Agrarpreise bieten Interpretationsspielraum
Handel
Verwirrspiel um die „Preisschuld“
Bald wird auf der Grünen Woche in Berlin das
Verwirrspiel um die Preise wieder auf die Spitze getrieben. Was kostet die
Milch, der Joghurt oder was hat der Verbraucher für Delikatessen noch in der
Tasche? Oder für das Tierwohl?
Spätestens seitdem Aldi seine Preissenkungen begründet, haben die Bauern schlechte Karten für ihr Argument, der Lebensmittelhandel drücke die Preise [1]. Seit Monaten sind die Preise für Agrarrohstoffe im Sinkflug. Die Agrarmarkt Informations-Gesellschaft AMI vermeldet zwischen den Jahren ein neues Tief. Mit 120,3 Indexpunkten (Basisjahr 2005) haben die Preise das Niveau von 2010 erreicht. Dazwischen lag der Index mindestens bei 135 Punkten und erreichte im Frühjahr 2013 mit 151 den Höchstwert.
Die Tagespresse kann schon seit Wochen den Verbrauchern günstige Lebensmittelpreise versprechen.
Verwirrspiel wird es auch um Russland geben. Russlands Embargo hat dem Marktgeschehen sicher die Krone aufgesetzt – aber die gute Ernte weltweit hat auch ohne Moskaus Agrarpolitik die Preise durch ein Überangebot sinken lassen. So wenig Putin in den letzten Monaten für Preiscrashs verantwortlich zeichnete, darf er auch in den nächsten Monaten aus dieser Haftung entlassen werden. Russland hat zwar Exporteinschränkungen für Getreide aufgebaut. Das reichte auch schon, wie die AMI berichtet, für ein Hoch auf dem Getreidemarkt – das aber nicht lange anhalten wird. Weltweit sind die Läger weiterhin gut gefüllt und die Bauern haben rund um den Globus eine gute Ernte eingefahren. Die Aussichten für das Jahr 2015 sind ähnlich. Die Börsenpreise holen nur tief Luft. Ein Spiel. Für einen Trend nicht verantwortlich. Das meldeten Handelsnachrichten schon vor Einführung der Exportrestriktion.
Ein drittes Verwirrspiel gibt es auch auf dem Energiemarkt. Energiekosten sind treibende Kostenfaktoren in jeglicher Produktion. Da derzeit, wenn auch möglicherweise politisch bedingt, wie Putin und Venezuelas Präsident Nicolas Maduro gemeinsam argwöhnen, der Ölpreis tief gefallen ist, sinken auch in diesem Bereich die Kosten für alle Endprodukte.
Was am Ende für sinkende Erzeuger- oder Verbraucherpreise wirklich ausschlaggebend ist, Handel, Erntevolumen oder Ölpreis, bleibt Interpretationsspielraum. Der Markt für Schuldzuweisungen öffnet am 16. Januar unter dem Berliner Funkturm.
Spannend ist die Frage nach den Konsequenzen für die
Bauern: Vertrauen auf den Markt oder Unterstützung vom Staat? Mehr Markt wollen
„alle“, so scheint es. Die aktuelle dlz hat Positionen der Bauern auf die
ersten Seiten gestellt: Höhere Interventionspreise, stärkere Exportförderung,
steuerfreie Risikoausgleichsrücklage und „Finger weg von den Preisen“, lautet
das Credo der Statements. Hintergrund ist eine repräsentative Umfrage unter
Bauern, die mit dem Titel „Marktpreise nicht beeinflussen“ widergegeben ist.
Dennoch sind die Aussagen nur die halbe Wahrheit. Auf die Frage, welche
Maßnahmen die EU gegen die sinkenden Milch- und Fleischpreise ergreifen sollte,
antworten nur 36,2 Prozent mit: „Nichts, der Markt regelt das schon.“ Die nicht
weiter hervorgehobene Menge an Bauern, die „Angebotsmengen besser steuern“,
wollen sind mit 35,3 Prozent fast ebenso viele. Markt oder Unterstützung teilt
sich halb-halbe. Egal, was auf der Grünen Woche in den Vordergrund rückt.
Übrigens wollen nur 20 Prozent der Bauern einen stärkeren Export.
Lesestoff:
[1] Aldi verweist auf sinkende Agrarpreise
Roland Krieg