Was tun gegen das adipöse Umfeld?

Ernährung

Gegen Diabetes: Alles, nur nicht regulieren

Aktuell gibt es 6,7 Millionen Diabetiker in Deutschland. Bis 2025 wird die Zahl auf 20 Millionen ansteigen. In Europa sind es 52 Millionen Menschen, weltweit 400 Millionen. „Diabetes geht uns alle an“, sagte Gitta Connemann, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, die am Mittwochabend zum Fachgespräch Diabetes lud. „Es ist eine Volkskrankheit“, erklärte Connemann, deren Fraktion mit Dietrich Monstadt einen engagierten Berichterstatter für Diabetes und Adipositas aufweist. Der aber mit seinem Nationalen Diabetesplan noch nicht viel weiter gekommen ist [1].

Adipöses Umfeld

Übergewicht und Diabetes sind sehr komplexe Wechselwirkungen zwischen Genetik, Stoffwechselgeschehen, Umwelt und persönlichem Lebensstil. Beim Typ-1-Diabetes müssen schon vermehrt Kleinkinder in Krankenhäusern behandelt werden [2]. Es gibt zwar Hinweise auf die Ursachen, aber noch keine schlüssige Erklärung für die Erkrankung.

Etwas anders sieht es beim Diabetes-2-Typ aus. Neben genetischen Ursachen, nicht jeder Übergewichtige entwickelt eine Diabetes, spielt der persönliche Lebensstil eine große Rolle. Auf den kann Einfluss genommen werden.

Prof. Dr. Hans Hauner, Vorsitzender der Deutschen Diabetes Stiftung, benennt die Parameter für eine ungesunde Lebensführung: Zu wenig Bewegung, TV- und Computerkonsum, das ständige Umgebensein von Lebensmitteln auch quer durch die Nacht in Form von Imbissen und Tankstellen und irreführende Werbung. „Dem ist der Mensch nicht gewachsen.“ Die Mahlzeiten des spontanen Konsums und Convenience-Produkte wiesen zudem eine „fragwürdige Qualität“ auf.

Auch bei der Altersdiabetes werden Anlagen schon in der Jugend gemacht. Selbst aufgeklärte Kinder und Jugendliche erliegen der emotional ansprechenden Werbung über Kinderlebensmittel. Sie sind tragende wirtschaftliche Säule der Kinder-Fernsehkanäle. Da besteht für Prof. Hauner „dringender Handlungsbedarf“.

Vor einigen Jahren wurde der Begriff „adipöses Umfeld“ geprägt, weil Portionen immer größer werden und die Nahrung über Snacks immer ernergiedichter. Derzeit ist der Begriff erfolgreich aus der Diskussion in Deutschland verdrängt worden. Ohne dass sich die Ursachen für die Erkrankungen verändert haben.

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe spricht gerne von „Lebensstilbedingten Erkrankungen“ und legt den Fokus auf das Segment, auf das der Einzelne, die Gesellschaft und die Politik reagieren können. Er legt den Fokus aber auch auf das neue Präventionsgesetz, dass sich von früh (Kita) bis spät (Altenpflege) um die Gesundheitsvorsorge widmen möchte. Auf die Kassenkommen neue Ausgaben hinzu. Die Prävention wird ihre Etats im nächsten Jahr von 95 auf 280 Millionen ansteigen lassen. Gröhe will mit dem Präventionsgesetz auch die „Unerreichbaren“ erreichen und die Prävention mit Beratungen in die Arbeitswelt tragen.

Alles, nur nicht regulieren

„Wir brauchen einen Mehrinstrumentenmix“, ergänzte Bundesernährungsminister Christian Schmidt. Er will aber die Regulierung nicht in den Vordergrund stellen, bevor andere Maßnahmen nicht ausgeschöpft wurden. Regulierungen würden Aufklärung und Eigenverantwortung überblenden. Schmidt setzt daher auf die beliebten Selbstverpflichtungen der Industrie und des Handels, wie das Abschaffen von Quengelkassen oder Reduzierung von Werbung für Kinderlebensmittel. Für eine Regulierung aber schlägt sein Herz: Mit der Reform des Lebensmittelbuches will Schmidt eine Änderung von Rezepturen vorantreiben. Fett und Zucker sollen reduziert werden. Mit dem Satz „Das ist nicht einfach zu erreichen“, verweist er aber auf den Stillstand der Reformverhandlungen.

Klare Ansagen

„Pfui Teufel“ dachte sich Dr. Georg Nüsslein, stellvertretender Vorsitzender der Union, als er den Vorschlag der Rezepturänderung hörte, wie er zu Beginn seiner Rede gestand. „Als Unionsabgeordneter habe ich meine Schwierigkeiten“, kritisierte er auch die Forderungen nach einer Fett- und Zuckersteuer. Er verstehe die Forderungen, glaube aber nicht an den Steuerungseffekt. Damit meinte er Prof. Dr. Baptist Gallwitz, der Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft. Dieser stellte vier klare Forderungen gegen die Volkskrankheit auf: Kita-Kinder sollen täglich einen Stunde Bewegung absolvieren müssen, die Schulverpflegung soll nach Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung ausgerichtet werden, Werbeverbot für Kinderlebensmittel, da der Selbstverzicht sichtbar nicht ausreicht und eine Steuer auf Fett und Zucker, damit Verbraucher einfach auf gesündere Lebensmittel ausweichen können.

Wer mit Steuern gut lenkt, senkt seine Einnahmen, lautet das Resümee der Ökonomin Prof. Dr. Beate Jochimsen von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht. Sie bezweifelt, dass eine Bemessungsgrundlage gefunden werden kann. Wer Zucker besteuern will, der müsse sich auch über Honig Gedanken machen. Jeder Steuerungseffekt bewirke Ausweichreaktionen, die am Ende über den Erfolg der Steuerung entscheiden. Beim Rauchen gebe es ein ganzes Bündeln an Maßnahmen: Neben Steuererhöhung, wirken Rauchverbot, Werbeverbot und Banderolenaufdrucke. Welchen Anteil hat die einzelne Maßnahme?

Klare Ansagen kamen auch von der Ernährungsbranche. Glänzend vorbereitet verteilte Christoph Minhoff aus seiner Aktentasche die Stellungnahme seines Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde auf dem Podium, ganz wie eine NGO, kritisierte die Deutsche Diabetes Stiftung für ihren neuen Partner „foodwatch“, der ein Ernährungswissenschaftler fehle und nannte den Ruf nach Regulierungen als „verführerisches Mittel“ für eine Lebensstiländerung, die nicht greife. Mit Rückblick auf die Kölner Anuga zeichnete er das Mosaik der verschiedenen Lebensstile nach. „To go“ ist selbst mittelfristig unumkehrbar. Die Frage, welche Lebensmittel gesund oder ungesund seien, werde seit Jahrhunderten gestellt und bewege auch die Generationen der nächsten Ära.

Alle in der Verantwortung

Die Unterscheidung ist nach Oecotrophologin Dr. Silke Lichtensteiner nicht leicht zu treffen. Fett, Zucker und Salz dienen auch der Konservierung und dem Geschmack. Vielleicht ließe sich Salz noch am ehesten durch Kräuter oder andere Gewürze ersetzen - als Konservierungsstoff schon eher nicht. Auch bei der Fettreduzierung müssten andere Füllstoffe zum Einsatz kommen, die heute ebenfalls bei Verbrauchern und Ernährungskritikern auf der „roten Liste“ stehen. Sie will die Menschen nicht zurück an den Herd drängen, sondern ihnen die Alternativen in der Gastronomie und in Kantinen gesünder gestalten. Bei dem Programm „9+12“ werden Eltern schon vor der Elternschaft über gesunde Ernährung aufgeklärt.

Bei Querschnittsaufgaben kann sich jeder Akteur hinter anderen verstecken und Verantwortung minimieren. So wird es kein „Entweder Regulierung oder Aufklärungsarbeit“ geben. „Globalprogramme erreichen die Unwilligen nicht“, sagte Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes. Ärzte sprechen mittlerweile jeden Patienten individuell in seinem Lebensumfeld an. Am besten im Verbund mit seiner Familie.

Regulierungen und Verbote sind nützliche Ergänzungen. Ob am Ende doch noch ein Nationaler Diabetesplan nach Koalitionsvertrag aufgestellt wird, oder eine Nationale Diabetesstrategie, die den Bundesländern individuelle Chancen für die Arbeit gegen die Volkskrankheit Diabetes gibt, ist Spiegelfechterei. Am Ende muss jedwedes Programm „ordentlich evaluiert“ werden, unterstreicht Prof. Dr. Thomas Danne, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Diabetes-Hilfe. Erfolge werden gebraucht.

Kosten und Nutzen der Diabetes

Gewichtig sind die Kosten. Alleine Diabetes schlägt bei den Krankenkassen mit 21 Milliarden Euro jährlich zu Buche und nimmt elf Prozent des Etats ein. Heute schon. Die Ärztezeitung hat 2012 die direkten Kosten für Diabetes-2 mit 542 Euro pro Jahr für Insulin, Medikamente, Ärztehonorar und Hilfsmittel angegeben. Die Behandlungskosten für Begleiterkrankungen fallen mit 1.965 Euro im Jahr viermal höher aus. Die Frühverrentung schlägt mit 1.140 Euro aus den Sozialkassen zu Buche.

Die künftige Last der Kosten lässt niemanden außen vor, der sich Verantwortung im Kampf gegen Diabetes zuschreibt. Ein „weiter so“ verschiebt die Folgen auf Senioren und die nächste Generation.

Es gibt aber auch Gewinner der Volkskrankheit. Erst in dieser Woche hat die EU die Fusion zwischen Bayer Diabetes Care und der japanischen Panasonic Health Care, die vollständig von der US-amerikanischen Beteiligungsgesellschaft Kohlberg Kravis Roberts & Co (KKR) kontrolliert wird, bekannt gegeben. Bayer versuchte schon länger seine Sparte für Blutzuckermessgeräte los zu werden. Die Produktlinie habe nach Analysten mit 722 Millionen Euro zu wenig erlöst. Der Gesamtumsatz von Bayer Diabetes Care beträgt nach Einschätzung der Börsianer eine Milliarde Euro.

Blutzuckermessgeräte sind nur ein Teil des Umsatzes im Diabetes-Geschäft. Im Jahr 2011 hat Roche damit weltweit drei Milliarden US-Dollar erzielt, gefolgt von Bayer mit 1,3, Abbott mit 1,276 Milliarden und Becton Dickinson erreichte 866 Millionen US-Dollar. Der Diabetes-Tsunami verspricht weitere Geschäfte.

Lesestoff:

[1] Nationaler Diabetesplan gegen gewichtige Probleme

[2] Typ-1-Diabetes auch schon bei Neugeborenen

Roland Krieg

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