Abfall: Der Verpackungswahn

Handel

Schulze räumt bei Bio-Plastik auf

Recyclingquoten der EU-Länder

Kaum ein anderes Land hat so viele farbige Mülltonnen. Die Deutschen gelten als vorbildliche Müllsortierer. Viele waschen sogar den Joghurtbecher, obwohl „löffelrein“ vollends genügt. Das Kreislauffieber lässt die Bundesbürger nicht los. 65 Prozent der deutschen Siedlungsabfälle werden dem Recyling überführt. Satte zehn Prozentpunkte mehr als in Slowenien und Österreich. Gegenüber dem EU-Durchschnitt sind es nach Eurostat sogar satte 20 Prozentpunkte.

Die Zahlen beziehen sich allerdings auf den Hausmüll. Die so genannte Gelbe Tonne wird über die Dualen Systeme entleert. Dafür zahlen die Hersteller. Die Müllordnung ist aber aus den Fugen geraten. Wie allerdings die ganze Verpackungsszenerie. Die EU hat im letzten Jahr bereits den kurzfristig genutzten, aber in der Umwelt langlebigen Produkten den Kampf angesagt [1].

Papierkorb der Stadtreinigung
Papierkorb der Stadtreinigung ...

Zu viel Einweg im kommunalen Abfallkorb

Dem schnellen Plastik hat Bundesumweltministerin Svenja Schulze zusammen mit dem Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling, der auch Präsident des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) ist, ein neues Stopp-Schild aufgezeigt. Die „to go“-Gesellschaft hat sich angewöhnt, unterwegs zu essen und zu trinken. Einwegbecher und Einwegbehälter werden aber alles andere als mit Nach Hause genommen und in der richtigen Tonne entsorgt. Die Behälter landen entweder in der Umwelt als „littering“ oder im Papierkorb der Straßenreinigung. Rund zwei Drittel der Inhalte sind Einwegverpackungen, wie Schulze und Elbing mit einem am frühen Morgen vom Alexanderplatz mitgebrachten Papierkorb aufzeigten.

Das Problem: Für die Leerung, Reinigung und Aufarbeitung sind die  Kommunen zuständig. Sie müssen Personal und Aufwand stellen und geben die höheren Kosten an die Bürger weiter. Der VKU will jetzt in einer einjährigen Studie über alle Jahreszeiten hinweg, den Abfall analysieren: Aus dem Müllwagen, dem aus den Gullys, vom Straßenrand und aus den Papierkörben.

VKU will anteilige Rechnung erstellen

Der VKU wird dann genau ermitteln können, wie viel Wegwerfartikel im Müll landen. „Die Kosten tragen wir alle“, sagte Schulze. Wenn die Kommunen dann den Herstellern eine Rechnung schicken, „verteilen wir die Kosten nach dem Verursacherprinzip“. Der kommunale Müll hat allein in Mainz um zehn Prozent an Volumen gewonnen. In Großstädten mit hohem Touristenaufkommen wird der Anteil an Wegwerfmüll saisonal noch größer sein. „Weg vom Ex und Hopp“, lautet die Devise des VKU.

Müll für das Duale System
... mit viel Müll für das Duale System

Ein Problem, was Industrie und Koalitionspartner schon beschrieben haben: Hersteller bekommen für ihre Verpackung zwei Rechnungen: Einmal die Gebühren des Dualen Systems und möglicherweise schon ab 2021 eine Rechnung von der kommunalen Stadtreinigung.

Mal wieder die Verbraucher?

Ist das richtig? Die Industrie gibt den Verbrauchern die Schuld. Sie sollten den Einwegbecher nicht in den städtischen Papierkorb, sondern zu Hause in der gelben Tonne entsorgen. Der Kunde verursacht einen Fehlwurf. Diesen Knoten wird Schulzes Plan nicht lösen können. Doch ist die Umsetzung so gut wie unpraktikabel. Wer im Ort wohnt, kann auf Mehrweg setzen, wer zu Gast ist, könnte den Müll beim Imbiss abladen, der dann trennen muss. Die Menschen sind jedoch mit Becher und Verpackung unterwegs und legen eine Wegstrecke zwischen Kauf- und Entsorgungsort zurück. Wer beim Verhalten ansetzt, muss die „to go“-Praktik einstellen.

Mehr „Bio“ statt „Plastik“

Schulze und Ebling verfolgen mit der Verrechnung einen zweiten Ansatz: Die Verpackungsunternehmer können im Wettbewerb Mehrweglösungen erarbeiten. Schulzes Vorstoß zielt noch in eine andere Richtung: Im Bio-Plastik ist mehr Plastik als Bio drin. Wer heute Spaghetti mit Fertigsauce kauft, entsorgt den Karton in der Papiertonne, das Plastik um die Nudeln in der gelben Tonne und die Verbundverpackung für die Sauce in der Restmülltonne. Das geht an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbei und hat einen Aufwand erreicht, der entsteht, wenn alle Verantwortung auf den Kleinsten, hier Verbraucher, geschoben wird.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze

Bio-Plastik ist derzeit nicht definiert und Hersteller „kapern die Biotonne“ mit falschen Versprechungen. In Baden-Württemberg werden seit einiger Zeit auch die Bioabfälle getrennt gesammelt. Sie werden energetisch verwertet oder kompostiert. Doch nicht nur im „Ländle“ klagen Kommunen und  Landespolitik über Fehlwürfe. Die Kompostierung gelingt nur, wenn auch wirklich nur organischer Abfall in der Biotonne landet. Umweltminister Franz Untersteller formulierte am Wochenende ein neues Forschungsvorhaben: „In vielen Haushalten werden aus hygienischen Gründen Kunststoffbeutel für die Sammlung von Küchenabfällen genutzt. Unser Ziel ist es, konventionelle Kunststoffbeutel aus der Bioabfallsammlung zu verdrängen und mehr Bioabfälle zu gewinnen.“

Das ist nicht einfach. Die Bonner Wissenschaftlerin Dr. Neus Escobar hat in einer Studie gezeigt, dass Bio-PE und Bio-PET genauso langsam verrotten wie Kunststoff aus Erdöl. Hinter Schulzes Verrechnungsplänen steckt der verzweifelte Aufruf, die Verpackungen wieder lebensgerechter zu gestalten. So, dass es egal ist, wo sie entsorgt und gut recycelt werden können.

Für die Landwirte bieten sich neue Märkte. Derzeit werden von den weltweit rund 1,4 Milliarden Hektar Ackerfläche lediglich 106 Millionen Hektar für den Anbau von wirklichen Biomaterialien verwendet. Das ist doppelt so viel für Biotreibstoffe. Für Biokunststoffe stehen 670.000 Hektar im Anbau. Das sind erst 0,005 Prozent der Ackerfläche. Von den weltweit verwendeten 348 Millionen Tonnen Kunststoff, können davon erst 2,2 Millionen Tonnen substituiert werden.

Es geht um weit mehr als die Frage, wer die Rechnung zahlt. Am Ende sind es alle.

Lesestoff:

[1] Weg mit Einwegmüll: https://herd-und-hof.de/handel-/das-ende-der-schnellen-kunststoffwelt.html

Roland Krieg; Grafik: Eurostat; Fotos: roRo

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