Vier Nährwertzeichen in der Endrunde
Ernährung
Nährwertkennzeichnung: Jetzt entscheiden die Verbraucher

Der Ernährungsausschuss brachte es diesen Montag an den Tag: 15 Jahre Verhaltensprävention haben gegen Übergewicht, Adipositas und für eine gesunde Ernährung nicht verfangen [1]. Die Ernährungsexperten fordern den Start eines systemischen Gesundheitsansatzes ein, zu dem auch ein Nährwertkennzeichen gehört. Am Donnerstagabend stellte Bundesernährungsministerin Julia Klöckner zusammen mit dem Präsidenten des Max Rubner-Instituts (MRI) Prof. Dr. Pablo Steinberg (links im Bild) und dem Vorstand Dr. Holger Liljeberg von der Info Markt- und Meinungsforschung die vier Nährwertmodelle vor, die in einer Verbraucherforschung in den Endspurt der Publikumsgunst gehen.
Nach Konsultationen mit den Bundesländern, der Wissenschaft, Lebensmittelindustrie und Verbraucherschützern ist ein ausgeklügeltes Verfahren herausgekommen, das kaum etwas zu wünschen übrig lässt. Aus der Vielzahl der Modelle haben sich bis Donnerstag erst 16, dann sechs auf einer Shortlist widergefunden, von denen jetzt vier Modelle in die Verbraucherauswahl gehen. Wie schwierig das Thema ist, beweist die Rücksichtnahme auf die gesetzliche Ausgangslage, die dem inhaltlichem Wettbewerb der vier Modelle in nichts nachsteht.
Die rechtliche Lage
Julia Klöckner hatte ihre Rechtsberater im Hintergrund dabei, um nichts Falsches zu sagen. Iglo musste seinen geliebten NutriScore nach Einwurf eines Abmahnvereins wieder einstellen, während noch Nestlé gestern noch verkündete, den NutriScore europaweit zu verwenden – außer in Deutschland, weil die Rechtslage unsicher ist. Wie verwickelt das ist, zeigte das Ausbleiben einer eindeutigen Erklärung, warum Danone seine NutriScore-Produkte auch in Deutschland verkaufen darf und nur Iglo seine Produkte verwerfen musste. Aber sonst gilt: „Die Unternehmen dürfen grundsätzlich freiwillige Kennzeichen verwenden und unterliegen dabei den selben Anforderungen, denen auch staatlich empfohlene Modelle unterliegen.“ Der Rechtsexperte sagte, es sei wohl schwer vor dem Hamburger Landgericht die legale Kennzeichnung des NutriScores in Deutschland durchzusetzen.
Warum? „Es muss ein stattliches empfohlenes Label sein. Und wir arbeiten gerade daran“, sagte der zweite Rechtsexperte. Eigentlich wollte die EU-Kommission über ein europaweites einheitliches Nährwertmodell berichten, hat aber in der Vergangenheit die Veröffentlichung eines abschließenden Berichtes immer wieder verschoben. Bundesernährungsministerin Julia Klöckner sagte, Deutschland habe auf den Bericht gewartet, um für eine nationale Empfehlung tätig werden zu können, wolle aber jetzt nicht mehr länger warten. Wann die EU den Bericht veröffentlicht, ist unklar. Je später es allerdings wird, desto eher entsteht ein Flickenteppich in der EU.
Umsetzung der Verbraucherforschung
Um ein Modell zu empfehlen, muss das Mitgliedsland eine Verbraucherforschung durchführen. Das wird in den Monaten Juli und August die Info GmbH Markt- und Meinungsforschung umsetzen. Das passiert nach Dr. Liljeberg in zwei Stufen. In zehn regional verteilten Gruppensitzungen werden in bis zu 40 Stunden Arbeit qualitative Erhebungen über die vier Modelle gesammelt. Aus diesen Parametern wird eine repräsentative Umfrage, zu zwei Dritteln online, durchgeführt, so dass am Ende eines der vier Modelle „als Sieger“ hervorgeht. Bis Mitte September soll die Auswertung fertig sein, bis März 2020 spricht die Bundesregierung dann eine Empfehlung aus, die von der EU im üblichen Notifizierungsverfahren von drei oder sechs Monaten genehmigt werden kann. Zwischen September und März will Julia Klöckner die rechtliche Grundlage für das Kennzeichen umsetzen, damit kein Abmahnverein mehr seine persönliche Gesundheitspolitik umsetzen kann.

Keine Präferenz
Die letzten Dekaden haben gezeigt, dass über die verschiedenen Modelle sehr emotional gestritten werden kann. Daher haben Verbände, NGO und Verbraucher mittlerweile ihre persönliche Präferenz im Kopf. Dagegen müssen sich alle vier Modelle wehren. Welches Modell am Ende gewinnt, ist Dr. Steinberg und Julia Klöckner egal. Ihre Präferenz und die der EU ist, dass die Entscheidung wissenschaftliche fundiert ist. Auch ein Grund, warum der Werdegang so umständlich ist. Zudem werden Ort und Zeit der Gruppensitzungen nicht veröffentlicht, damit in der Region keine Werbekampagnen für das eine oder andere Label stattfinden kann.
Alle Modelle zeichnen sich dadurch aus, dass sie bewerten und nicht darstellen. Ampelgegnerin Julia Klöckner liegt das Herzen. Kein Produkt soll schlecht oder gut bewertet werden, wie es die in Großbritannien eingeführte Ampelkennzeichnung macht. Alle zur Auswahl vorgelegten Modelle bewerten einen zusammengesetzten Sachverhalt aus Zucker, Fett, gesättigten Fettsäuren, Salz, Energie und weiteren Kategorien. Dem Modell des MRI liegen die gleichen Algorithmen wie dem NutriScore zugrunde. Neben den üblichen Verdächtigen Salz, Fett und Zucker spielen Proteingehalt, Ballaststoffmenge und der Anteil an Obst und Gemüse beim NutriScore eine Rolle für die Bewertung. Es geht also nur um die Designfrage.
Das macht auch das norwegische „Keyhole“-Modell. Bestimmte Produktgruppen werden mit den norwegischen Ernährungsempfehlungen verglichen. Liegt das Produkt innerhalb der Grenzwerte kann die Firma einen grünen Schlüsselloch-Aufdruck verwenden. Das ist eine Positivkennzeichnung. Fehlt sie, nimmt das Unternehmen entweder nicht an der Produktausweisung teil oder verfehlt die Grenzwerte. Für bestimmte Süßwaren wird es gar nicht erst vergeben.
Für wen?
Die Experten haben sich die Frage gestellt, für wen eine Kennzeichnung gemacht werden soll. Die aufgeklärten Bürger, die aufgrund ihres gesunden Lebensstils auch mit der Pflichtangabe der Nährwerttabelle auskommen, ist die neue Kennzeichnung auf der Verpackungsvorderseite nicht gedacht. Das Design soll mit seiner Empfehlung auf den schnellen Blick diejenigen erreichen, die über die Nährwerttabelle unerreicht bleiben. Das sind meist Migranten und bildungsferne Schichten. Für Dr. Steinberg liegt der Erfolg des Labels nicht am Design, sondern in der Marktdurchdringung. Erst wenn 80 Prozent des Lebensmittelmarktes das Siegel tragen, spricht der Ernährungswissenschaftler von einem Erfolg.
Das Label wird per se Menschen nicht gesünder machen. Genauso wenig wie die Zuckerreduktion an sich. Klöckner ist bei dem Thema schon länger im Geschäft und kann Bilanz ziehen. So weit wie heute ist die Bundesregierung beim Thema Kennzeichnung noch nie gewesen. Gegenüber Herd-und-Hof.de erklärte sie auch, was sie als systemischen Ansatz versteht, der am Montag im Ernährungsausschuss gefordert wurde. „Es geht nicht darum, wer für was zuständig ist, sondern, ob man ein Ergebnis erreicht.“ Dazu gehört die frühe Ernährungsbildung oder die lebensorientierte Ernährung, die sie mit Beginn ihrer Amtszeit durch die Ansiedlung eines Zentrums für Kinderernährung am MRI oder der Seniorenernährung eingeleitet hat. „Systemisch ist für mich, wenn wir im Lebensalltag des Menschen und im Lebensstrahl des Menschen stattfinden.“ Politisch nahmen auch Vertreter des Gesundheits- und Wirtschaftsministerium an der letzten Konsultationssitzung am Donnerstag teil.
Der Endspurt
Neben dem MRI-Siegel und dem NutriScore ist auch das norwegische „Keyhole“ und das Label der Lebensmittelindustrie im Rennen. Nach Dr. Steinberg muss die Symbolkraft der Bewertung nicht zwingend farblich sein.
Lesestoff:
Die Analyse des MRI zu den vier und anderen Modellen finden sie unter https://www.mri.bund.de/de/themen/naehrwertkennzeichnung/
[1] Nährwertlabel jetzt! https://herd-und-hof.de/ernaehrung-/naehrwertlabel-jetzt-wenn-auch-mit-maengeln.html
Roland Krieg; Fotos. roRo