Welternährung, Klimawandel und Biomasse
Ernährung
Welternährungstag 2008
Mit dem Welternährungstag mahnt die Food and Agricultural Organisation der UN (FAO) die Welt, an die Hungernden zu denken. Das Leitthema in diesem Jahr ist der Klimawandel und die Erzeugung der Bioenergie.
Begangen wird der Welternährungstag jeweils am 16. Oktober seit 1945. Mittlerweile gibt es Veranstaltungen in mehr als 150 Ländern.
Stress Klimawandel
Am Dienstag trafen sich in Rom Vertreter der FAO, Weltgesundheitsorganisation WHO und der europäischen Lebensmittelbehörde EFSA. Der Klimawandel betrifft zwar alle Menschen, jedoch nicht alle in gleichem Maße. Auswirkungen auch in Europa können den Gesundheitsstatus der Menschen verschlechtern und vor allem den von Menschen, die bereits mangelernährt sind. Die zusätzlichen Gesundheitskosten werden nach Schätzungen der WHO auf bis zu fünf Prozent des Bruttosozialproduktes beziffert. Der Klimawandel kann die Erfüllung der Millenniumsziele in Frage stellen.
Um den am meisten leidenden und armen Menschen zu helfen, müssen in den nächsten Jahrzehnten deutliche Verbesserungen im Bereich der Energieversorgung, Landwirtschaft und Landnutzung eintreten. Die Verbreitung der Blauzungenkrankheit in Nordeuropa könne ein Indiz sein, was noch alles auf die Menschheit zukommen kann. Klimaschwankungen könnten nach Angaben der FAO dazu führen, dass mehr Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden und damit die Risikobewertung zu erweitert ist.
Nach Dr. Marc Danzon von der WHO ist es nicht mehr die Frage, ob öffentliche Anstrengungen gegen die Auswirkungen des Klimawandels unternommen werden sollen, sondern welche. Dr. Ezzeddine Boutrif, Direktor der Abteilung für Ernährung und Verbraucherschutz in der FAO forderte ein proaktives Risikomanagement für die Erzeugung von Nahrungsmitteln und der gesunden Ernährung.
Jedes Grad Erwärmung erhöht den Salmonellenbefall in der Nahrung um 5 bis 10 Prozent. Heißes Wetter kann die Kühlung beeinträchtigen und mehr Fliegenbefall hervorrufen. In Süd- und Zentraleuropa sowie in Zentralasien werden bis zu 44 Millionen Menschen bis 2080 zusätzlich unter Wasserstress leiden. In Zentralasien haben zwar 70 Prozent der Menschen Zugang zu sauberem Wasser, aber nur jeder vierte auf dem Land. Deshalb sterben jedes Jahr 13.500 Kinder an Durchfallerkrankungen.
Fairer Handel
„Trotz Hungerkrise fordert die EU von afrikanischen Ländern eine radikale Öffnung ihrer Märkte und plant zugleich eine Ausweitung ihrer eigenen Milchproduktion und -exporte. Damit gefährdet sie die Einkommen und das Recht auf Nahrung von Milchbauern in Sambia, Uganda und anderen afrikanischen Ländern“, kritisiert Armin Paasch, Handelsexperte von FIAN Deutschland zum Welternährungstag. Die Kritik richtet sich an die zuletzt wieder von der Milchwirtschaft erhobene Forderung nach Exportsubventionen. Bei der anstehenden Milchmarktordnung müsse sich das Bundeslandwirtschaftsministerium dafür einsetzen, dass „Bauern in Europa und Afrika faire Preise erhalten“, so der gemeinsame Aufruf mit Germanwatch, der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und dem Bundesverband Deutscher Milchviehhalter.
Operation Flood for Africa?
Unter dem Namen Operation Flood wurde das Programm berühmt, dass zwischen 1970 und 1996 aus dem chronisch mit Milch unterversorgten Indien eines der weltgrößten Produzenten für Milch und Molkereiprodukten machte. Der Erfolg rührt von einer hocheffektiven Handelskette her, die auch kleinste Bauern über kooperative Strukturen an der Vermarktung beteiligte. Begünstigt wurde die Entwicklung durch privatwirtschaftliche Beteiligung, weswegen die Weltbank das Modell als Vorbild für eine Süd-Süd-Kooperation sieht.
Die Gujarat Cooperative Milk Marketing Federation mit Sitz in Anand betreut 2,7 Millionen Milchbauern und die berühmte Eigenmarke Amul. Mit Hilfe eines Fonds bereisten indische Milchbauern bereits Tansania und Uganda, um die „weiße Revolution“ zu propagieren. Umgekehrt haben sich auch schon afrikanische Bauern in Anand umgesehen. „Milch ist ein sehr gutes Produkt, die Lebensverhältnisse, speziell der von armen Bauern, zu verbessern“, begrüßt Simon Bell von der Weltbank den Austausch. Bei steigenden Lebensmittelpreisen kann Milch auch helfen, die Ernährungsgrundlage entscheidend zu verbessern. Nach dem ersten Erfahrungsaustausch soll jetzt eine „experience exchange library“ helfen, die Erfahrungen festzuhalten.
Die Erdnussbutter-Debatte
92 Gramm braune Paste quellen aus der aufgerissenen Tüte. „Plumpy´nut“ hat 500 Kalorien, viel Protein, eine ganze Menge Vitamine und Mineralstoffe. Ärzte ohne Grenzen verteilen die Päckchen im Niger und hat die Versorgung für unterernährte Kinder revolutioniert. Im Niger hat die Hilfsorganisation bereits 80.000 Kinder zwischen sechs und 36 Monaten mit dem therapeutischen Fertiggericht versorgt. Plumpy´nut hält länger und muss nicht mit Wasser aufbereitet werden, wie das traditionelle Milchpulver. Damit ist die Gefahrenquelle unsauberen Wassers ausgeschaltet. Doch betrachtet die WHO den flüssigen Riegel mit Skepsis. Zur Vorsorge brauchen wir andere Produkte, heißt es.
Bislang wurde in Hungerregionen das mit Vitaminen und Mineralien angereicherte Milchpulver F100 verabreicht. Ist allerdings keine Kühlung vorhanden, verwandelt es schnell in eine „Bakteriensuppe“. Seit den 1990er Jahren sucht man bereits nach Alternativen.
Studien aus dem Jahr 2004 beschreiben Plumpy´nut als „frische Luft“ für Hungernde. 80 Prozent der ernsthaft unterernährten Kinder erholen sich.
Bis zu Unterernährung haben vorher jedoch viele Funktionen versagt. Sie steht am Ende einer Abwärtsspirale aus minderwertigen Lebensmittel, Immunschwäche, Infektionen und Durchfall. Mütter wurden angehalten länger zu stillen, bessere Mahlzeiten zu kochen und die Hygiene zu verbessern. Allerdings ohne anhaltenden Erfolg.
Schutzlos gegen Preisschwankungen
In Bangladesh ist der Preis für Reis in den letzten 14 Monaten um 66 Prozent gestiegen. Im Senegal schnellte der Weizenpreis um 100 Prozent in die Höhe und in Somalia sogar um 300 Prozent. „Man sollte meinen, dass auch die Kleinbauern in den armen Ländern vom jüngsten Anstieg der Nahrungsmittelpreise profitieren“, sagt Marita Wiggerthale, Handelsexpertin von Oxfam Deutschland. Doch der Preisanstieg nützt vielmehr nur den internationalen Supermarktketten. Das ist der Tenor der heute zum Welternährungstag veröffentlichten Studie „Double-Edged Prices“.
Während die Kleinbauern sich die Lebensmittelpreise nicht mehr leisten können, gibt es auf der anderen Seite auch Gewinner. Nach Angaben Oxfam hat Nestlé seinen Umsatz im ersten Halbjahr 2008 um neun Prozent gesteigert und die englische Supermarktkette Tesco meldet Gewinnsteigerungen von zehn Prozent gegenüber zum Vorjahr. Auch der weltweit größte Saatguthersteller Monsanto konnte im ersten Quartal 2008 den Rekorderlös von 3,6 Milliarden US-Dollar und eine Gewinnsteigerung um 26 Prozent verbuchen.
Die Ursache, dass die Kleinbauern nicht von den steigenden Preisen profitieren, liegt darin, dass sie mittlerweile Nettokonsumenten sind und nicht mehr Nettoproduzenten. Nach Angaben der FAO sind die meisten Haushalte in Bangladesh, Pakistan, Vietnam und Malawi Nettokonsumenten. In den meisten afrikanischen Ländern ist gerade einmal ein Viertel der Kleinbauern Nettoproduzent.
Ernährungssouveränität
Zum Welternährungstag ruft die Katholische Landjugend (KLJB) zum freien Zugang zu Saatgut als fundamentales Recht der Bauern auf. „Durch gentechnische Veränderungen und Patentierung haben viele Bäuerinnen und Bauern das Recht verloren, Saatgut ihrer eigenen Ernte und Züchtungen zu verwenden“, kritisiert die KLJB-Vorsitzende Monica Kleiser. Nach Angaben der Vereinten Nationen hängt die Ernährungssicherung von 1,4 Milliarden Menschen davon ab, ob sie Saatgut aus der eigenen Ernte generieren oder mit ihren Nachbarn tauschen können.
Der internationale Dachverband der katholischen Landjugend MIJARC sieht in der Gentechnik und Patentierung von Saatgut keine Lösung des weltweiten Hungerproblems. Lizenziertes Saatgut führe in eine Abhängigkeit und „konzentriert den ökonomischen Reichtum auf immer weniger multinationale Konzerne.“
Für ein faires Leben brauchen die Menschen freien Zugang zu den Ressourcen Saatgut, Wasser und Land. Essentiell ist der Zugang zu Energie, zu erschwinglichen Krediten sowie die Erschließung lokaler Märkte und Infrastruktur.
Lesestoff:
Europäischer Gesundheitsschutz:
www.euro.who.int
Klimawandel und Auswirkungen auf die Gesundheit:
www.fao.org
Martin Enserink: The Peanut Butter Debate: Science; 03.10.2008; Vol. 322, no. 5898, pp. 36 – 38 (DOI: 10.1126/science.322.5898.36)
Die Oxfam-Studie gibt es zum Herunterladen auf www.oxfam.de im Downloadbereich.
„Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt“, herausgegeben von Bund für Umwelt und Naturschutz, Evangelischer Entwicklungsdienst und Brot für die Welt zeigt die Notwendigkeit und Gestaltbarkeit radikaler Kurswechsel in Wirtschaft und Politik. Durch zahlreiche Analysen und Beispiel zeigt sie jedoch auch, dass diese globale Verantwortung im Handeln jeder und jedes einzelnen beginnt. ISBN 978-3-596-17892-6 (Empfehlung der KLJB)
VLE