Zehn Jahre Health Claims-Verordnung

Ernährung

Fresenius zog zur Health Claims Verordnung Bilanz


Vor zehn Jahren ist die Health Claims-Verordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben für Lebensmittel verabschiedet worden. Die siebte internationale Konferenz „Health Claims and Functional Ingredients“ der Akademie Fresenius am 14. und 15. Juni 2016 in Mainz zog nicht nur Bilanz. Sie gab auch einen Ausblick auf neue Lebensmittel, neue Regelungen und neue Kontroversen um die Zulässigkeit gesundheitsbezogener Aussagen.

Health Claims-Verordnung – eine unendliche Geschichte?

Seit 2006 sind nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben in der Werbung und Kennzeichnung von Lebensmitteln nur noch möglich, wenn sie durch die Health Claims-Verordnung ausdrücklich zugelassen sind. Es gilt zudem ein strenger Wissenschaftsvorbehalt: Erlaubt sind Gesundheitsaussagen nur, wenn sie durch anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse nachgewiesen sind.

Peter Loosen, Leiter des Brüsseler Büros des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e. V. (BLL), ging mit der Health Claims-Verordnung hart ins Gericht: „Zehn Jahre nach ihrer Verabschiedung ist die Verordnung immer noch ziemlich unvollständig – und wird es wohl auch bleiben.“ So sei die Gemeinschaftsliste zulässiger gesundheitsbezogener Angaben der EU-Kommission eine „Zufallsliste“. Sie entspreche in keiner Weise dem allgemeinen Erkenntnisstand über gesundheitsbezogene Wirkungen von Lebensmitteln.

Health Claims-Verordnung im Fitness-Check

REFIT („Regulatory Fitness and Performance Programme") ist der Name eines Fitness-Checks, mit dem die EU-Kommission die Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung verbessern will. Das EU-Recht soll einfacher werden und weniger Kosten verursachen. Ob es gelingt, die Health Claims-Verordnung „besser“ zu machen? Peter Loosen ist skeptisch: „Wir werden sehen. Am Ende ist es alles eine Frage der Politik. Und wenn die Mitgliedsstaaten oder das Europäische Parlament die bessere Gesetzgebung nicht wollen, dann wird sie auch scheitern. Im Moment sieht es ganz danach aus, dass nationale Egoismen und Machtspiele zwischen den Institutionen sich als zu mächtig erweisen.“

Stichtag 20. Juli 2016

Noch wenige Tage: Ab dem 20. Juli 2016 gilt die Verordnung (EU) Nr. 609/2013 vom 12. Juni 2013 über Lebensmittel für Säuglinge und Kleinkinder, Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke und Tagesrationen für gewichtskontrollierende Ernährung.

Die neue Verordnung löst die Richtlinie 2009/39/EG, die sogenannte „Diätrahmenrichtlinie“, ab und ersetzt sie durch Vorschriften für spezielle Verbrauchergruppen. Damit wird nach über dreißig Jahren das bisherige Konzept der Lebensmittel für eine besondere Ernährung („diätetische Lebensmittel“) im europäischen Recht aufgegeben.

Jean Savigny vom Brüsseler Büro Keller and Hackmann zeigte den Konferenzteilnehmern die Unterschiede zwischen alter Richtlinie und neuer Verordnung auf.

Während der Geltungsbereich der Diätrahmenrichtlinie alle Lebensmittel umfasst, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind, sieht die neue Verordnung nur noch spezifische Bestimmungen für eine begrenzte Zahl von Lebensmittelkategorien vor, die für bestimmte Verbraucherinnen und Verbraucher als unverzichtbar angesehen werden: Lebensmittel für Säuglinge und Kleinkinder sowie spezielle Lebensmittel für das Diätmanagement kranker Menschen und für Personen, die ihr Körpergewicht durch die Verwendung spezieller Lebensmittel verringern möchten.

Auch die neue Rahmenverordnung setzt fest, dass wie bisher weder in der Werbung noch in der Aufmachung für Säuglingsanfangsnahrung Abbildungen von Kindern verwendet werden dürfen. Außerdem darf die Aufmachung dieser Produkte keine Elemente enthalten, die geeignet sind, vom Stillen abzuhalten oder die Säuglingsanfangsnahrung zu idealisieren. Neu ist, dass für Folgenahrung (Nahrung für Säuglinge bis zur Einführung von Beikost) zukünftig Abbildungen von Kindern nur noch in der Werbung, nicht aber für die Kennzeichnung dieser Produkte verwendet werden dürfen.

Bewertung von Botanicals bleibt ungewiss

Aktuell prüft die EU-Kommission, ob die geltenden Regeln geeignet sind, auch gesundheitsbezogene Angaben für pflanzliche Stoffe in der Gruppe der Botanicals zu umfassen. Botanicals sind pflanzliche Stoffe und Erzeugnisse, die sich im Graubereich zwischen Nahrungsergänzungsmitteln und traditionellen Medikamenten bewegen.

Die Schwierigkeiten bei der Bewertung von Botanicals belegte Joris Geelen, Berater bei Food Compliance International in Brüssel, in seinem Vortrag mit einem kleinen Ausflug in die Geschichte der Pflanzenkunde. So erklärt es sich, dass die aktuelle Kategorisierung pflanzlicher Stoffe in Europa von Land zu Land unterschiedlich ist: Was in einem Land als Lebensmittel oder Lebensmittel-Zusatzstoff vermarket wird, gilt in einem anderen Land als Medizin. Das beruht auf traditionellen Betrachtungsweisen – eine sehr unterschiedliche und nicht-harmonisierte Ausgangslage für die Gesetzgebung in Europa, obwohl es viel Potential für diese vielseitigen Zutaten gibt. „Die Zukunft der Botanicals in Lebensmitteln bleibt weiter unklar“, stellt Geelen fest.

„Gesellschaftlichen Nutzen“ der Omega-3-Konzentrate

Möglichkeiten, Wirkungen und Herausforderungen lassen sich gut am Beispiel der Omega-3 Fettsäuren beschreiben. Lebensmittel mit Omega-3-Fettsäuren waren bisher neben den Vitaminen und Mineralstoffen im Zulassungsverfahren der Health-Claims-Verordnung am erfolgreichsten.

Seit den siebziger Jahren ist bekannt, dass die Inuit in Grönland sich zwar fettreich ernähren, aber wesentlich seltener unter Herzerkrankungen leiden als Europäer und Amerikaner. Schon früh wurde dies auf den hohen Gehalt an Omega-3 Fettsäuren in der Nahrung zurückgeführt. Hauptsächlich essen Inuit Fisch, Robben und Wale. Bernd Haber von BASF beschrieb in seinem Vortrag die positiven Wirkungen von Omega-3-Fettsäuren in Lebensmitteln und gab Beispiele, wie diese Lebensmittel unter der Health Claims-Verordnung beworben werden dürfen. Er betonte zudem die „gesellschaftliche Wirkung“. In vielen Staaten der Erde sei die Versorgung der Bevölkerung mit Omega-3-Säuren suboptimal. Betroffen seien vor allem Kinder und schwangere Frauen. Der Mangel an Docosahexaensäure (DHA) sei in der Schwangerschaft und Stillzeit besonders gefährlich. BASF ist ein weltweiter Marktführer im Bereich Omega-3-Fettsäuren.

Wirksamkeitsnachweise durch wissenschaftliche Plausibilität

Für nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben in der Werbung gilt ein strenger Wissenschaftsvorbehalt: Zulässig ist eine Angabe zur Gesundheitsförderung nur dann, wenn sie durch anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse nachgewiesen ist. Dazu überprüft die Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) die wissenschaftlichen Informationen und Daten, die einen Wirkungszusammenhang zwischen dem Lebensmittel/Inhaltsstoff und der angegebenen Wirkung belegen, um die Verbraucher vor ungenauen oder irreführenden Angaben zu schützen. Die Konsequenzen und Herausforderungen für Marketingexperten, die Lebensmittel mit gesundheitsbezogenen Angaben bewerben wollen, schilderte OIiver Wolf, Marketingmanager der Gelita AG (Eberbach). Das Unternehmen bietet hydrolysierte Kollagenpeptide an, die integraler Bestandteil vieler Nahrungsergänzungsmittel und funktioneller Lebensmittel sind. Produkte mit hydrolysiertem Kollagen sollen Körperfett reduzieren, Muskelmasse aufbauen, das Knorpelwachstum in den Gelenken stimulieren oder die Faltentiefe reduzieren. Wie sich die Wirksamkeit durch wissenschaftliche Untersuchungen belegen und die gesundheitsbezogenen Aussagen formulieren lassen, zeigte Wolf an zahlreichen Beispielen.

Lesestoff:

Die Tagungsunterlagen mit den Skripten aller Vorträge der Fresenius-Konferenz können zum Preis von 295,- EUR zzgl. MwSt. bei der Akademie Fresenius bezogen werden.
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Rebecca Keuters (Akademie Fresenius)

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