„Weder Chemielabor noch Heidi-Alm“
Ernährung
„Die Lebensmittelwirtschaft“ stellt sich vor
Die Zahlen sind beeindruckend: Die Lebensmittelwirtschaft setzt jährlich 165 Milliarden Euro um, entlang der gesamten Prozesskette wirken 736.000 Unternehmen und mit 4,1 Millionen Arbeitskräften ist jeder zehnte Erwerbstätige in der Branche beschäftigt.
Aber auch der Ruf ist beeindruckend: Zu fett, zu salzig, zu süß, Verbraucher können sich nicht gegen „versteckten Zucker“ wehren und Kunden vergiften sich schleichend durch Rückstände aus Pflanzenschutzmitteln.
Happy End am Anfang der Geschichte
Im letzten Jahr hat sich mit dem Verein „Die Lebensmittelwirtschaft“ erstmalig eine gemeinsame Plattform gegründet, die Lücke zwischen Wahrnehmung der Verbraucher und Realität der Branche zu schließen [1].
„Essen ist einfach – Ernährung ist komplex“, sagte am Dienstag Gerhard Berssenbrügge, Vorstandsvorsitzender der Nestle AG. Früher war das Schnitzel nicht groß genug, heute stellen sich die Kunden die Frage nach dessen Herstellung. Die Lebensmittel kommen „weder aus dem Chemielabor noch von der Heidi-Alm“, ergänzt Markus Mosa, Vorstandsvorsitzender der Edeka AG und wie Berssenbrügge Geschäftsführender Vorstand des neuen Vereins.
Kurz vor der Internationalen Grünen Woche stellte der neue Geschäftsführer Stephan Becker-Sonnenschein, das Ziel vor: Der Verein will „das Gute in der Lebensmittelwirtschaft in den Mittelpunkt stellen“ und mit einer nachhaltigen Kommunikation das Happy End zwischen Verbraucher und Lebensmittelbranche an den Anfang der Vereinsgeschichte stellen.
Die Branche habe in der Vergangenheit Anlass zu Enttäuschung gegeben, weil die Erwartungen der Verbraucher nicht erfüllt wurden. Ein Vier-Säulen-Modell will den Schulterschluss mit den Verbrauchern herstellen.
In der ersten Säule werden Themen wie RFID oder Verpackung thematisiert, in der zweiten Säule die Zukunftsthemen für die Wirtschaft formuliert. Die dritte Säule packt Gesellschaftstrends, Verbraucherkritik und -ängste auf und mit der Presse wird über ein „Issue Management“ die aktive Kommunikation mit dem Verbraucher vorangetrieben.
Keine horizontalen Themen
Nicht alle Themen finden aber auch statt. Der Bauernverband klagt gegenüber dem Handel über Preisrunden, die mit dem Bild „immer günstiger“ die Wertschätzung für Lebensmittel untergraben [2]. Ursache sind auch Flächenüberhänge im Lebensmittelhandel. Das seien aber horizontale Themen, die in den Fachverbänden angesprochen werden sollen, erläuterte Mosa gegenüber Herd-und-Hof.de Nur vertikale Themen der gesamten Kette werden kommuniziert, ergänzte Berssenbrügge. Für Becker-Sonnenschein ist der neue Verein noch in der Selbstfindungsphase.
Finanzierung und Expertisen
Dafür hat „Die Lebensmittelwirtschaft“ offenbar eine geunde Finanzierungsbasis gefunden. In diesem Jahr stehen 1,3 Millionen Euro zur Verfügung und neue Vereinsmitglieder und 19 Förderer sollen den Beitrag ab dem nächsten Jahr aufstocken helfen. Für die nächsten drei Jahre sei die Finanzierung aber schon gesichert.
Kein Geld erhalten satzungsgemäß die 35 bis 40 Experten, die Ende des Monats vorgestellt werden. Agrarwissenschaftler, Psychologen, Ökonomen, Sozialwissenschaftler und Ökologen bilden den wissenschaftlichen Beirat, der gegen die „skandalisierende Berichterstattung“ antreten will. Sachinformationen stehen dabei im Vordergrund und wollen auf dem Vertrauen der Bevölkerung in die Lebensmittelbranche aufbauen. Denn 84 Prozent der Menschen schätzt die Lebensmittelsicherheit hoch ein und die Mehrheit hat Vertrauen in die Branche.
Lesestoff:
[1] „Die Lebensmittelwirtschaft“ ernennt ihren ersten Geschäftsführer
[2] Sonnleitner bezahlt einen fairen Preis beim Discounter
Roland Krieg, Fotos: roRo