Bio: Mit Gesicht, aber ohne Gefühl?

Handel

Lebensmittelwerbung muss Appetit machen

Viel Zeit haben die Kunden vor dem Regal nicht. Aus der Vielfalt des Angebots spricht den Kunden eher das Produkt an, dass seinen Bauch adressiert, weniger das, welches die Vernunft anspricht. Zu diesem Ergebnis kommt die neue Studie der Hamburger Werbewirkungsforscher von MediaAnalyzer, die 24 Food-Anzeigen einschließlich zweier Befragungen mit insgesamt 300 Teilnehmern durchgeführt hat. Es ging um die Bedürfnisse, Gefühle und Instinkte rund ums Essen, um die Effizienz von prominenten Werbeträgern und um die Wirkung von Bio-Kennzeichnungen.

Appell an den Bauch
Auswahl und Bewertung von Lebensmitteln „sind ein Urinstinkt aller Lebewesen“, so die Werbeforscher. Da trägt der zivilisierte Konsument im Geschäft wohl noch die Eigenschaften der Jäger und Sammler in sich. Ob er will oder nicht.
Die Ergebnisse der Forscher zeigen, dass sich auch die Lebensmittelwerbung an die Instinkte, die Bedürfnisse und die Gefühle rund um das Essen richten muss, um beim Kunden Erfolg zu haben.
„Im Zentrum sollte daher das appetitlich hergerichtete, frische und möglichst verzehrfertig inszenierte Produkt stehen.“ Je frischer und verzehrfertiger, desto besser kam die Werbung bei den Kunden an. In einen rohen Champion beispielsweise kann der Konsument direkt hineinbeißen und wirbt für sich selbst. Hingegen sollte zu Grünkohl noch die Tiefkühlpackung abgebildet werden, um zu signalisieren: Es ist nur noch ein kleiner Schritt zum Genuss.
Ein Tipp der Werbefachleute: Die Verpackungen sollten geöffnet sein, weil niemand in einen Plastikbecher oder in einen Wurst-Blister beißen will.
Wer Menüs abbildet, der sollte nicht knausern. Drei Kartoffeln mit Kräuterbutter wirken besser als eine und wer Pasta-Saucen bewirbt, sollte viel Gemüse abbilden. Das signalisiert: Hier gibt es Geschmack im Überfluss.

„Bio“ ist vernünftig, aber...
Die Werbung in der Biobranche gilt als textlastig. Das haben vor Jahren schon Werbefachleute auf der Nürnberger BioFach bemängelt. Viel geändert hat sich offenbar nicht, denn „Bio“ fällt nach Analyse von MediaAnalyzer bei der emotionalen Bewertung noch heute schlicht durch. Die Probanden nehmen die Kennzeichnung „Bio“ wohl wahr, geben aber zu 62 Prozent an, „dass für ihre bewusste Kaufentscheidung „Bio“ letztlich unwichtig ist.“ Die Antwort hat auch die Hamburger überrascht und erklären sich das Ergebnis dadurch, dass „Bio“ „irgendwie an die Vernunft“ appelliert, aber „keine positiven, genussbezogenen Gefühle“.
Die Verbände und Hersteller geben mittlerweile über einen Barcode auf ihren Produkten der Ware viel Gesicht, aber das Produkt muss zunächst im Einkaufskorb landen. „Bio“ erleidet „dasselbe Schicksal wie Nährwertangaben und Verzehrsempfehlungen. Auch sie richten sich vor allem an die Vernunft und sind aus Sicht der Käufer in der Lebensmittelwerbung – vielleicht muss man sagen: leider – fehl am Platz“, so das Urteil der aktuellen Hamburger Studie.

Mit Gefühl ins Hirn der Zielgruppe
„Es gibt keine Entscheidungen ohne Emotionen“, sagte der Psychologe und Bestsellerautor Dr. Hans-Georg Häusel auf dem Münchener Neuromarketingkongress im April 2009.
„Nur Emotionen geben der Welt Wert und Bedeutung.“ Der neue Weg zum Glück heißt daher „Emotional Boosting“, die Disziplin „Neuromarketing“ - Marketing mit Unterstützung der Hirnforschung. Denn unterm Strich geht es der Industrie nicht viel besser als der Ernährungsaufklärung: Neun von zehn Produkteinführungen floppen. Häusel hat sieben Zielgruppen ausgemacht, genannt „Braintypes“, vom Abenteurer bis zum Traditionalisten. „Menschen suchen unbewusst immer die Marke, die ihnen ähnlich ist“, so Häusel. Aufgabe des Neuromarketing ist es nun, die Produkte mit positiven Emotionen, passend zum „Braintyp“ aufzuladen. Auch Belohnungs- und Bestrafungssysteme spielen eine wichtige Rolle. Zum Beispiel bei Rabattkäufen. Prof. Christian Elger vom Universitätsklinikum Bonn, hat in Untersuchungen festgestellt, dass Rabattzeichen das Belohnungssystem maximal aktivieren. Das wiederum führt zu einer Verringerung des Kontrollsystems, der Kunde kauft blind.
Auch kleine und mittlere Unternehmen oder Non-Profit-Organisationen könnten die Erkenntnisse des Neuromarketing nutzen, davon sind die Experten überzeugt. Letztendlich geht es um den konsequenten Kundenblick. „Mein Rat an den nationalen Aktionsplan IN FORM wäre“, sagt Häusel, „dass man stärker auf die neurobiologischen Zielgruppen eingeht. „In Form“ ist für einen jungen Mann (Abenteurer) etwas ganz anderes als für eine ältere Frau (Traditionalistin). Das erfordert unterschiedliche Argumentationsstrategien, Events oder auch Vorbilder.“ Elger meint, dass viele Aufklärungskampagnen zu rational angelegt sind. „Eine rationale Information dringt nicht in die Gedächtnissysteme, erst das Emotionale schließt die Gedächtnissysteme auf.“
Gesa Maschkowski, aid infodienst (Zur Konferenz: www.neuromarketing-wissen.de)

Kann Schubeck auch Lebensmittel verkaufen?
Die Nutzung von Prominenten in der Werbung kann das Produkt richtig unterstützen. Prominenz kann aber auch ein Werbehindernis sein. „Weder die Bekanntheit von Alfons Schubeck noch Kai Pflaume konnten die Defizite der Anzeigen, in denen sie auftraten, kompensieren.“ Das Problem lag wohl daran, dass die Webetreibenden die Prominenz in den Vordergrund rückten und nicht mehr viel Platz für das eigentliche Produkt blieb. Gerade in der Lebensmittelbranche sollte das Produkt jedoch appetitlich in den Vordergrund rücken.

Und noch einen Unterschied haben die MediaAnalyzer herausgefunden: „Der Aussage „ich kann Lebensmittelwerbung überhaupt nicht leiden“ haben nur 15 Prozent der Frauen zugestimmt, bei den Männern fiel die Ablehnung mit 30 Prozent genau doppelt so stark aus.“

roRo

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