Agrarwirtschaft: Im Sog der Welt

Handel

Neue Tektonik der Weltwirtschaft

Eigentlich ist die Messe gesungen. Die gemeinsame Agrarreform von 2003 hat in der EU den Wandel vom Marktordnungswesen zum Wettbewerb eingeleitet. Der Health Check ist nur eine Zwischenstation und bietet wenig Chancen neue und alte Leitbilder der Agrarstruktur aufzunehmen. Die Preisvolatilitäten schlagen um so mehr auf die Bauern durch, desto mehr die Marktordnungen zurückgenommen werden. Um so mehr, je mehr sich das Weltmarktpreisniveau dem der EU annähert. Das spürt auch die Agrarwirtschaft, die seit gestern in Berlin auf der Handelsblatt-Konferenz „Agrarwirtschaft“ über Chancen und Herausforderungen in der neuen „Tektonik der Weltwirtschaft“ diskutiert.

„Deutschland hat Nachholbedarf“
Andreas Schüren, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Rölfs-Partner Management, zeichnet mit dem Wachstum der so genannten BRIC-Länder, die neuen Machtzentren auf:

Entwicklung BIP in Mrd. US-Dollar von 1997 auf 2007

Deutschland

2.163

3.322

+ 54 %

Brasilien

871

1.313

+ 51 %

Russland

404

1.289

+ 219 %

Indien

408

1.098

+ 169 %

China

952

3.251

+ 241 %

Vor dem Hintergrund steigender Bevölkerung und steigender Nachfrage nach höherwertigeren Lebensmitteln hat sich das „Sommermärchen Milchpreis 2007 zu einem Albtraum 2008 entwickelt“, fasst Schüren die Auswirkungen auf die EU zusammen. Wenn ein amerikanischer Schweinemäster 300 Millionen Euro in Rumänien investiert, dann wolle er seine Ware auch nach Westeuropa verkaufen. Um da mithalten zu können, seien Marktverknappungen wie die Milchquote oder der zweistufige Handel über Primärgenossenschaft zur Hauptgenossenschaft überholt. Firmen mit wirtschaftlicher Überlebensstrategie haben sich in der Wertschöpfungskette entlanggearbeitet und bedienen diese selbst. Bei Vogelgrippeereignissen und unkontrollierten Schlachtabfällen sind diese Firmen außen vor, so Schüren. Firmen, die beispielsweise in die Gefriertrocknung oder in den Convenience-Bereich diversifizieren, seinen genauso erfolgreich, wie die Firmen und Genossenschaften, die dem Handel eine Machtkonzentration entgegenstellen können. Als weiteren strategischen Erfolgsfaktor führt der Unternehmensberater die Exportausrichtung von Firmen an. Parallel muss die Agrarwirtschaft an den operativen Ergebnissen einer kostengünstigen Produktion arbeiten.

Wenig beachtete Konzentrationsprozesse: Müller
Verbraucher haben über das Verschwinden der Tante-Emma-Läden geklagt. Vertraute Bauernhöfe mit einer Schweinekuhle neben dem Stall gibt es auch kaum noch. Was weniger auffällt sind die deutlichen Konzentrationsprozesse in der Agrarwirtschaft.
Die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe hat sich zwischen 1990 und 2007 von 630.000 auf 370.800 reduziert und sind dabei von durchschnittlich 20 auf über 45 Hektar größer geworden. Auch das Bäckerhandwerk hat einen rasanten Strukturwandel hinter sich. Gab es 1980 noch fast 31.000 Bäcker, so waren es im letzten Jahr nur noch 15.700. Die Anzahl der Verkaufsstellen ist mit rund 47.000 gleich geblieben. Weniger als 12.000 Bäcker werde es aber in Zukunft nicht geben, prognostiziert Rolf Brack, Vorstandsvorsitzender der Kampffmeyer Mühlen GmbH, der größten Mühle Europas.
1850 gab es noch 18.000 Mühlen. „In fast jedem Dorf eine“. 1960 waren es nur noch 1.500 und im letzten Jahr zählte Brack nur noch 317 Mühlen, die mehr als 500 Tonnen Getreide vermahlen. Pro Betrieb ist die Vermahlung von 500 auf 25.000 Tonnen im Jahr angestiegen. Zusammen erzeugen sie 6,2 Mio. t Mehl, das für 8,3 Mrd. Brote von 1.000 g reicht.

Milch
Der Milchsektor war in den letzten beiden Wochen unter starker Beobachtung. Martin Mischel, Vorstand bei der Nordmilch AG beschreibt auch hier den Konzentrationsprozess, der in Deutschland im Vergleich zu einigen Nachbarländern noch gering ist:

Deutschland

Niederlande

Dänemark

Landwirte

Milchviehbetriebe

106.000

15.000

5.000

durchschn. Milchmenge/Betrieb

270.000

700.000

918.000

Mrd. kg

29

11

5

Molkereien

Anzahl Molkereien

148
NM, Müller MUH

8
Campina, Friesland

36
Arla

Umsatz

6 Mrd.

8 Mrd.

6,1 Mrd.

Prozent

29 %

90 %

90 %

Handel

Größte LEH

5
Edeka, Rewe, Discount

2
Ahold, Laurus

3
Coop, Dagrofa

Umsatz

106 Mrd. €

11 Mrd. €

6 Mrd. €

Mischels Fazit: „Die liberalisierten Märkte erfordern strukturelle Anpassungen auf Erzeuger- und Industrieseite.“

Fleisch
Auf dem Rinder- und Schweinefleischmarkt gibt es seit geraumer Zeit kaum noch Interventionen und die Agrarreform bereits weitestgehend umgesetzt. In Deutschland wurde im Zuge der BSE-Krise im November 2001 ein letzter Bestand aufgekauft, so Dr. Heike Harstick, Hauptgeschäftsführerin Verband der Fleischwirtschaft (VDF), der 90 Prozent des Rinder- und Schweinefleischmarktes repräsentiert. In Frankreich und Italien wurden die letzten Aufkäufe 2004 getätigt. Etwas anders sieht es im Bereich des Schweinemarktes aus, denn da wurde noch im November und Dezember 2007 in allen Mitgliedsstaaten der EU insgesamt rund 100.000 Tonnen Schweinefleisch eingelagert, dessen Reste jetzt noch langsam auf den Markt kommen und eine Mitschuld am aktuellen Preisverfall hätten so Harstick.
Der Abbau von marktstützenden Elementen auf dem Fleischmarkt hat insgesamt wenig Auswirkungen gehabt. Externe Faktoren sind wichtiger. So setze Russland eigene Grenzwerte für Antibiotika wie Tetracycline fest, kann aber nicht verklagt werden, weil Moskau nicht Mitglied der WTO ist. Die EU verhindere wegen des Hormonverbots fast jegliche Rindfleischimporte aus den USA und gehe mit dem Einfuhrverbot von mit Chlor desinfizierten Hähnchen den gleichen Weg. Marktrestriktionen sind die Tür, hinter der Marktkonzentrationen blühen. Mit zunehmender Internationalisierung steige der Zwang zum Wachstum. In Brasilien kontrollieren fünf Unternehmen den Rindfleischmarkt. In Deutschland hält Vion mit 42 Prozent den ersten Platz, nimmt aber in der EU nur einen Marktanteil von fünf Prozent ein. Da ist noch Luft nach oben.

Handelspartner und Preiswürdigkeit
Rolf Brack spürt den Wandel in der Beziehung zu den Bauern. Aber positiv. Früher waren die Müller „Abnehmer“ und keine Handelspartner der Bauern. Beim Handel mussten die Müller vor kurzem noch „in Abstellkammern“ verhandeln. Die Agrarwirtschaft bekommt angesichts der steigenden Rohstoffpreise ein neues Selbstbewusstsein. Und das muss nicht unbedingt negativ für die Bauern sein. Zumindest im Milchsektor ist die Beziehung zwischen den Milchviehhaltern und den Molkereien etwas besonderes. Martin Mischel muss die Bauern langfristig an sich binden: „Der Auszahlungspreis von heute ist die Rohstoffsicherung von morgen.“
Der große Unbekannte in der Preisbildung ist der Verbraucher. Rolf Brack ist sich sicher, dass die Agrarwirtschaft es noch nicht geschafft hat, dem Kunden die Qualität der Produkte nahe zu bringen. Heute gibt er immer weniger Geld für Lebensmittel aus als früher. Hilfe werde auch nicht das Kartellrecht bringen, dass die „Asymmetrie der Macht“ zwischen der Agrarwirtschaft und dem Handel nicht beseitigen kann. Die Konsumenten führen Lebensmittel mit dem Image „billig“ im Kopf. Das liege, so Schüren, auch daran, dass „billige“ Lebensmittel immer noch als hochwertig verkauft werden. Die Investitionen in hochwertige Lebensmittel hätten im Vergleich zu ihrer Höhe nur einen geringen Erfolg gebracht. Die Masse, da ist sich Schüren sicher, wird sich nicht umstimmen lassen, teurer einzukaufen.
Erfolge in der Wertschöpfungskette mehr zu verdienen, sieht auch Mischel nur in einzelnen Marktsegmenten. Milch und Quark seien fast nur industrielle Massenware, bei der auch in Zukunft keine hohen Renditen zu erwarten sind. Mehr Erlös erzielen Spezialitäten und hoch verarbeitete Produkte. Eine Änderung des Verbraucherverhaltens ist nicht in Sicht, so Schüren, denn auf der Einkommensseite der Verbraucher ist keine Entspannung zu erwarten.

Teil II: Agrarwirtschaft zur Gentechnik

Roland Krieg

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