Wer ernährt die Welt?

Ernährung

Welternährung im Fokus der DLG-Wintertagung

Knapp eine Milliarde Menschen hungern oder sind fehlernährt. Ob das Millenniumentwicklungsziel, die Anzahl der Hungernden bis 2015 zu halbieren, bleibt offen. Und die langfristigen Perspektiven sind alles andere als beruhigend. Auf der Wintertagung der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) in Münster legte Prof. Dr. Matin Qaim vom Lehrstuhl Welternährungswirtschaft und Rurale Entwicklung der Georg-August-Universität Göttingen die Trends dar, die aus dem langwährenden Problem eine große Herausforderung machen.

Verteilungs- und Mengenproblem

Heute reicht die Biomasse für die Ernährung aller Menschen aus. 2.200 kcal am Tag sind für die gesunde Ernährung eines Menschen notwendig. Rechnerisch stehen 2.800 kcal zur Verfügung. Allerdings wird sich das ändern. Im Jahr 2050 führt das Bevölkerungswachstum auf neun Milliarden Menschen ohne Produktionssteigerungen zu einem täglichen Defizit von 100 kcal pro Kopf. Dann wird die Ernährung zu einem Mengenproblem.
In den vergangenen 50 Jahren haben Innovationen und Investitionen ohne Ausdehnung der verwendeten Ackerfläche die Produktion deutlich gesteigert. Bei fast allen wichtigen Getreidepflanzen sind die Preise gesunken. Das kehrt sich seit 2000 um. Die mediale Öffentlichkeit registriere zwar nur die Spitzen der Rohstoffpreise, doch sei der langfristige Trend steigender Lebensmittelpreis nicht zu verkennen, so Dr. Qaim. Zum einen liege das an der nicht mehr vermehrbaren, also endlichen Ressource Boden, zum anderen führen hohe Rohölpreise und politische Vorgaben wie die Einspeisevergütung für Energie aus Biomasse, was mittlerweile auch in Brasilien und Indonesien Schule macht, zu knapper werdendem Anbau von Lebensmitteln. Im Jahr 2020 werden 15 Prozent des Mais und 30 Prozent des Rohrzuckers für Biosprit verwendet werden.
Den hohen Fleischverbrauch mit dem Bedarf an Futterflächen führt Dr. Qaim ebenfalls auf der Sollseite der Ernährungssicherung.
Um 1,8 Prozent jährlich müsste der Ertrag des Getreides steigen, um mit der Nachfrage aller Menschen Schritt halten zu können. Doch nach züchterischen Fortschritten, die in den 1960er Jahren eine jährliche Ertragssteigerung von drei Prozent erzielt haben, legen Weizen und Co. nur noch um 1,3 Prozent zu. Ein Defizit, das nach Dr. Qaim auch aus dem Rückgang der Agrarforschung resultiert:


Ein weiteres Defizit fügt der Klimawandel hinzu. Die Prognosen gehen alle von sinkenden Erträgen durch die Klimaerwärmung aus.
In der Summe werden „Low external Inputstrategien“ nicht zu einem Erfolg führen, alle Menschen satt zu machen. Europas kritische Haltung zur grünen Gentechnik bremse diese Technologie weltweit aus, obwohl sie Lösungen anbiete.

Die Verantwortung Europas

Für Carl-Albrecht Bartmer, Präsident der DLG, besitzt Europa bei diesem Thema eine Mitverantwortung. In einem globalen Markt könne man sich nicht abschotten und müsse den „globalen Brotkorb“ mit füllen. Europa ist der größte Nettoimporteur für Agrargüter und beanspruche für seinen Bedarf rund 30 Millionen Hektar außerhalb des eigenen Kontinents. Damit wirken alle Maßnahmen der europäischen Agrarpolitik immer auch auf andere Länder, so Bartmer.
Der Ansatz für die Ernährungssicherung ist komplex. Ein Spagat zwischen „nachhaltiger Intensivierung“ und Schutz der biotischen und abiotischen Lebensgrundlagen. Bartmer sieht verschiedene standortangepasste Lösungsansätze. Zum einen müssen die produzierten Ressourcen in Europa effizienter genutzt werden. Knappheit ist den Europäern kein Begriff mehr und deshalb landeten rund 30 Prozent der produzierten Lebensmittel wieder im Müll.
Es könnte aber auch sein, dass sich Musterlandstrategien der Europäer im Bereich des Naturschutzes in 30 Jahren als „Bärendienst“ erweisen, fruchtbare Agrarflächen am Gunststandort Europa nicht genutzt zu haben. Kritisch sieht Bartmer daher die „Greening-Strategien“ der Agrarpolitik in Brüssel, Steuergelder für die nicht-Nutzung eines Standortes auszugeben. Ein Beitrag für die Welternährung sei das nicht.
Aber auch die betroffenen Länder selbst müssen ihren Beitrag zur Hungerbekämpfung leisten. Dort seien nicht die „alten Agrarschlachten“ zu schlagen, sondern standortangepasste und auf ihre sozialen Rahmenbedingungen ausgerichtete Produktionssysteme aufzubauen.
Peter Bleser, Parlamentarischer Staatssekretär aus dem Bundeslandwirtschafts-ministerium, argumentiert ähnlich. Die Brüsseler Vorschläge für sieben Prozent ökologische Vorrangfläche seien „de facto“ eine Flächenstilllegung. Neben der notwendigen Produktivitätssteigerung müssen Nachernteverluste minimiert werden. „Hunger ist politisch vermeidbar“, so Bleser. Er setzt auf moderne Landwirtschaft, auf Precision Farming, Elektronik und Sensoren, die Landwirtschaft hochmodern und für junge Menschen wieder attraktiv macht.
Doch sei die Umsetzung von Innovationen in die Praxis noch defizitär. Deshalb wird das Landwirtschaftsministerium im April einen Innovations-Kongress veranstalten, der über Innovationspartnerschaften neue Ideen in die Praxis einführen will.

Ansätze vor Ort

Bärbel Dieckmann, Präsidentin der Welthungerhilfe, legte den Fokus auf die Länder vor Ort. Die Modernisierung der Kleinbauern sei dringend notwendig. Die Sicherung der Ernährung ist ein Armutsproblem. Fehlernder Zugang zu Betriebsmitteln und Land verhindern steigende Erträge und betriebliche Diversifizierung. Steigende Einkommen seien der Schlüssel für die Entwicklung. Doch ohne eine gute Regierungsführung als Rahmenbedingung verpufften die Ansätze. Europas Verantwortung liege auch darin „Einfluss auf die Stabilisierung von Staaten“ zu nehmen. Die Entwicklung müsse vor allem von innen kommen. Und hier schließt sich der Teufelskreis: Hungernde Menschen in Armut bilden keine Zivilgesellschaft, die Veränderungen vor Ort erzwingen kann.
Ziel sind Produktionssysteme, die für alle Bauern auf der Welt so viel Einkommen erzielen, das sie ihre Kosten decken können. Sie müssen ihre Investitionen aus den Markterlösen bezahlen können und einen Gewinn übrig behalten können.
Daher kann sie auch die Kritik am Engagement der Chinesen in Afrika nicht nachvollziehen. Viele Helfer der Welthungerhilfe fahren vor Ort über Straßen, die mit chinesischen Geldern gebaut wurden. Infrastruktur ist eine Basis für den Aufbau von Märkten.

Zur Kehrseite der Medaille

Kritik an den Gunsträumen übte Martin Häusler, Europaparlamentarier der Grünen. Das gerne geäußerte Argument, dass Europa effizienter als andere Länder produzieren könne, beinhalte jedoch, dass die Rohstoffe dafür aus eben diesen Ländern kommen. Folgen sind Spezialisierungen in Europa. Deutschland kann zwar derzeit am preisgünstigsten Schweine mästen und exportieren. Doch trotz vermeldeter Exportzahlen ist die Anzahl der Schweinehalter deutlich zurückgegangen. Im Exportrekordjahr 2008 gab jeder sechste Betrieb auf. Gewinner dieser Trends seien Industrie und Handel, Bauern und Verbraucher stehen auf der Verliererseite.
Derzeit verhandelt die EU mit den Mercosur-Staaten in Lateinamerika und Häusler warnt die Bauern. Angesichts der komparativen Kostenvorteile in Südamerika werden bei liberalem Handel die Tierproduzenten in Deutschland die Verlierer sein. Statt freierem Handel fordert Häusler den Aufbau lokaler Märkte. Statt bilateraler Abkommen, sollte im Rahmen der WTO verhandelt werden. Und für die sieben Prozent ökologische Vorrangfläche hat der Europapolitiker auch einen Alternativvorschlag: Darauf sollten heimische Eiweißpflanzen angebaut werden, um den Import an Futtermitteln aus Übersee zu verringern.

Zusatztrends

Nach Dr. Qaim wird die Zukunft der Welternährung noch durch zwei weitere Beobachtungen bestimmt. Der Begriff Ernährungssicherung ist nicht mit dem Begriff Selbstversorgung gleich zusetzen. Die werde es weiterhin nicht geben. Auch künftig werden die Industrieländer aus seiner Sicht Importländer und Afrika, Asien und Lateinamerika Nettoimporteure bleiben. Die Produktionssteigerung zur Sicherung der Welternährung müsse auf den wenigen Pflanzen basieren, die den Hauptbestandteil der Nahrung ausmachen: Mais, Reis, Weizen oder Soja. Eine Steigerung bei Kaffe, Palmöl, Tee oder Zitrusfrüchten führe nicht zu dem gewünschten Ergebnis, so Dr. Qaim. Das allerdings seien Früchte, die Schwellen- und Entwicklungsländer am günstigsten anbauen können.

Lesestoff:

„Food Crash“: Warum die Welt sich ökologisch ernähren muss

Die Ethik der Welternährung: Diskussion beim Deutschen Ethikrat

Roland Krieg (Text und Fotos)

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