Wohin entwickelt sich der Verbraucher?
Ernährung
Auf was müssen sich Landwirte einstellen?
Vom Forum „Tierische Veredlung“ des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV) soll ein starkes Signal für die Zukunft der Tierproduktion ausgehen. Der Wunsch von Dirk Niederstucke, Vorstandsvorsitzender der Westfleisch SCE mbH zu Beginn der zweitägigen Sitzung, findet vor schwierigem wirtschaftlichem Hintergrund statt. Auf dem Binnenmarkt gibt es Marktungleichgewichte, die Auslandsmärkte erfüllen derzeit nicht die Erwartungen. Der Blick über den Atlantik birgt weitere Unsicherheiten, wie es mit internationalen Handelsabkommen weitergehe. „Die deutsche Agrarbranche ist anpassungsfähig, aber nicht unendlich belastbar“, sagte Niederstucke.
Öffentlichkeitsarbeit
Betriebsleiter müssen ihre Entscheidungen immer öfter in der Öffentlichkeit rechtfertigen, beklagte er und war mit Staatssekretär Dr. Herman Onko Aeikens aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium der gleichen Meinung, mehr einzufordern. Damit nahm der DRV den Ball auf, den die Eurotier in Hannover bereits vorgelegt hat [1].
„Das satt machen ist vorbei“, sagte Aeikens und sprach damit den Rollenwechsel für die Landwirte an. „Gegen den Mainstream in der Gesellschaft kann man nicht arbeiten und produzieren.“ Die Fragen nach Umweltfolgen und Tierwohl bleiben den Landwirten erhalten. „Jeder Bauer ist ein Botschafter seines Berufsstandes. Die anderen bekommen wir in den Medien präsentiert“, sagte Aeikens.
Die Branche hat mit der Arbeit begonnen und neue Zuchtziele wie Langlebigkeit und Robustheit aufgenommen. Zu Zeiten des Agrarökonoms Albrecht Daniel Thaer (1752 bis 1828) blieben Milchkühe bis zu 14 Jahren im Stall. Sei die heutige Zeit mit weniger als drei Nutzjahren ein Fortschritt, wie die Anzahl der geborenen Ferkel, die höher als die Zahl der Zitzen ist? „In manchen Dingen müssen wir umdenken“, forderte Aeikens.
Verbraucher und Handel
Ob aber wirklich alle Verbraucher von den gleichen Zweifeln getrieben werden, ist nicht sicher. Die meisten wollen den Einkauf als Erlebnis genießen und nicht als Akt einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung verstehen, grenzte Dr. Johannes Simons von der Universität Bonn ein. Die Themen Tierwohl und Nachhaltigkeit sind in ihrer Tiefe viel zu kompliziert, sagte der rheinische Ressourcenökonom: „Da denkste dich doll!“. Die Kunden sind „konsequent inkonsequent“. Rund 80 Prozent haben keine oder wenige Kenntnisse über die Landwirtschaft, sind aber der Meinung, dass im Bereich Tierwohl Verbesserungen notwendig seien. Die gleiche Anzahl an Verbrauchern ist sich zudem sicher, dass die Qualität der Lebensmittel mindestens gut sei.
Wer auf die Kundenwünsche reagiert ist der Handel, stellte Dirk Lenders von der Lebensmittelzeitung fest. Der Wettbewerb im gesättigten Markt nimmt zu und Nachhaltigkeitskriterien werden als Unterscheidungsmerkmal immer wichtiger. Das führe jedoch zu schwierigen Marktbedingungen für die Landwirte. Der Lebensmitteleinzelhandel hat vom gesetzlichen Wert eigene und nicht einheitliche Rückstandswerte für Pflanzenschutzmittel aufgestellt. Der Handel hat auf die heftigen Proteste reagiert und Käfigeier aus den Geschäften verbannt. Und Nachhaltigkeitsberichte dienen der Kundenbindung.
Der Handel steht unter Druck. Amazon ist in den Online-Handel mit Lebensmitteln eingestiegen und Discounter haben sich in den letzten Jahren auf Supermarktniveau hochgearbeitet [2]. Dennoch: Der Handel geht auch Kooperationen mit den Landwirten ein. Ohne den Discount wäre der Biomarkt nicht auf seine heutige Größe gewachsen. Die gentechnikfreie Milch hat mittlerweile einen festen Platz im Regal gefunden und die Brancheninitiative Tierwohl lebt von den Vorauszahlungen des Handels. Allerdings, so räumt Lenders ein: Einige Kaufleute verweigern sich der Initiative, weil sie mit eigenständigen Kooperationen mit regionalen Landwirten einen Wettbewerbsvorteil erzielen können.
Wie geht es weiter?
Einen Blick in die Zukunft wagte Hartmut Gahmann von Nestlé. Die personalisierte Ernährung wird kommen. Mit Hilfe einer genetischen Analyse können Verbraucher ihren Schwachstellen prophylaktisch zuvorkommen. Interessant bleibe die Frage, ob dann die Health Claims Verordnung noch gilt, die gesundheitsbezogene Aussagen nur nach wissenschaftlichem Standard erlaubt. Diese Lebensmittel werden allerdings eher in der Apotheke oder im Drogeriemarkt zu finden sein.
Veränderungen beim Lebensmittelverzehr bewirke auch die um 30 Prozent gesteigerte Mobilität. Die Menschen werden nicht mehr Auto fahren, aber sind tagsüber noch mehr unterwegs und auf den Außer-Haus-Markt angewiesen. Die Menschen passen ihre Ernährung dem jeweiligen individuellen Lebensstil an. Traditionelle Autoritäten verlieren ihre Deutungshoheit, weil die Informationsflut über die sozialen Medien zunimmt.
Diese Änderungen liegen in der Hand der Verbraucher. Die einen legen Wert auf eine ressourcenschonende Ernährung in einer werteorientierten Gesellschaft, die anderen sind Selbstoptimierer in der Leistungsgesellschaft, andere wollen in einer zunehmend virtuellen Welt einfach nur satt werden.
Darauf werde sich der Handel zuerst einstellen. Nach Gahmann entwickelt sich der Supermarkt mit einem „Livingroom“ und gemeinsamer Kochecke zu einem „social hub“. Das hat dann auch für die Landwirte Auswirkungen. Die „Economy of scale“ greife nicht mehr. Dafür haben kleine Produktionseinheiten mit regionalen und branchenübergreifenden Kooperationen neue Chancen. Ohne technologische Konnektivität verliere der Landwirt die Marktteilnahme. Schließlich muss er das Selbstbild des reinen Versorgers auflösen durch das eines Dienstleisters ersetzen.
Die Tierhaltung ist dabei nicht ausgeschlossen.
Lesestoff:
[1] Offene Ställe gibt es landauf und landab: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/konsumenten-koennten-es-besser-wissen.html
[2] In den USA plant der Online-Reise mittlerweile einen Offline-Arm: https://herd-und-hof.de/handel-/schneller-frischer-offline.html
Roland Krieg