Welternährung: Neuer Anlauf
Ernährung
Zweite internationale Konferenz zur Welternährung
Zum ersten Mal nach 22 Jahren versammelten sich Landwirtschafts- und Ernährungsminister aus 193 Ländern der Welt in Rom und konferierten über das Thema Welternährung. Bis letzten Freitag wurden die beiden Dokumente „Rome Declaration on Nutrition“ und „Framework for Action on Nutrition“ diskutiert und angenommen.
Trotz Erfolge bei der Bekämpfung des Welthungers sind die Ziele seit der ersten Konferenz im Jahr 1992 nicht wirklich umgesetzt worden. Das habe vor allem an fehlender Übereinstimmung zwischen den Nationen, geringer finanzieller Ausstattung, schwachen internationalen Organisationen und zunehmender Degradation natürlicher Ressourcen durch den Klimawandel gelegen. Heute ist die Welt, sind die Länder, wohlhabender als vor 22 Jahren und können viel mehr Maßnahmen umsetzen.
Die Konferenz wurde von der Weltgesundheitsorganisation WHO und der Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO getragen. Im Aktionsrahmen ist ein multifaktoreller Ansatz im Kampf gegen Hunger und Fehlernährung festgelegt, sowie die Stärkung der Frauenrechte, Vermeidung von Lebensmittelabfällen, Sicherung der Kleinbauern sowie Stärkung der Verantwortung auf lokaler Basis.
Regionale Ernährungsrichtlinien
Im Rahmen der Konferenz hat die FAO eine neue Internetseite ins Netz gestellt. Auf ihr werden regionale Ernährungsrichtlinien auf der ganzen Welt veröffentlicht. Mehr als 100 Regionen sind bereits erfasst und umfassen Agrarpolitik sowie Ernährungsprogramme zur Verbesserung der Ernährungsgewohnheiten und Lebensstile. Nach Ansicht der FAO ist die Datenbank wichtig, weil die Welt zusammenwächst und verstädtert. Dadurch ändern sich traditionelle Ernährungsmuster und verschieben sich in Richtung Fertiggerichte und Nahrung mit geringerer Nährwertdichte. Auf Grundlage der Daten sollen die Regierungen die Ernährungssituation ihrer Bevölkerung verbessern können.
Wandel reicht nicht
Kritik an dem Ablauf der Verhandlungen gibt es von Misereor. Die beiden Dokumente sind bereits im Vorfeld von den beiden Organisationen ausgehandelt worden. „Die Entscheidung über unsere Nahrungsmittelproduktion und -versorgung darf nicht hauptsächlich von ökonomischen Interessen geleitet sein“, fordert Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel. Derzeit dominieren globale Konzerne das Ernährungssystem. Damit könnten nicht alle Menschen mit Nahrung versorgt werden. Gleichzeitig steige auch die Zahl der Übergewichtigen. Mehr als eine Milliarde Menschen wiegen zu viel und 300 Millionen sind fettleibig. In China und Mexiko hat sich die Zahl der Übergewichtigen seit 1980 fast verdoppelt. „Übergewicht und Fettleibigkeit werden vor allem in Schwellenländern zunehmend zu einer Epidemie der Armen, denn frische und gesunde Lebensmittel sind teurer als fett- und zuckerreiche Produkte“, führt Spiegel aus. „Das ist auch ein systemisches Problem.“ Mangel- und Überernährung sind für Misereor zwei Seiten derselben Medaille. Die Lösung sieht die Entwicklungshilfeorganisation in der Schaffung bäuerlicher Strukturen mit vielfältigen Produktionssystemen, traditionellem und standortangepasstem Wissen, lokale Märkte und demokratische Entscheidungsprozesse. Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt und Entwicklungshilfeminister Müller sollen sich dafür stark machen.
Aktionsplan der EU
Neven Mimica nahm erstmals als EU-Kommissar für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung teil. Die EU erarbeitet derzeit einen „Action Plan on Nutrition“, um die Zahl der unterernährten Kinder unter fünf Jahren bis 2025 auf sieben Millionen zu reduzieren. Dieser Plan basiert auf der Veröffentlichung zur Verbesserung der mütterlichen und kindlichen Ernährung aus dem Jahr 2013. Aus diesem Jahr resultiert auch der Etatposten in Höhe von 3,5 Milliarden Euro im Kampf gegen Unterernährung bis 2020.
Keine Aktionspläne mehr
Niema Movassat, Sprecher für Welternährung in der Fraktion „Die Linke“ beklagt, dass die Weltgemeinschaft einen Aktionsplan nach dem anderen vorlegt. Das reiche nicht, „wenn die grundlegenden Spielregeln und die großen Player des globalen Nahrungsmittelsystems unangetastet bleiben. Wer Hunger konsequent bekämpfen will, muss vom Primat des Freihandels abrücken und die Agrar- und Lebensmittelindustrie in enge Schranken weisen.“ Die Zivilgesellschaft hat in Rom die Rolle der Konzerne kritisch hinterfragt. Doch leider setze auch die deutsche Entwicklungshilfe auf die Zusammenarbeit mit ihnen, bedauert Movassat.
GFFA
Das Thema Welternährung bleibt auf der Agenda. Bevor Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt nach Rom reiste traf er sich in Berlin mit Vertretern aus fast 100 Staaten. Er lud sie zum nächsten „Global Forum for Food and Agriculture“ (GFFA) auf der Grünen Woche 2015 ein. „Nicht nur der Hunger ist ein Problem, sondern auch Mangel- und Fehlernährung durch zu einseitige Kost“, sagte Schmidt.
Schmidt würdigte die Erfolge seit 1992, die aber noch immer nicht ausreichten. Daher sind die Verhandlungsergebnisse „wegweisend“: „Die Rom Deklaration beleuchtet die drängendsten Herausforderungen und bekräftigt unseren Willen, diese entschieden anzugehen.“ Sein Ziel: „Vielmehr komme es darauf an, eine Vielfalt an bezahlbare und ernährungsphysiologisch hochwertige Lebensmitteln zu produzieren.“
Landtechnik
Um die bald zehn Milliarden Menschen zu ernähren, muss die Landwirtschaft ihre Produktivität steigern. Dazu tagte in der letzten Woche in Berlin ein internationaler Kongress zur Landtechnik des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI). „Afrika wird in den nächsten zwanzig Jahren doppelt so viele Menschen beherbergen wie heute“, sagte Dr. Rob Smith von AGCO International. „Wenn wir es schaffen, den technologischen Wandel in der afrikanischen Landwirtschaft herbeizuführen, hat der Kontinent alle Möglichkeiten, ein entscheidender Player auf den globalen Rohstoffmärkten zu werden.“
Indien ist beispielsweise heute einer der größten Märkte für Traktoren. Um die Modernisierung der indischen Landwirtschaft komme das Land nicht herum, ergänzte Herbert Coenen von der Uniparts India Ltd. Die demografische Entwicklung, Bildung und steigende Kaufkraft führen zu einer großen Nachfrage nach Nahrungsmitteln.
Flächenproduktivität ist das Schlüsselwort. Peter Pickel vom Traktorenhersteller Deere arbeitet an Projekten, bei denen die Zugmaschinen mit Biotreibstoffen fahren, um auch alle künftigen Emissionsvorschriften zu erfüllen.
Es geht aber nicht nur um Traktor, Pflug und Co. In vielen Ländern ist die Mechanisierung der Wasserversorgung eine große Herausforderung. Westliche High-Tech-Geräte müssen auf di lokalen Bedürfnisse angepasst werden.
Wer fehlte in Rom?
Zwar reiste Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt nach Rom, aber es fehlte der Entwicklungshilfeminister Dr. Gerd Müller, beklagte Uwe Kekeritz, Sprecher für Entwicklungspolitik bei Bündnis 90/Die Grünen. Die Ausrichtung der „German Food Partnership“ richte sich auf Großkonzerne und Gentechnik aus. Wichtiger sei die Integration der Ergebnisse in die im nächsten Jahr zu formulierende post-2015-Agenda. Kekeritz kritisiert zudem die ausbleibende Erhöhung des Entwicklungshilfeetats. Die Aktion des Ministeriums „Eine Welt ohne Hunger“ reiche nicht aus.
Honduras
Im Schatten von Ebola, IS und dem aktuellen Pestausbruch auf Madagaskar droht in Honduras eine Hungersnot für rund eine halbe Million Menschen. Eine große Dürre zerstört Ernten nicht nur in Honduras, sondern gefährdet auch die in Guatemala und El Salvador. Die Trockenheit lässt die Lebensmittelpreise steigen, die sich nicht mehr alle Menschen leisten können. Zudem sind Kaffeeplantagen im Vorfeld bereits von einem Pilz befallen worden, so dass das Land weniger Kaffee exportieren kann. Das Internationale Rote Kreuz hat zu Spenden in Höhe von 1,28 Millionen US-Dollar aufgerufen. Allein der Kindernotdienst in Deutschland stellt 140.000 Euro Soforthilfe bereit. Mit dem Geld sollen Lebensmittel verteilt und Brunnen gebaut werden. Die Helfer wollen Getreidebanken anlegen. Die Kindernothilfe spricht von 70 Prozent Ernteausfall und Lebensmittelpreise, die um 188 Prozent angestiegen sind. Es ist die schlimmste Dürre seit 15 Jahren. Besonders betroffen sind die Regionen El Valle, Lempira und Choluteca. Spendenkonto und Informationen unter www.knh.de
Hunger und Biokraftstoff
Hunger und Armut sind Ergebnisse komplexer Prozesse. Vereinfacht wird der Pflanzennutzung für die Gewinnung als Biokraftstoffe eine Teilschuld zugewiesen. Wilhelm F. Thywissen, Präsident des Verbandes der ölsaatenverarbeitenden Industrie OVID wehrt sich gegen diese Behauptungen. Biodiesel wird in Deutschland aus Rapsöl hergestellt und stamme auch in Kanada und Australien überwiegend aus heimischer Produktion. Weil es teurer als Soja- oder Palmöl ist, kann es nicht auf dem Weltmarkt abgesetzt werden und werde hier veredelt. Außerdem: „Bei der Herstellung von Biokraftstoffen fällt Rapsschrot als wertvolles und eiweißhaltiges Koppelprodukt an, das als proteinreiches Tierfuttermittel eingesetzt wird zur Erzeugung von tierischen Veredlungsprodukten wie Fleisch oder Milch.“ Im letzten Jahr wurden in Deutschland 1,3 Millionen Tonnen Rapsöl erzeugt. Das hat den Landwirten 2,4 Millionen Tonnen Rapsschrot für den Futtertrog beschert.
Tierhaltung
Während in den Industrieländern die Tierhaltung immer mehr kritisiert wird, ist sie in den Entwicklungsländern ein wichtiger Aspekt der Subsistenzwirtschaft und für die Entwicklung der Einkommen in der Landwirtschaft [1]. So begrüßt die International Dairy Federation IDF die Deklaration von Rom. Die Tierhaltung bleibt bedeutend, um die Welt von Hunger und Armut zu befreien. Dafür hat sie mit einer Reihe an Partnern das Programm für eine nachhaltige Tierhaltung aufgelegt. „Wir spielen eine wichtige Rolle, um nicht nur eine nachhaltige Zukunft für den Milchsektor aufzubauen, sondern auch für Menschen außerhalb des Sektors, die wir mit unseren hochwertigen Produkten ernähren“, sagte IDF-Generaldirektor Dr. Nico van Belzen.
Lesestoff:
Zweite Welternährungskonferenz: www.fao.org/about/meetings/icn2/news/en/
Regionale Ernährungsrichtlinien: www.fao.org/nutrition/nutrition-education/food-dietary-guidelines/en/
[1] Gespräch von Herd-und-Hof.de mit einem Tiergesundheitshelfer im Südsudan
Roland Krieg