Aus der Ambulanz in die Reha

Handel

Was ist der Politik der Handel wert?

Eigentlich stand am zweiten Tag des Deutschen Handelskongresses die Frage „Was ist der Handel der Politik wert?“ auf dem Programm. Wegen der Finanzkrise wurde das Programm geändert, das Podium ausgetauscht – aber das Thema irgendwo doch beibehalten. Die wirtschaftspolitischen Sprecher der Parteien waren sich einig, dass sowohl das Finanzpaket für die Banken als auch das Konjunkturpaket notwendig sind. Was allerdings daraus resultiert und wie es 2009 und darüber hinaus weiter geht, wird zur Parteipolitik mit unterschiedlichen Ansätzen: Ein Ausblick auf die Diskussionen im Wahljahr 2009.

Weg mit dem „Mittelstandsbauch“
Auch die Wirtschaftsgutachter kritisieren das Konjunkturprogramm 2009, das sie Mittwoch der Kanzlerin überreichten, als ein „Sammelsurium von Einzelmaßnahmen“. Die Konjunktur solle am Anfang mit Krediten finanziert werden. Ausgleichsmaßnahmen sollen erst geschaffen werden, wenn der Aufschwung wieder greife. In der Einkommenssteuer solle der „Mittelstandsbauch“ verschwinden und ein linear-progressiver Tarif eingeführt werden. Die Prognosen:

2007

2008

2009

Wirtschaftswachstum in %

2,5

1,7

0,0

Arbeitslose in Mio.

3,78

3,27

3,30

Inflation in Prozent

2,3

2,8

2,1

Staatsverschuldung

- 0,2

- 0,1

- 0,2

Q: www.sachverstaendigenrat.de

Hilfe innerhalb des Staatsetat
Michael Meister von der CDU/CSU brachte es auf den Punkt. Man müsse zwischen Notfallmedizin und Reha-Maßnahmen unterscheiden. Die beschlossenen Finanzpakete können ihre Wirksamkeit beweisen und die deutsche Wirtschaft gehe als gesunder Patient in die nachfolgenden Reha-Maßnahmen. Die Inflationsentwicklung weise in Deutschland einen guten Trend auf, mehr Menschen stehen in Lohn und die Zentralbanken könnten sich bereits wieder überlegen, die Zinsen zu senken, analysierte Meister die Blutwerte der Wirtschaft auf. Mit dem Absenken der Arbeitslosenversicherung seit Legislaturbeginn hätten die Arbeitnehmer schon durchschnittlich 40 Euro mehr im Monat auf dem Konto. „Mehr Netto vom Brutto“ sollen die Menschen bekommen und den Konsum ankurbeln.
Hubertus Heil von der SPD möchte dem Verbraucher die Notwendigkeit der Finanzpakete effektiver kommunizieren, denn ohne diese Hilfen entstünde ein Dominoeffekt mit weitaus drastischeren Auswirkungen. Man solle sich auch bei aller Kritik erst einmal an die Umsetzung des einen Paketes orientieren und nicht gleich mehrere Maßnahmen durchführen, was den Anschein politischen Aktionismus erweckte. Keine Kürzungen im Bereich der Investitionen sind verlässliche Rahmenbedingungen für den Handel.

Gewinner und Verlierer
Auf das Basisjahr 1995 berechnet zeichnen sich im Handel deutliche Gewinner und Verlierer ab. So haben Lebensmitteldiscounter 2007 ihre Bedeutung auf 170,8 Prozent gesteigert. SB-Warenhäuser kommen auf 124,1 Prozent, während der Supermarkt (traditionelle Lebensmitteleinzelhandel) und traditioneller Fachhandel deutlich verloren haben (80,5 und 60,5 Prozent). Der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels führt das darauf zurück, „dass die deutschen Verbraucher angesichts tatsächlich oder vermeintlich leerer Geldbeutel und verstärktem Vorsorgesparen grundsätzlich einen immer geringeren Teil der Konsumausgaben im Einzelhandel verwenden.“ Zudem sind sie äußerst preissensibel. Trotzdem schätzt der HDE, dass sich 2010 der Umsatz mit Lebensmittel auf 181,75 Milliarden Euro summiert– „wovon überdurchschnittlich der Fachhandel profitieren wird“.
Das Teilsegment Lebensmittel ist gegenwärtig mit rund 170 Milliarden Euro der größte Konsumgütermarkt. Nach wie vor ist „Bio“ eines der wesentlichen Schlagwörter hinter den Theken – so dass rund 30 Prozent der Waren mittlerweile importiert werden müssen. In den letzten sechs Jahren hat sich der Umsatz mit Bioprodukten auf 4,5 Mrd. Euro mehr als verdoppelt.
Als größte Schwäche der Branche sieht der HDE die sinkende Flächenproduktivität und Überkapazitäten. Die langfristigen Auswirkungen führen in einen Preiskampf mit rückgehender Gewinnspanne und Rendite. Das führt zu einem Trend in Richtung Discount. Die Branche selbst sieht das etwas anders. Als Topthemen zwischen 2005 bis 2008 belegten „Kaufzurückhaltung“, „Belastungen Mittelstand“ und „Attraktivitätsverlust Innenstadt“ stets die ersten drei Plätze.
Q: Factbook Einzelhandel 2009

Für Hermann Otto Solms von der FDP ist das Konjunkturpaket der Bundesregierung nicht ausreichend und unzusammenhängend. Es fehle an einer langfristigen Strategie, den Konsumenten mehr Geld in die Hand zu geben. Strukturentlastungen seien wichtiger als Konjunkturpakete – so litte der Handel noch heute unter der Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte.
Auch Kirsten Andreae von Bündnis 90/Die Grünen bläst ins gleiche Horn. Die USA hätten mit einem ersten Konjunkturpaket von 100 US-Dollar an jeden Bürger keinen Erfolg gehabt und müssten sich als nächstes etwas anderes ausdenken. Wesentlich sinnvoller sei es, die Investition in den ohnehin notwendigen Klimaschutz zu lenken. „Massiv Geld“ müsse in Bildung, Infrastruktur und Forschung gesteckt werden.
Was auch immer gemacht werden wird, so waren sich alle einig, dürfe die Haushaltskonsolidierung nicht in Frage stellen. Es dürfen keine Investitionen gemacht werden, die Haushaltslöcher reißen und von der nächsten Generation gestopft werden müssten.
Letztlich gehe es darum, die Menschen im unteren Einkommensbereich und Hartz IV-Empfängern zu entlasten, so Andreae. Im oberen Bereich dürften keine Steuern mehr gesenkt werden, um die Entlastungen zu finanzieren. So ähnlich sieht das auch Hubertus Heil: Skandinavien mache es vor, dass Sozialleistungen weniger über die Arbeit und mehr über die Steuern finanziert werden können.

Für einen überbetrieblichen Vergleich hat der HDE die Durchschnittswerte und die Werte der Besten in der jeweiligen Kategorie gegenüber gestellt.

Supermarkt

Discounter

Naturkost

Schnitt

Besten

Schnitt

Besten

Schnitt

Besten

Personalleistung
(Euro je Mitarbeiter)

170.000

200.000

400.000

k. A.

137.000

150.000

Flächenproduktivität
(Euro je qm)

3.800

4.100

5.000

7.000

4.500

5.000

Handelsspanne
(% des Bruttoumsatzes)


20,5


22,0


15,5


k. A.


31,1


32,0

Betriebskosten
(% des Bruttoumsatzes)


23,5


20,0


13,2


k. A.


29,9


28,0

Betriebsergebnis
(% des Bruttoumsatzes


- 3,0


3,0


2,3


k. A.


1,2


4,0

Q: Factbook Einzelhandel 2009

Lesestoff:
Factbook Einzelhandel 2009. LVP Lebensmittel Praxis Verlag, Neuwied. ISBN 978-3-88688-250-2; 29 Euro
Eröffnung Handelskongress
Workshop Nachhaltigkeit


Roland Krieg

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