Branchenkonferenz Gesundheitswirtschaft

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Megatrend Gesundheit bietet Verlockungen

>Die Werbung ist voller „Zaubertränke“ gegen das Altern, gegen Falten und gegen freie Radikale. Zwar wird Unsterblichkeit auch in absehbarer Zukunft weiterhin den Göttern vorbehalten sein, wie Dr. Harald Ringstorff, Ministerpräsident Mecklenburg-Vorpommerns (MV), gestern in Rostock feststellte, aber der Branche lockt eine riesige Wertschöpfung. 2004 betrugen die Ausgaben im Gesundheitswesen rund 240 Milliarden Euro und sichert gleichzeitig 4,2 Millionen Menschen einen Arbeitsplatz. Dr. Klaus Theo Schröder, Staatsekretär im Gesundheitsministerium sieht im Gesundheitssegment eine „Jobmaschine“. Deswegen solle die Branchenkonferenz mit über 600 Fachleuten auch kein Strohfeuer sein, forderte Bundesminister Wolfgang Tiefensee, der gestern als Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Länder teilnahm. Nicht nur in Ostdeutschland werde es keine Renaissance der einfachen Industriearbeitsplätze mehr geben, dafür aber einen Zuwachs an wissensbasierten Arbeitsstellen. Für den Gesundheitsbereich sollen die Firmen mit Eigenkapital ausgestattet werden und ein Kooperationsmanagement solle den Ergebnistransfer aus der Wissenschaft an die Industrie sicher stellen.

Modell MV
Den Megatrend Gesundheit nicht nur als Formel aufstellen, sondern als Realität umsetzen, will Staatsekretär Schröder. Die Herausforderung stellt sich durch den zunehmenden Anteil älterer Menschen und er prophezeit der Branche ein Wachstum zwischen 10 und 20 Prozent.
Ringstorff beziffert den Umsatz der Gesundheitswelt in seinem Bundesland auf 50 bis 70 Milliarden und das Wachstum mit 70 Prozent des personalintensiven Marktbereiches. 8.600 Angestellte gibt es in MV, weil die Branche an den Tourismus geknüpft ist. Auf 1,4 Millionen Einwohner verteilen sich 35 Krankenhäuser und 60 Reha-Kliniken. Prof. Dr. Dr. Horst Klinkmann, Vorsitzender des Kuratoriums Gesundheitswirtschaft MV, stellt das Bundesland mit 27.400 Patienten und 40 Prozent der Reha-Aufenthalte an die Spitze der Bundesländer. Berlin folgt mit einem großen Abstand: 11.300 Patienten und 16 Prozent aller Reha-Maßnahmen. In Greifswald wird zur Zeit das modernste Universitätsklinikum Deutschlands gebaut. Die Devise ist Zusammenarbeit und Kooperation, so Ringstorff. Die Branchenkonferenz solle für die Bundesregierung einen Masterplan erarbeiten, um das Ziel Gesundheit ökonomisch zu erreichen. Prof. Klinkmanns Empfehlungen: Gründung eines neuen Forschungsschwerpunktes, Klarheit bei der Terminologie Gesundheitswirtschaft und europaweite Einführung des Paradigmenwechsels im Gesundheitswesen.

Gesundheit tut Not
Mecklenburg-Vorpommern liegt im baltischen Raum an zentraler Stelle. Rund um die Ostsee gibt 11 Länder mit 85 Millionen Einwohnern, die insgesamt 69 Universitäten mit so genannten „Life Sciences“ aufweisen und mehr als 700 Biotechnologie Firmen angesiedelt haben. In MV vereinigt BioCon Valley die regionalen Wissensschwerpunkte. Die Ostseeregion ist in Scan Balt zusammen gefasst (www.scanbalt.org) und, wie mehrfach betont, selbst von den Amerikanern als ernstzunehmende Wettbewerbsregion anerkannt.
Der Vizepräsident des Verbundes, Prof. Borge Diderichsen, benennt deutlich, um was es geht: 1,9 Millionen Tote im Jahr gibt es durch Herz-Kreislauferkrankungen, weitere Menschen sterben an Übergewicht, Bluthochdruck und Krebs. Den ernährungsbedingten Krankheiten ist man nicht hilflos ausgeliefert. Weltweit sterben an Diabetes mit 4 Millionen Menschen bereits mehr, als an AIDS. Vor allem Indien und China stehen schon vor den Klassikerländern USA und Deutschland. Bei uns leiden 6,3 Millionen Menschen an Diabetes und bis 2025 steige die Zahl auf 7,2 Millionen. Alleine in den USA verursacht Diabetes Kosten in Höhe von 98 Milliarden US-Dollar. Dabei sind die Medikamente nicht der teuerste Faktor, sondern die Krankenhausaufenthalte. Diabetiker haben 8,3 Arbeitstage weniger im Jahr. Aber weil es gerade in weiten Teilen Krankheiten sind, die vermieden werden können, sollen Investitionen im Gesundheitsbereich, die Kosten der Folgeerkrankungen mehr als aufwiegen.
Mehr Obst und Gemüse essen, sei sicherlich die einfachste Regel. Prof. Klinkmann malte die Zukunft mit mehr roten Zahlen aus: 2020 werde die Gesundheit in Deutschland 500 Milliarden Euro kosten und zu 150 Milliarden wohl privat aufgebracht werden müssen. Ein Zehntel der „Wohlfühlindustrie“ gehöre dem Lebensmittelbereich und damit auch der Landwirtschaft. Die Lebenserwartung von 2002 ist bei Neugeborenen doppelt so hoch wie noch 1880 und während das Altern vielfach als Bedrohung angesehen werde, begreift Klinkmann diesen Markt als Chance für die Industrie. Lebensqualität sei das Stichwort.
Daher gehöre zur Gesundheitswirtschaft auch die Gesundheitsprävention. Bewegung und Ernährung, Wellness und die vor allem aus Asien stammende Komplementärmedizin müsse in den Vordergrund gerückt werden.

Roggenersatzprodukte
Erfreulicherweise stand die Branchenkonferenz nicht nur im Zeichen von Krankenhäusern und Ärzten, sondern befasste sich auch mit der Rohstoff liefernden und Lebensmittel verarbeitenden Szene. Während Autoabgase das Krebsrisiko um den Faktor 1,5 erhöht, steigern lifestyle-assoziierte Ernährungskrankheiten das Risiko für kardiovaskuläre Folgeerkrankungen um das 20- bis 30fache. Daher sind für Prof. Dr. Dr. Hans-Georg Joost, Direktor des Deutschen Institutes für Ernährungsforschung (DIfE) aus Potsdam-Rehbrücke, die Augenmerke auf Lebensmittel zu lenken. Er nannte drei Beispiele, die zur Zeit die Bandbreite der Lösungen kennzeichnen.
Es gibt Produkte im Handel, die gerade für Diabetiker mit aus Hafer isolierten leichtlöslichen Ballaststoffen anbieten. Natürlicher Roggen aus Brandenburg und MV leiste allerdings genau das gleiche.
Bei Störungen der Blutfettwerte sind pharmakologische Lösungen den diätetischen hingegen immer überlegen.
Empfohlen wird die Aufnahme ungesättigter n3-Fettsäuren, die überwiegend in Seefischen vorhanden sind. Das Verhältnis zur Aufnahme gesättigter Fettsäuern sollte kleiner als 1:5 sein, liegt aber tatsächlich bei mehr als 1:10. Würden alle Menschen ihren n3-Fettsäurebedarf über Seefische decken wollen, dann wären die Meere schon längst leergefischt. Daher bietet die Biotechnologie bei Pflanzen mit erhöhten n3-Fettsäure-Gehalten eine Lösung. Prof. Joost sieht in den europäischen Health Claims ein ausreichendes Regelungswerk, die Inhaltsstoffe und Anreicherung für Lebensmittel auf rechtliche Grundlage zu stellen.
Allerdings bietet auch die „Gute fachliche Praxis“ einfache Alternative, Rohstoffe qualitativ aufzuwerten. Der Weidegang erhöht bei Rindern auf natürliche Weise den n3-Fettsäureanteil im Fleisch um das Vierfache. Züchterisch lassen sich die Rassen auch auf traditionelle Weise wie bei Angus oder den Blauen Belgiern verbessern, betonte Prof. Dr. Manfred Schwerin vom Forschungsinstitut für die Biologie landwirtschaftlicher Nutztiere aus Dummerstorf. Allerdings seien die Investitionskosten sehr hoch und diese Möglichkeiten nur sinnvoll, wenn eine nachträgliche additive Aufarbeitung den Bedarf nicht decken kann. Das gelte neben den n3-Fettsären auch für Kalzium, Magnesium, Zinn, Eisen, Jod und Folsäure. Prof. Schwerin gibt zu bedenken, dass es in sieben Jahren kein Saatgut mehr gebe, dass nicht gentechnisch verändert sei. Daher müsse man sich grundlegende Gedanken machen, wie Qualität für Lebensmittel zu definieren sei, wenn es dann der Biobereich nicht mehr so kann, wie er es heute ausfüllt.

Zielkonflikte der Gesundheitsbranche
Die Konferenz verlegte sich auf den zweiten Wortteil der Gesundheitswirtschaft und hatte Schwierigkeiten, sich mit elementareren Problemen auseinander zu setzen. In Berlin bleiben mehr als 40 Prozent der Ganztagesschüler dem Essen fern. Einmal gibt es Eltern, die sich das Essensgeld nicht leisten können und zum anderen auch eine Elterngeneration, der eine ausgewogene Ernährung unwichtig erscheint. Mit dem neuesten Schrei der Gesundheitsvorsorge, der personalisierten Ernährung auf Genomanalyse eines Menschen, wird die Gesundheitswirtschaft dieses Problem nicht lösen können. Beratung und Aufklärung haben nach Prof. Joost keinen Platz in der Wertschöpfungskette. „Es ist auch nicht das Ziel der Branchenkonferenz, dieses Problem zu lösen“, sagte er. Allerdings saß mit Johannes Doms der Geschäftsführer der HIPP GmbH der Handel mit am Tisch. Er sieht in dem verschwinden gentechnikfreien Saatgutes eine Gefahr für seine an ökologische und nachhaltig Landwirtschaft ausgerichtete Produktpolitik. Er „ist in ernster Sorge“, dass grüne Gentechnik mit staatlicher Unterstützung vorangetrieben wird. Er fordert eine Strategie für eine gesunde Ernährung. Auf manche Produkte gehöre ein entsprechender Aufkleber, dass der Verzehr die Gesundheit schädige. Er hat sogar eine Antwort parat, wie die Qualität der Lebensmittel definiert werden könne und wie der Verbraucher nicht immer nur zum billigsten Produkt greife: Auf Zucker und Fette könne im präventiven Gesundheitsauftrag eine Abgabe erhoben werden, welche die Produkte damit auch teurer macht.
Wenn die Gesundheitswirtschaft allerdings nur die Wertschöpfung im Auge behält, dann blendet sie auch die Bauern aus. Offensichtlich liegt das größte Wertschöpfungspotenzial bei der Bergung des im Brunnen liegenden Kindes und nicht in der Abdeckung des Gemäuers. Die Bauern drohen zu billigen Rohstofflieferanten zu werden, deren Lebensmittel durch die verarbeitende Industrie erst noch aufgepeppt werden müssen. Das entwertet die Leistung der Bauern.

Roland Krieg

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