Branche wehrt sich gegen Greenpeace
Handel
O + G: Disharmonie wegen Disparität
Gesetzliche Höchstmenge, ARfD-Wert oder NOAEL? Wer hat vor dem Einkauf Labortechnik studiert, um mit diesen Begriffen etwas anfangen zu können? So müssen Diskussionen um Rückstände bei Obst und Gemüse (O + G) beim Verbraucher mehr Verwirrung stiften als das sie Aufklärung schafften. Zumal weder Apfel noch Kohlkopf signalisieren, wie viel von welchem Pflanzenschutzmittel sie noch beinhalten.
Schreck vor der Fruit Logistica
Die jüngst vorgestellt Greenpeace-Studie „Pestizide am Limit II“ riss alte Gräben wieder auf. Wo Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden, bleiben auch welche zurück. Wie viel, möchte die Rückstandshöchstmengen-Verordnung regeln. Wird dieser Wert überschritten, dann dürfen die Waren nicht mehr verkauft und der Verursacher kann strafrechtlich verfolgt werden. Bis dahin ist die Rückstandsmenge erlaubt. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sieht in der Höchstmenge einen Grenzwert für die gesundheitliche Bewertung, der Industrieverband Agrar (IVA) aus Frankfurt eine Handelsnorm, Greenpeace eine „Legalisierung von mehr Gift im Essen“, weil einige deutsche Grenzwerte auf höhere europäische Grenzwerte angepasst wurden.
Das „Grenz“problem
Aus der Sicht des Geschäftsführers der Bundesvereinigung der Erzeugerorganisation Obst und Gemüse in Bonn, Karl Schmitz, ist die Realität der Praktiker voller Fallstricke, wie er gestern auf der Eröffnungspressekonferenz zur Fruit Logistica darlegte. In den Niederlanden sind 25 Pflanzenschutzmittel für die Tomatenproduktion zugelassen. In Deutschland dürfen davon nur fünf angewendet werden. Für die Industrie sei das eine ökonomische Abwägung, wenn der Absatz des Mittels nicht verspricht, die Kosten für seine Zulassung wieder einzuspielen. So sind Mittel, die nicht zugelassen sind, nicht verboten – aber sie sind gleichwohl illegal, werden sie gehandelt. Für Schmitz ist diese Unterscheidung wichtig, denn im Grenzgebiet zwischen den Niederlanden und Deutschland gibt es Erzeugerorganisationen, die in beiden Ländern produzieren und handeln. So kann ein holländischer Berater in den Gewächshäusern Mittel gegen ein Insekt empfehlen, das sein deutscher Berufskollege in deutschen Gewächshäusern nicht in Erwägung ziehen darf. Ein Bauer mit zwei Gewächshäusern in zwei Ländern: Zwei unterschiedliche Beratungen.
Pflanzenschutzmittel, für die es in Deutschland keine Zulassung gibt, werden technisch auf den Höchstwert von 0,01 mg/kg gesetzt. So sind die gleichen Mittel in den Ländern, in denen sie angewendet werden dürfen mit höheren risikobewerteten Grenzwerten belegt, als hier. Auf Grund des freien Warenverkehrs innerhalb der EU kommen dann Obst und Gemüse auf den deutschen Markt, und verfehlen jegliche Richtlinie.
Hausaufgaben für den „runden Tisch“
„Wir brauchen eine kurzfristige Abschaffung dieser Problematik“, forderte Karl Schmitz, weil er sich und seine Berufskollegen nicht kriminalisiert sehen möchte. Er kündigte in den nächsten Wochen einen „runden Tisch“ an, für den er gestern in Berlin bereits die Hausaufgaben verteilte.
Als erstes setzt er auf die „Selbstreinigung der Wirtschaft“. Kollegen, die verbotene Mittel einsetzen, müssten hart sanktioniert werden. Für den Handel forderte er mehr Vorerntekontrollen, damit eine Reaktionszeit besteht. „Zwei Drittel“ des Problems sei bereits gelöst, würden die ständig auffallenden Tomaten aus der Türkei oder Weintrauben aus Süd-Afrika nicht wegen ihres niedrigen Preises immer wieder von den Händlern nachgefragt. Der Handel solle rigoroser solche Produkte auslisten. Vom Präsidenten des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), Dr. Grugel, forderte er mehr Transparenz, welche Höchstmengen aus welchen Ländern erlaubt seien.
Problem der Verwaltung?
Die Disputanten hoffen auf Politik und Verwaltung, Ordnung in die Disparitäten zu bringen. Das setzt aber voraus, dass die Verwaltung, hier die EU, diesem Vertrauensvorschuss gerecht wird. Der IVA äußerte auf der Grünen Woche bereits Skepsis: Mit dem so genannten Zonenmodell verschwinden die Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten auch nicht. Auch Bündnis 90/Die Grünen zeigen Skepsis. Cornelia Behm, agrarpolitische Sprecherin der Partei hält die Erhöhung des Grenzwertes von 0,01 mg/kg auf erstmalige Werte grundsätzlich für in Ordnung, „sofern der festgelegte Wert toxikologisch korrekt begründet wurde.“ Schließlich können damit Indikationslücken geschlossen werden. Das sei aber nur bei 98 von 293 Grenzwerterhöhungen der Fall gewesen. Bei den andern 195 Werten lagen bereits spezifische Höchstwerte vor: „Ob sich bei dieser Harmonisierung immer die Kraft wissenschaftlicher Argumente durchsetzt, das ist doch sehr die Frage“, heißt es in ihrer Pressemeldung zur Greenpeace-Studie.
Dabei gibt es offensichtlich eine Lösung, die allen gerecht zu werden scheint. Bis zur Vollharmonisierung der EU braucht die Wirtschaft, so Karl Schmitz, „gegenseitige Anerkennungen“. So erkennt Luxemburg seit sieben Jahren ordnungsgemäß zugelassene Pflanzenschutzmittel aus Österreich an – und umgekehrt. Einseitige Verordnungen könnten auch von Deutschland aus eingerichtet werden und man spare sich den Aufwand und die Finanzen, ein Zulassungsverfahren immer wieder durchlaufen zu lassen.
Qualitätsmerkmal Schadstofffreiheit
Bei der Vorstellung des Lebensmittelmonitoring 2005 resümierte Dr. Grugel, dass Verbraucher in den letzten Jahren immer weniger Schadstoffe in ihrer Nahrung akzeptieren. Und der Handel reagiert. „Obst und Gemüse sind ein schwieriges Geschäft“, meinte gestern Günter Schweinsberg, Geschäftsführer des Fruchthandel Magazins. Es sei schwierig mit den Produkten zu handeln, sie zusammen zu bekommen und mit niedrigen Gewinnspannen auszukommen, da Discounter mittlerweile 50 Prozent Marktanteil halten.
Das allerdings bietet dem Verbraucher aber auch die Chance, seine Wünsche erfüllt zu bekommen: Nicht nur Discounter Lidl hat im vergangenen Jahr wegen der Posaunen von Greenpeace eine Offensive für weniger Schadstoffe gestartet. Am Monatsanfang zog Rewe nach, um sich vom Pranger zu befreien. Die neue freiwillige Regelung bindet den Kölner Konzern an den ARfD-Wert und liegt damit 70 Prozent unter dem gesetzlichen Höchstwert. Alain Caparros, Vorstandsvorsitzender der Rewe Group kündigte bei Nichtbeachtung „Sanktionen bis hin zur dauerhaften Auslistung“ an.
Die philosophische Annäherung
Im Grunde genommen ist es ganz einfach: Wer Rückstände überhaupt vermeiden will, der sollte bei den Bauern kaufen, die keine Pflanzenschutzmittel anwenden. Gefundene Rückstände in ökologisch angebauten Produkten sind von außen eingetragene Verunreinigungen, stellte Nicolai Fuchs vom Goetheanum in der Schweiz fest. Es kann nichts als Rückstand zurück bleiben, weil es nicht in den Prozess eingetragen werde.
Auflösung für Ratefüchse:
Rückstandshöchstmenge: Festgesetzte Höchstmenge für eine wirksame Kontrolle der Lebensmittelsicherheit. Immer unterhalb der Menge, die eine gesundheitsschädliche Wirkung für den Verbraucher hat.
Lebensmittel werden nicht nur einmalig verzehrt, sondern über einen längeren Zeitraum, ohne dass dadurch eine Gesundheitsgefährdung entsteht soll. Für diese Beurteilung gibt es weitere Werte:
ADI-Wert: (Acceptable Daily Intake) Grenzwert für die gesundheitliche Beurteilung der Langzeitaufnahme. Die Weltgesundheitsorganisation definiert den Wert als die Substanzmenge, die ein Verbraucher unter Berücksichtigung aller vorhandenen Kenntnisse täglich und ein Leben lang ohne erkennbares Risiko für die Gesundheit aufnehmen kann.
ARfD-Wert: (akute Referenzdosis) Der ADI-Wert ist bei Substanzen, die schon bei einmaliger Aufnahme gesundheitsschädigend sind wenig aussagekräftig. ARfD bezeichnet die Substanzmenge, die innerhalb eines Tages oder einer Mahlzeit aufgenommen werden kann, ohne das eine Gesundheitsgefährdung resultiert.
NOAEL: No Observed Adverse Effect Level: Laborwert für Biotests. Dosis bis zu der keine nachteiligen Effekte auftreten.
Weitere Informationen:
www.greenpeace.de
www.bfr.bund.de
www.bvl.bund.de
www.iva.de
VLE