"Von wem hat er das nur...?"

Ernährung

Der Druck des adipösen Umfeldes

Zur abendlichen Fußballübertragung noch Chips und Bier kaufen, Eis in der Mittagspause schlemmen oder Pommes Rot-Weiß als zweites Frühstück. Bei einer ausgewogenen Ernährung darf man alles essen – nur nicht zu oft. Doch auch beim Essen, und hier insbesondere bei der schlechten Ernährung, stellt sich die Frage nach dem Verhalten. Die einen wollen „ungesundes Essen“ verteuern, setzen auf eine verpflichtende Kennzeichnung, die anderen setzen auf Aufklärung und Ausbildung: Vernunft macht schlank.

Doch so einfach ist es nicht. Warum verhalten wir uns, wie wir uns verhalten? Die beiden Psychologen Matthias Borgstede von der Universität Bamberg und Frank Eggert von der Technischen Universität Braunschweig sind auf der Suche nach „allgemeinen Prinzipien des Verhaltens“. Eines davon wirkt verstärkend auf das Schlemmen von Eis. Sie sind der Ansicht, dass schlechte Gewohnheiten kein Mangel an Selbstbeherrschung sind, sondern das Ergebnis eines Selektionsprozesses durch die Umgebung.

Beispiel Eis

„Viele Menschen essen gerne Eis. Das liegt daran, dass unter den Bedingungen, in denen sich der Mensch entwickelt hat, energiereiche Nahrung das Überleben und die Fortpflanzung positiv beeinflusst hat“, sagt Borgstede. Der süße Geschmack des Zuckers ist daher im Laufe der Evolution zu einem Signal für evolutionäre Fitness geworden. Sobald die Evolution derartige Signale hervorgebracht hat, tritt ein weiterer Selektionsprozess auf: Lernen durch Erfahrung oder Verstärkungslernen. Wann immer Verhaltensweisen im statistischen Mittel mit Fitness-Signalen zusammenhängen, werden diese Verhaltensweisen selbst zu Fitness-Signalen. Für eine Person, die regelmäßig Eis in ihrem Gefrierschrank hat, wird zum Beispiel das Öffnen der Gefrierschranktür zum Fitness-Signal. „Lernen durch Erfahrung besteht nun darin, dass Verhaltensweisen, die evolutionäre Fitness signalisieren, selektiert werden“, erläutert Borgstede. „Durch diesen Selektionsprozess, kann zum Beispiel das abendliche Öffnen der Gefrierschranktür und das Herausnehmen des Eises zur Gewohnheit werden.“

Manche Gewohnheiten, wie beispielsweise abendliches Eisessen, haben jedoch einen negativen Einfluss auf die Gesundheit und somit auf die evolutionäre Fitness. Das liegt daran, dass Menschen heutzutage praktisch unbegrenzten Zugang zu energiereichen Speisen haben, eine evolutionäre Selektion gegen die Vorliebe für süße Speisen jedoch noch nicht stattgefunden hat. Abendliches Eisessen lässt sich daher nur sehr schlecht durch gute Vorsätze oder Appelle reduzieren. „Schlechte Gewohnheiten sind kein Zeichen mangelnder Selbstbeherrschung, sondern das Resultat eines Selektionsprozesses durch die Umgebung“, schlussfolgert Borgstede. „Wenn wir Verhalten verändern wollen, müssen wir daher die Umgebung ändern. Zum Beispiel können wir dafür sorgen, dass kein Eis mehr im Gefrierschrank ist. Auf diese Weise wird der Spaziergang zur Eisdiele in Zukunft selektiert, statt des Öffnens des Gefrierschranks. Das wäre für die Gesundheit förderlicher.“

Erfahrungsabhängiges Verhalten

„Früher haben viele gedacht, dass es angeborenes Verhalten gibt, das durch die Evolution geformt worden ist, und erlerntes Verhalten, das sich von der Evolution unabhängig im Laufe des Lebens aus den Erfahrungen speist. Wir sagen, dass das, was wir Lernen nennen, nur eine besonders schnelle Form der Anpassung ist, deren Richtung von evolutionären Prozessen bestimmt wird.“

So sind sowohl die Kennzeichnung von Lebensmitteln, als auch die Ernährungsbildung gleich wichtig. Hilfreich ist dabei die Verkleinerung des adipösen Umfeldes durch kleinere Portionen oder mehr Werbung für Obst und Gemüse.

Lesestoff:

Matthias Borgstede, Frank Eggert. 2021. The formal foundation of an evolutionary theory of reinforcement. Behavioural Processes, Volume 186, 104370. https://doi.org/10.1016/j.beproc.2021.104370

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