Welternährung: Auch ein Medien- und Statistikproblem?

Ernährung

Europa exportiert das Für-und-Wider zur Ernährungsstrategie

925 Millionen Menschen leiden Hunger, eine weitere Milliarde Menschen sind von Mangelernährung betroffen. Das weitere Bevölkerungswachstum findet überwiegend in den Entwicklungsländern und dort in den Städten statt.
Die Ursachsen sind komplex und nicht nur agrarwissenschaftlicher, sondern auch sozialer, politischer und ökonomischer Natur. So weit besteht der Konsens von der gentechnisch freien Region im Landkreis bis zum Bundestag und Europäischen Parlament. Doch dann beginnt die Diskussion über das „Wie“: High-Tech-Landwirtschaft oder Low-Input-Strategien, Anerkennung des Weltagrarberichtes und die Frage, ob der Ökolandbau als einziger den „Food Crash“ verhindern kann? Ist die grüne Gentechnik der Heilsbringer oder der Untergang?
Stillstand seit Jahren und selbst der Bericht über Lösungen des Welternährungsproblems des Büros zur Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB)1) scheint zu verzweifeln. „Vielen Vorschlägen ist gemein, dass die favorisierten Ansatzpunkte nicht im Kontext mit den Alternativen dargestellt werden und die Priorisierung ohne explizite Begründung auf nicht nachvollziehbare Weise vorgenommen wird.“

Medien verstärken den Zwist

Mit der Frage „Wer ernährt das globale Dorf?“ befasste sich am Mittwoch in Berlin der Grain Club. Die Allianz aus Verbänden der Lebensmittel- und Futtermittelwirtschaft entlang der Wertschöpfungskette hinterfragte den Stillstand unüberbrückbarer und verhärteter Formen in der Diskussion zur Lösung der Welternährungsfrage.
Dabei zeichneten sich zwei neue Faktoren ab, die bislang zu wenig Beachtung fanden: Die Rolle der Medien und das erfassen von Statistiken.

Prof. Dr. Norbert Bolz, Kommunikationswissenschaftler an der TU Berlin, erklärt den Stillstand in der Diskussion durch die Logik der Massenmedien, zu denen er auch die öffentlich-rechtlichen zählt. Für die Talk-Shows werden Statements gecastet, die keinen anderen Gedanken außerhalb des „Drehbuchs“ der Talk-Runde zulassen. „Die Skandalisierung ist der Königsweg des Erfolgs in den Massenmedien.“ Letztlich wird jedes Thema auf die Schuldfrage reduziert und jemand am Ende präsentiert. Komplexe Gedanken fänden keine Zeit.
Die neuen Medien machten es nicht anders. Sie bilden seit zwei Jahrzehnten eine Gegenöffentlichkeit, bei der sich zu jeder noch so abstruse Idee eine Webseite mit globaler „Community“ findet. So entstehen regelrechte Angstepidemien im globalen Dorf des Internets. Mittlerweile lähmten die schnell und verstärkten Diskussionen sogar die Politik, weil sie irgendwie auf die Communities reagieren muss. Aus der Herrschaft der Mehrheit in einer Demokratie wurde die Herrschaft einer vernetzten Minderheit, so Prof. Bolz.
Doch könnten die neuen Medien diesen Effekt auch positiv nutzen und eine „Wisdom of crowds“ bilden, wie es Wikipedia mittlerweile geschafft habe. Das funktioniere jedoch nur, wenn die Netzteilnehmer unabhängig und unzensiert agieren können und es einen Aggregationsmechanismus des Wissens gebe. Prof. Bolz nennt das die „Selbstorganisation der Zivilgesellschaft“.

Verrechnet

Ludwig Striewe von Alfred Toepfer International fügte mit der Statistik einen weiteren Punkt zu, der die Lösung des Welternährungsproblems behindert. Im Jahr 2008 gab es eine „Weltstatistikkrise“, erklärte er. Die Preise schossen in kürzester Zeit wegen einer Meldung eines Weizendefizits von etwa 29 Millionen Tonnen in die Höhe. Das amerikanische Landwirtschaftsministerium hat mittlerweile die Zahlen rückwirkend korrigiert und einen Überschuss von etwa 22 Millionen Tonnen ausgewiesen. Da die meisten Menschen hungern, weil sie sich das verfügbare Getreide nicht leisten können, hat eine genaue Statistik einen erheblichen Einfluss auf die Welternährung.

Anbau nach komparativem Kostenvorteil

Ludwig Striewe gab auch ein Beispiel für eine indirekte Landnutzungsänderung dar, die in die andere Richtung weist. Der Begriff beschreibt in seiner üblichen Nutzung den Ausweicheffekt der Landnutzung in den Regenwald. Durch den Anbau von Exportfrüchten auf ursprünglichen Flächen der Eigenversorgung, werden die auf gerodeten Waldflächen angebaut.
Nach Striewe führe der Anbau einheimischer Eiweißpflanzen, der derzeit empfohlen werde ebenfalls zu einer indirekten Landnutzungsänderung. Um ein Hektar Soja aus Brasilien zu ersetzen müssten in Deutschland auf etwa 1,4 Hektar Futtererbsen angebaut werden. Dadurch entfalle eine Fläche für den Weizenanbau, den Deutschland beispielsweise nach Nord-Afrika exportiert. Die werden sich den fehlenden Weizen aus beispielsweise Russland besorgen müssen, die für den gleichen Ertrag jedoch mehr als doppelt so viel Fläche brauchen. Folgerung: Jeder produziert das, was er am kostengünstigsten kann und handelt mit den anderen.

Grain Club

Zur Veranstaltung hat der Grain Club ein Hintergrundpapier formuliert, dass die Ursachen von Hunger und Hungersnöten aus einem wissenschaftlichen Hintergrund beleuchtet.

Lesestoff:

www.grain-club.de

1) TAB-Arbeitsbericht Nr. 142, Berlin 2011: www.tab-beim-bundestag.de

DLG-Wintertagung 2012 mit dem Fokus Welternährung

Nur der Ökolandbau kann die Welt ernähren

Importierte GVO-Angst in Afrika

Ernährungssicherung durch Bauernorganisationen

GVO macht nicht nur arm

Widersprüchliche Ernteprognosen sorgen für Wirbel

Roland Krieg

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