Bio-Einkauf nicht per se klimagünstiger
Handel
Einkaufsverhalten entscheidet über Klimabilanz
Gießener Studie zeigt: CO2-Fussabdruck der Verbraucherinnen und Verbraucher beim Einkauf in Biomärkten in mittelhessischen Städten deutlich höher als beim Einkauf in Gießener Supermärkten
Endverbraucher-CO2-Fußabdruck
Wie umweltfreundlich ist der Einkauf im Biomarkt – auf
den Einkaufsweg bezogen? Dieser Frage ist die Arbeitsgruppe von Prof. Dr.-Ing.
Elmar Schlich, Professur für Prozesstechnik in Lebensmittel- und
Dienstleistungsbetrieben an der Justus-Liebig-Universität Gießen, für den Raum
Mittelhessen nachgegangen. Das Ergebnis: Kundinnen und Kunden von Biomärkten in
mittelhessischen Städten haben im Durchschnitt einen deutlich höheren
„Endverbraucher-CO2-Fußabdruck“ als diejenigen, die in Gießener
Supermärkten einkaufen. Zur Verallgemeinerung und Absicherung dieser Befunde
sind jedoch weitere Untersuchungen nötig.
Frühere Studien der Arbeitsgruppe Schlich zeigten, dass
Lebensmittel in Deutschland durch den Weg zum Einkauf zusätzlich im Schnitt mit
etwa 300 Gramm Kohlendioxid (CO2) pro Kilogramm belastet werden. Die
rund 400 befragten Kundinnen und Kunden von Supermärkten in der Stadt Gießen
verursachten durch den Weg zum Einkauf im Mittel nur 124 Gramm CO2
pro Kilogramm Lebensmittel. Dabei dürfte Gießen mit seinem bundesweit höchsten
Studierendenanteil als demographischer Sonderfall gelten: Die Studierenden
benutzen häufig klimafreundlich das Fahrrad, ihr Semesterticket oder gehen zu
Fuß zum Einkaufen, wie eine frühere Erhebung der Arbeitsgruppe zeigte.
Die 275 für die Studie befragten Kundinnen und Kunden
von Biomärkten in mittelhessischen Städten verursachten im Schnitt für ihre
Einkaufswege hingegen rund 1.000 Gramm CO2 pro Kilogramm Bioprodukt
– mehr als das Dreifache des deutschen Durchschnitts und mehr als das Achtfache
der befragten Gießener Supermarkt-Kundinnen und Kunden. Der Grund: Die
Biomarkt-Kundinnen und -Kunden kauften signifikant weniger ein und legten längere
Einkaufswege zurück als die Supermarkt-Kundinnen und -Kunden, denn Biomärkte
sind nicht so flächendeckend vorhanden wie Supermärkte. Beides führt zu einer
deutlichen Erhöhung der spezifischen CO2-Emission auf
Konsumentenseite. Diese CO2-Emission bezeichnet Schlich im Unterschied zum
„Product Carbon Footprint“ als „Consumer Carbon Footprint“, weil sie nicht
einem einzelnen Produkt, sondern nur dem Warenkorb insgesamt zugeordnet werden
kann.
Individuelle Unterschiede
Allerdings dürfen diese Mittelwerte nicht darüber
hinwegtäuschen, dass es bei den Biomarkt-Kundinnen und -Kunden sehr große
individuelle Unterschiede gibt – von 0 bis zu beträchtlichen 38.900 Gramm CO2
pro Kilogramm Einkauf. Zudem gelten die Daten nur für die untersuchte
Grundgesamtheit im Raum Mittelhessen, für die untersuchte Jahreszeit und unter
Anwendung des hier entwickelten Allokationsverfahrens, mit dem der „Consumer
Carbon Footprint“ eines Warenkorbs den Kundinnen und Kunden zugeordnet wird.
Weitere Erhebungen sind daher notwendig. Zudem gilt es, einen wissenschaftlich
gesicherten Konsens hinsichtlich anzuwendender Allokationsverfahren bei
Mehrfachwegen zu finden.
Die Arbeitsgruppe Schlich hat für ihre empirische
Studie eigene Erhebungen durchgeführt. Dies unterscheidet sie von vielen anderen
Studien mit ähnlichen Fragestellungen, die Einkaufswege und -mengen in der
Regel nur auf Vermutungen stützen, ohne jedoch eigene Erhebungen am „Point of
Sale“ anzustellen.
Der Verbraucher ist gefragt
Schlich plädiert dafür, dass alle Verbraucherinnen und Verbraucher in unserer automobilen Gesellschaft ein größeres Bewusstsein für ihren eigenen Beitrag zur CO2-Einsparung entwickeln. „Die Veränderung des eigenen Handelns kann viel mehr bewirken als der Ruf nach einem möglichst geringen ‚Product Carbon Footprint‘ in der Primärproduktion, in der Lebensmittelwirtschaft und im Transportwesen“, so der Gießener Wissenschaftler. Es müsse zu denken geben, dass der Transport von Tafeläpfeln globaler Herkunft per Schiff und LKW über Entfernungen von 16.000 Kilometern weniger CO2 pro Kilogramm Lebensmittel verursache als die sogenannte „letzte Meile“, die im Verantwortungsbereich der Endkundinnen und -kunden liegt. „Wer mit seinem Auto etliche Kilometer in die Stadt zum Biomarkt oder weit ins Umland zum Hofladen fährt, um dort ‚Bio‘ zu kaufen, tut der Umwelt keinen Gefallen“, sagt Schlich. „Eine effizientere Logistik der Distribution von Bioprodukten bis zur Haustür der Verbraucherinnen und Verbraucher ist dringend geboten.“
Lesestoff:
Schlich, E. (Hrsg.) Mohr, M.: Consumer Carbon Footprint beim Einkauf von Bioprodukten. Shaker-Verlag, Aachen (2013). DOI: 10.2370/OND000000000165
Einkaufen mit dem Auto ist Gift
Caroline Link (JLU Gießen) / roRo