Zu klein um wahr zu sein

Ernährung

„Nanofood“: Kleine Leckerei oder Magenverderber?

Der Nanometer ist der milliardste Teil eines Meters. Das Nanopartikel ist im Vergleich zu einem Fußball so groß, wie der Fußball im Vergleich zur Erde. Nanotechnologie bringt selbstreinigende Flächen hervor, bringt Medikamente in einem Nanotaxi durch die Haut und setzt Farbe oder Geschmack anhaltend in kleinen Portionen frei. Nanopartikel sind aber auch der natürliche Ruß in geräuchertem Fisch oder Liposome aus Lecithin, die als E322 auf den Etiketten stehen.
Gestern lud der BUND anlässlich seiner Vorstellung der Studie „Aus dem Labor auf den Teller – Die Nutzung der Nanotechnologie im Lebensmittelsektor“ in Berlin zu einem Streitgespräch über die neue Technik.

Vielfach verwendet
Patricia Cameron, Chemieexpertin des BUND, hat in der internationalen Studie vier Verwendungsbereiche identifiziert: Nanopartikel als Verarbeitungshilfen zur Erhöhung der Fließ- oder Rieselfähigkeit. Zusatzstoffe in nanoverkapselten Zellen (Mizellen), die unter bestimmten Bedingungen über einen längeren Zeitraum Wirkstoffe freigeben und in den Bereich Functional Food gehören. Verpackungsmaterialien, die über verbesserte Barriereeigenschaften Produkte länger frisch halten können. Und zuletzt Küchenutensilien wie Töpfe, Pfannen oder Reinigungssprays.
Insgesamt wurden weltweit 93 Produkte identifiziert von denen 600 aus dem Bereich Lebensmittel und 500 aus dem Verpackungsbereich stammen. 25 davon gibt es in Deutschland – aber kein einziges ist ein Lebensmittel.

Neue Teilchen – neue Risiken
Nanopartikel zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie klein sind. Je kleiner ein Teilchen wird, desto größer wird die reaktive Oberfläche. Deshalb zeichnen sich die Winzlinge durch neue Eigenschaften aus: Leitfähigkeit, Löslichkeit, Farbe oder Diffusionseigenschaften verändern sich. Für Prof. Dr. Wilfried Kühling, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des BUND, bedeutet das eine erhöhte Toxizität. Eine der Eigenschaften ist die Permeabilität durch Zellwände und so können Silber und Titan oxidativen Stress in der Zelle auslösen und entzündliche Zytokinine bilden. Forschern ist nicht immer klar, wohin die Nanopartikel im menschlichen Körper wandern.

„Nanotechnologie ist keine Geheimwissenschaft“
Siliziumdioxid ist seit 60 Jahren im Nicht-Nanobereich als Rieselhilfe zugelassen. Es gebe aber Tendenzen, die Kieselsäure im Nanobereich weiter zu entwickeln, berichtet Dr. Sieglinde Stähle vom Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL). Sie nimmt den Stoff als Beispiel, dass die bestehenden Zulassungsvorschriften völlig ausreichten. Würde die Kieselsäure als Nanopartikel im Lebensmittelbereich eingesetzt werden, müsste es nach Vorschrift der MizelleNovel Food Verordnung zunächst seine Unbedenklichkeit bescheinigen. Der Forderung des BUND, bestehende Vorschriften um den Nanobereich auszuweiten, lehnt der BLL ab. Genauso wie eine Kennzeichnung, denn Nanopartikel kommen auch in der freien Natur vor. Diese Unterscheidung könne nicht gekennzeichnet werden.
Dr. Stähle bezweifelte auch den Gehalt an Nanopartikeln, in denen vom BUND ausgestellten Produkte. Es waren auch Dummys wie eine Wurst dabei, die nur vermutlich Nanopartikel enthalten, weil der Partikelhersteller BASF nicht verrät, an wen er seine Mizellen liefert. Mizellen lagern in einer wässrigen Lösung zusammen: Die hydrophilen Enden nach außen und die hydrophoben nach innen. Dadurch schützen sie den Inhalt wie Vitamine, Farbstoffe oder Geschmacksverstärker vor schnellem Verbrauch.
Zudem gibt es keine einheitliche Definition über die Größe eines Nanopartikels. Die OECD legt einen Wert bis 100 nm fest, die ein Teilchen aufweisen muss, um seine neue Wirkung als Nanoteilchen zu entfalten. Der BUND arbeitet mit 300 nm und andere Organisationen noch im Größenbereich von 500, so Dr. Rolf Hertel vom Bundesinstitut für Risikoforschung (BfR). Außerdem verhalten sich die Teilchen alles andere als vorhersehbar. Titanoxid als Bleichmittel wirke nur im Bereich von 80 nm anders und biotisch toxisch. Sowohl bei 25 als auch bei 125 nm ist es vorhersehbar wie seine großen Molekülgeschwister.

Mehr Fragen als Antworten
Dr. Hertel lobte die Studie des BUND, weil sie ein Thema aufgreift, dass auch der Wissenschaft Sorgen bereitet. Aber bereits die Gegenargumente müssen genauer überprüft werden. In einer Studie aus Düsseldorf wurde mit hochkonzentrierten Lösungen gearbeitet [Chen und Mikecz; ausführliche Literaturliste im Anhang der Studie; roRo], die wenig alltagstauglich sind. Negative Auswirkungen im Laborbereich müssen mit der tatsächlichen Exposition im Alltag nicht viel gemein haben. Da könne eine fundierte Risikoanalyse nur aus vielen Studien mit jeweils unterschiedlichen Versuchsbedingungen heraus formuliert werden.
Wegen ihrer hohen Reaktivität pappen Nanopartikel auch schnell zu größeren Aggregaten zusammen und verlieren ihre Eigenschaften wieder. Viele Studien über negative Auswirklungen stammen aus China und beschreiben Wirkstoffangaben im Bereich von fünf Gramm je Kilogramm Körpergewicht, bemängelt Dr. Hertel. In Deutschland sind mg-Angaben üblich.
So fordert auch der BUND, dass einheitliche Definitionen festgelegt und exakte Testverfahren für die Überprüfung von Nanopartikeln entwickelt werden müssen.

Sorgfaltspflicht auf allen Seiten
Am ehesten werden Nanopartikel im essbaren Bereich bei Nahrungsergänzungsmittel eingesetzt. Hier nehmen deren Konsumenten offensichtlich die dazugehörenden blumigen Versprechen am unkritischsten hin. Das verstellt aber allen Verbrauchern den objektiven Blick auf mögliche wirklich sinnvolle Anwendungen. Neben der Diskussion über die Risiken, sollte auch die Nutzenfrage gestellt werden, forderte Prof. Kühling. Das haben Verbraucher auf der Konsensus-Konferenz des BfR vor zwei Jahren bereits getan.
Um die Nanotechnologie nicht in die Fußstapfen der Diskussion um die Gentechnik folgen zu lassen, muss gegenüber den Verbrauchern Ehrlichkeit und Offenheit gelten. So darf sich die Industrie nicht in Schweigen hüllen, an wen sie ihre Produkte verkauft – und die Nichtregierungsorganisationen sollten nicht mit Dummys arbeiten, die Nanopartikel nur im Konjunktiv enthalten.

Lesestoff:
Die Studie des BUND kann unter www.bund.de unter Publikationen heruntergeladen werden.
Die Stellungnahme des BLL zur Nanotechnologie finden Sie unter www.bll.de.
Das Verbrauchervotum zur Nanotechnologie finden Sie bei www.bfr.bund.de

Roland Krieg; Foto: Studie des BUND

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