Welche Landwirtschaft ist die richtige?

Ernährung

Landwirtschaft und Ernährungssystem

Nicht nur Deutschland steht mit einer neuen Koalition vor der Frage, welches Ernährungssystem das richtige ist. Auch weltweit steht die Menschheit vor der Frage nach Ernährungssouveränität. Die bisherigen schwarz-weiß-Modelle scheinen nicht auszureichen. Zu oft wird das Pferd von hinten aufgezäumt. Die Vorstellung, dass die Menschen das Essen, was die Landwirtschaftet anbietet, ist falsch. Die Landwirtschaft wird das produzieren, was die Menschen essen. Abhängig vom Preis.

Extensivierung

Es gibt viele Gründe, die Landwirtschaft zu erneuern. Nitrat im Grundwasser, Artenschwund, der Einsatz von kohlenstoffintensiven Betriebsmitteln und unerwünschte Rückstände in Lebensmitteln. Der Grad der negativen Aspekte ist weltweit sehr unterschiedlich. Die Westeuropäer können angesichts voller Regale eine extensivere Landbewirtschaftung leisten. Brüssel ist mit seinen Vorstellungen sehr weit. Wenn auch der Mumm fehlt. In der Gemeinsamen Agrarpolitik wechselt die Richtung hin zu mehr Eco-Schemes und einer Reduzierung von Mineraldünger und Pflanzenschutzmittel. In rechtsunverbindlichen Strategiepapieren wie dem „From-Farm-to-Fork“ (F2F) gehen die Vorschläge sehr viel weiter.

Es gibt zwar für „F2F“ keine Folgenabschätzung, aber einen technischen Bericht des europäischen Gemeinschaftlichen Forschungscenter (JRC). Die Umsetzung reduziere die landwirtschaftliche Produktion in Europa zwischen fünf und 15 Prozent. Das Einkommen der Landwirte sinkt um mindestens zehn Prozent, der Export verschlechtert sich in allen Marktsegmenten. Dafür spare der Sektor 28 Prozent seiner Treibhausgasemissionen ein. Angesichts der prekären Situation auf den Betrieben, scheint es aussichtslos, dass die Höfe die kommenden Herausforderungen überleben werden.

Der emeritierte Agrarökonom Herbert Ströbel von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf schlug in die gleiche Kerbe. Der Ökolandbau verbraucht deutlich mehr Flächen für die Erzielung des gleichen Ertrags und bekommt damit einen schlechteren ökologischen Fußabdruck. Der dürfe nicht auf die extensiv bewirtschaftete Fläche, sondern auf die Erntemenge in Tonnen berechnet werden. Nur weil der Ökomarkt in Deutschland viel kleiner sei, machten sich die Mengeneffekte der geringeren Erträge noch nicht im Supermarktregal bemerkbar.

Die Kommission will erst nach Vorlage aller nationalen GAP-Strategiepläne ihre Folgeabschätzung veröffentlichen, wie Kommissionsvertreter Tassos Haniotis diesen Montag im Agrarausschuss des Europaparlamentes ankündigte. Außerdem berücksichtige der technische Bericht des JRC keine Konsumveränderungen. Die Kritik an der Kommission ist da. Simone Schmiedtbauer von den Christdemokraten in Österreich argwöhnte, dass die Kommission ihre eigenen Wissenschaftler nicht ernst nehme. Am Ende müssten mehr Lebensmittel mit geringerem Produktionsstandard importiert werden.

Neue Studie

Die niederländische Universität Wageningen hat jetzt in einer neuen Studie das Absinken des landwirtschaftlichen Produktionswertes um 140 Milliarden Euro beziffert. Die Studie kommt auf eine Senkung der Produktion von 30 Prozent. Der zusätzliche Importbedarf erfordere die Nutzung von weltweit 2,5 Millionen Hektar für den Export in den europäischen Raum. Der Wegfall der EU-Exporte erfordere weitere Nutzung von 5,4 Millionen Hektar in den Zielländern.

Auf dem Weg

Der WWF Europa sieht die Studie aus ganz anderem Blickwinkel. Die Ausweitung des Ökolandbaus und die Reduzierung von Pflanzenschutzmittel und Mineraldünger seinen auf dem eingeschlagenen Weg bis 2030. Die nationalen GAP-Pläne können die Herausforderungen meistern. Die Länder haben 30 Prozent der GAP-Ausgestaltung in der eigenen Hand. Jabier Ruiz leitet beim WWF das Ressort Landwirtschaft und sagt, der Bericht spiele den Ball zurück an die Mitgliedsländer. Die Reduzierung der Produktion sei klar, werde aber durch Reduzierung der Lebensmittelverschwendung und nachhaltigen Verzehrsgewohnheiten kompensiert. Ein Fünftel der produzierten Lebensmittel gehen nach der Ernte verloren und zwei Drittel des Getreideanbaus werde für die Fütterung angebaut. Javier stellt die Landwirtschaft als Teil des Ernährungssystems dar.  

Verbände fordern ZKL-Umsetzung

Die Kritiker der Kommission und Mahner nach der JRC-Studie in Deutschland haben diese Woche die neue Regierung aufgefordert, die Empfehlungen der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) umzusetzen. Die sind nicht ganz so weit von der F2F-Strategie entfernt. „Landwirtschaft braucht klare Linien“, erklärte der Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Werner Schwarz. Kathrin Muus, Vorsitzende des Bundes Deutscher Landjugend und Mitglied in der ZKL, wurde mit ihrem gemeinsamen Papier mit dem Myriam Rapior vom BUND medial durchgereicht und forderte nach einer Sitzung der Verbände diesen Montag, ein „dringend zukunftsfähiges Landwirtschafts- und Ernährungssystem“, „so dass planetare Grenzen gewahrt und Höfe gesichert werden.“

Mängel in der Nitratrichtlinie

Was das heißt, hat die EU-Kommission ebenfalls in dieser Woche noch einmal dargestellt. Die Nitratbelastung in der EU ist gegenüber 1990 zwar zurückgegangen, aber zwischen 2016 und 2019 sind bei 14 Prozent aller Messstellen die gemessenen Werte noch immer zu hoch. 81 Prozent der Meeresgewässer, 31 Prozent der Küstengewässer, 36 Prozent der Flüsse und 32 Prozent der Seen gelten als überdüngt. Die EU will Maßnahmen für eine bessere Umsetzung der Nitratrichtlinie sicher stellen. Deutschland gehört zu den Ländern, die auf der Beobachtungsliste stehen.

Auch die Landwirtschaft muss mehr tun

Alfons Bahlmann vom Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) hat in der aktuellen Ausgabe der „DLG-Mitteilungen“, die Landwirtschaft aufgefordert, mehr zu tun. Zu oft würden Kritikpunkte der Gesellschaft nicht ernst genommen – diese aber zweckentfremde auch Diskussionen wie beispielsweise um Glyphosat zum „moralabsoluten Eigenwert“. Am Ende finden landwirtschaftliche Unternehmer wegen beider Seiten keine wirtschaftliche Perspektive für die Weiterentwicklung mehr.

Nach Bahlmann tut sich die Politik schwer mit der Suche nach Lösungen. Die verschiedenen Verbände sollten daher mit gemeinsamen Lösungsschritten vorangehen.

Welternährungstag

Das Thema ist nicht nur auf die EU beschränkt. Pünktlich zum Welternährungstag am 16. Oktober hat die Welthungerhilfe den neuen Welthungerindex vorgestellt und vor allem durch die Pandemie und bewaffnete Konflikte Rückschritte in der globalen Nahrungsversorgung feststellen müssen. Zum Teil haben sich Fortschritte der vergangenen Jahre in ihr Gegenteil verkehrt. In zehn Ländern hat sich die Situation verschlechtert, in 14 Ländern wurde sie besser. Das Ziel, bis 2030 eine Welt ohne Hunger zu haben, rückt in größere Ferne. 47 Länder werden dann noch nicht einmal niedrige Hungerwerte erreichen. Mehr als die Hälfte der Betroffenen Menschen lebt in Ländern, die von Konflikten, Gewalt und fragiler Staatsführung geprägt sind.

Die Aussichten haben sich im vergangenen Jahr verschlechtert. Die Pandemie hat die Probleme der öffentlichen Gesundheit, die Folgen für Wirtschaft und Landwirtschaft hat offengelegt. Die Klimaauswirkungen mit Überschwemmungen und Dürren tragen ebenfalls zur Unsicherheit in der Ernährungsfrage bei.

Angesichts dieses Ausmaßes sind die Europäischen Diskussionen zweifelhaft. Die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) fordert einen Umbau des gesamten Ernährungssystems. Die FAO setzt auf die jungen Menschen, die sich lautstark überall bemerkbar machen. Für das Ziel 2030 müssen die Länder zwischen 40 und 50 Milliarden US-Dollar jährlich in Saatgut, Lager, Logistik und Ausbildung investieren. Als Lösung bieten sich auch viele kleine Low-Cost-Alternativen an. Vorneweg steht die Vermeidung von Ressourcen durch Verringerung der Lebensmittelverschwendung, die global aber auch schon auf dem Feld durch Schadinsekten beginnt. „Better Production, Better Nutrition, a Better Environment and a Better Live“. So lautet das Motto der FAO. Dazu gehört auch mehr Forschung und Innovation für die Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie.

Roland Krieg

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