise, aggressive Werbung und Waren im „XL-Format“.
Romuald Schaber vom Bundesverband Deutscher
Milchviehhalter sieht eine verfehlte Politik als Mitverursacher der
Müllproblematik. Die Ausrichtung der Agrarpolitik auf globale Wettbewerbsfähigkeit
habe zur Minderung der Wertschätzung von Lebensmitteln geführt: „Eine
Nahrungsmittelproduktion, die nach dem politisch gewollten Prinzip „Möglichst
viel und möglichst billig“ funktioniert, trägt zur Wegwerfmentalität
entscheidend bei.“ Schon die Neuausrichtung der europäischen Agrarpolitik könne
die Weichen zu weniger Lebensmittelabfall stellen.
Der Deutsche Bauernverband (DBV) nimmt den Fokus gleich
auf und unterstreicht, dass die „Lebensmittelverluste überwiegend in privaten
Haushalten“ zu finden sind. Daher müsse das „Umdenken im Umgang mit
Lebensmitteln“ vor allem bei Verbrauchern einsetzen. Der DBV ist froh, dass die
Studie seinem Geschäftsbereich nur einen kleinen Anteil der Verluste
zuschreibt.
Noch am Montag wies ein Sprecher des Ministeriums in der
Regierungspressekonferenz ausführlich auf die neue Internetseite des
Ministeriums2) und die Tagung zum Thema hin. Das Interesse war
minimal. Keine Fragen und Bemerkungen der Journalisten waren zu verzeichnen.
Aigners Synonym für Konsumkritik?
Das Thema wurde in den letzten Tagen mit sehr viel
Schwung behandelt, der auf der Tagung am Dienstag in Berlin mit Ausschnitten
des Films „Taste the Waste“ visualisiert fortgeführt wurde. Tim Kuschnerus,
Leiter des Berliner Büros des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED), legte
die altruistische Sicht der Zeile „Unser täglich Brot gib uns heute“ dar. Weder sei von „meinem“ oder „deinem“
Brot die rede, noch stehe „Brot“ für die Backware allein. Bereits Luther habe
auf die Allegorie hingewiesen, dass mit „Brot“ Kunst, Kultur, der Umgang mit
dem Nachbarn und alle andere Dinge des täglichen Bedarfs gemeint sind.
Dann wird die Strategie gegen die
Lebensmittelverschwendung aber schnell zum Synonym gegen den Konsumstil
allgemein und es bleibt die Frage, ob die Lebensmittelverschwendung von der
allgemeinen Konsumkritik entkoppelt werden kann?
Denn gerade wegen der starken Visualisierung und
Verwendung falscher Zahlen forderte Franz-Martin Rausch, Hauptgeschäftsführer
des Bundesverbandes des Deutschen Lebensmittelhandels (BVL) schon zur
„Versachlichung“ des Themas auf. Es wird nicht jede zweite Kartoffel
fortgeschmissen. Die Abschriften bewegen sich zwischen zwei und drei Prozent.
„Nicht mehr und nicht weniger“, so Rausch.
Die Gegenreden
Die Berliner Tagung gab Industrie und Handel
ausführlich Gelegenheit Stellung zu nehmen. Wenn Nahrungsmittel wegen
schlechter Qualität einer anderen Verwendung zugeführt werden, dann sei nach
Rausch noch zu prüfen, inwieweit das Lebensmittelabfälle sind. Aigner will sich
europaweit für die Abschaffung der Handelsnormen stark machen, die sie in
Verbindung mit dem Anteil an Lebensmittelabfall bringt. Schon der Deutsche
Raiffeisenverband wies auf seiner Fachtagung Obst und Gemüse diese Idee
entschieden zurück. Vermarktungsnormen seien für den Handel zwischen Kaufleuten
wichtig. Sollten Obst und Gemüse nicht den Normen entsprechen, suchten die
Erzeuger schon aus wirtschaftlichen Gründen nach Alternativen wie
beispielsweise der Verarbeitungs- oder Futtermittelindustrie. Sollte auch das
nicht möglich sein, verbleiben die Früchte auf dem Feld als Gründünger oder
werden in Biogasanlagen in Strom, Gas oder Wärme umgewandelt.
Die Stuttgarter Studie mahnte mangelnde Daten an,
weswegen sie mit Mittelwerten für den Abfall bei Industrie und Handel weiterrechnete.
Doch statt Millionen von Tonnen habe der BVL mit Hilfe des EHI-Instituts
genauer nachgerechnet und kommt auf rund 310.000 Tonnen, die der Verschwendung
zugerechnet werden dürften. Die Daten will Rausch dem
Bundeslandwirtschaftsministerium zur Verfügung stellen.
Der Handel sieht sich auf der Effizienzseite. Schon am
Tag der Studienvorstellung verkündete Peter Feller, Geschäftsführer der
Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie, dass die Firmen wegen der
hohen Marktkonzentration auf der Handelsseite bereits auf eine Minimierung des
Ausschusses achten. „Die in der Studie angesetzte Größenordnung in Höhe von 17
Prozent erscheint zu hoch“, so Feller. Rausch ergänzte in Berlin, dass nur die
Produkte im Regal stehen, die auch gekauft werden. Die Breite des Sortiments
sei kein Verschwendungsindiz.
Nicole Oppermann von Kraft Foods wehrt sich gegen den
Vorwurf undifferenzierter Verpackungen. Kraft biete beispielsweise Streichkäse
in handlichen 16,5 - Gramm Packungen für die Gastronomie und im Zehn-Liter-Eimer
für die Bundeswehr an. Im auf Effizienz getrimmten Warenwirtschaftssystem werde
auch bei Lieferanten von sensiblen Produkten wie Obst und Gemüse, die am
meisten weggeworfen werden, abgestimmt, wer wann welche Mengen anliefern darf.
Farm-Management und Vermarktung erzielen weniger Abfall als das Ende der
Lieferkette und der Handel in der Mitte arbeite effizient, erläuterte
Oppermann.
Udo Hemmerling, stellvertretender Generalsekretär des
Deutschen Bauernverbandes (DBV), unterstrich, dass die Bauern verwundert seien,
dass die Hälfte der Kartoffeln weggeworfen werden sollen. Die Agrarpolitik habe
mit den Butterbergen und Milchseen der 1980er Jahren nichts mehr gemeinsam. Die
Bauern befinden sich in einem Nachfragemarkt und produzieren die Mengen, die abgesetzt
werden können. Die Entkopplung der Direktzahlungen von der Produktion in
Deutschland lasse keine Überproduktion mehr aufkommen. Die Diskussion um
Lebensmittelabfälle bringe aber die Themen Qualität und Welternährung auf die
Agenda. Das Abschaffen der Normen „sei ein bisschen vorschnell“ so Hemmerling,
doch könne es nicht sein, dass die Handelsketten eigene Normen definieren. Man
müsse sich auf eine für alle verbindliche Handelsnorm einigen. Das kann die
Abfallmenge weiter reduzieren. Weltweit stehe Deutschland jedoch gut da. Allein
in Afrika vergammeln wegen fehlender Kühlketten und geschützter
Lagermöglichkeiten rund 30 Prozent der Ernte. Was Verbraucher in den letzten
Jahrzehnten verloren haben sei die „vorausschauende Vorratshaltung“, so Hemmerling.
Das Thema Hauswirtschaft sei aus der Mode gekommen.
Der Beginn vom Anfang
Oft liegt die Wahrheit zwischen Predigt und
Sachlichkeit. Die zwei Wochen zwischen Studienveröffentlichung und bundesweiter
Tagung haben eine Vielzahl an Aktivitäten hervorgerufen.
So hat eine Schwachstellenanalyse von Prof. Petra
Teitscheid von der Hochschule Münster für Nordrhein-Westfalen in der letzten
Woche folgende Details offenbart:
Gemüse: Hier sind häufig Produktspezifikationen, Vermarktungsnormen und standardisierte Verpackungen im Handel Gründe für die Entstehung von Lebensmittelverlusten. Bei der Direktvermarktung von Gemüse ist der Verlust dagegen geringer.
Backwaren: Die zentralen Ursachen für Verluste sind hier die kurze Produktfrische bei gleichzeitig geforderter Verfügbarkeit der frischen Waren bis kurz vor Ladenschluss.
Milchprodukte: In der Wertschöpfungskette für Milch und Milchprodukte treten nennenswerte Ursachen meist durch technische Fehler wie zum Beispiel Fehlproduktion durch Maschinenschäden auf. Auf der Handelsstufe ist das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) von Milch und Milchprodukten ein wichtiges Kriterium für den Absatz. Bei zu kurzer MHD-Restlaufzeit werden Waren aussortiert.
Einen indirekten Ansatz formulierte Ulrike Höfken,
Landwirtschaftsministerin in Rheinland-Pfalz. Während Fast Food mit sieben
Prozent besteuert wird, wird Schulessen von Caterern mit 19 Prozent
Mehrwertsteuer belegt. Die Bundesregierung wolle zwar gesundes Schulessen aus
der Region, benachteilige es aber mit hoher Besteuerung.
Nach Vorstellung des Verbraucherverbands Bundeszentrale
solle der Handel bei fast abgelaufenen Produkten die Preise deutlich
reduzieren.
Und, da das Thema ein europaweites ist, hat die
Universität Hohenheim sich dem Projekt „Fusion“ angeschlossen. Das neue Netzwerk
will gegen die Lebensmittelverschwendung mit einem Lebenszyklus von
Nahrungsmitteln nach Schwachstellen fahnden, wo Essen unnötigerweise
fortgeschmissen wird. Die Ergebnisse sollen auch in eine Politikberatung und
Politikvorbereitung fließen. Das Projekt startet im Sommer 2012.
Für die Forschung kalter Kaffee
Unglücklicherweise verdrängt die Wucht, mit dem das Thema angegangen wird, die fortlaufende Forschung verschiedener Institute, Lebensmittelabfälle zu minimieren. Eine kleine Auswahl:
Vor ein paar Jahren wurde die ESL-Milch verteufelt. Die Milch mit extralangem Regalleben (Extra Shelf Live) wurde speziell für den Handel und für Kleinverbraucher entwickelt. Lediglich mit technologischer Bearbeitung in der Molkerei ist unveränderte Frischmilch noch nach zwei Wochen frisch. Der Handel kann seine Einkäufe besser planen und der Ein-Personen-Haushalt muss die Milch nicht innerhalb von zwei Tagen verbrauchen3).
Getreide wächst auf dem Feld nicht gleichmäßig heran. Je nach Witterung landen gute und schlechtere Getreidekörner im Tank des Mähdreschers. Seit einiger Zeit ist ein Bypass im Elevator des Mähdreschers in der Testphase. Die Körner werden in Echtzeit aus dem Förderstrom zum Tank kurzzeitig umgeleitet und auf bestimmte Qualitäten beprobt. Das schwenkbare Förderrohr entlädt das Getreide nach Qualitäten sortiert in zwei getrennte Tanks für zwei verschiedene Vermarktungen4).
Vieles hängt vom richtigen Erntezeitpunkt ab. Das Leibniz-Institut für Agrartechnik in Potsdam-Bornim kann vor der Ernte mit einem spektraloptischen Bild den aktuellen Reifegrad von Äpfeln ermitteln. Dann werden sie nicht zu früh und nicht zu spät geerntet und kommen optimal bei Händler und Kunden an5).
Schimmelpilze im Malz können in der Brauerei, und manchmal auch erst beim Kunden, das Bier zum Schäumen bringen. Die Ernährungstechnologen sprechen vom Gushing, einem komplizierten Prozess, der auch erst beim Mälzen entstehen kann. Die TU München arbeitet an Verfahren das technologische Gushing in der Brauerei zu verringern6).
Lesestoff:
1) Herd-und-Hof.de –
Sondermeldung zur Studie
3) ESL-Milch
4) Der Mähdrescher mit dem
Bypass
5) Ermittlung des richtigen
Erntezeitpunktes
6) Reduzierung des
Hydrophobin-verursachten Gushings
Roland Krieg