Brasiliens schwierige Zukunft

Handel

Der marode Riese Brasilien

Um 17:00 Uhr Ortszeit schließen in Brasilien die Wahllokale. Ab 22:00 Uhr deutscher Zeit laufen dann die ersten Hochrechnungen ein, wie rund 145 Millionen Wähler abgestimmt haben. Über den Präsidenten und die beiden Kammern Senat (für acht Jahre) und das Abgeordnetenhaus (für vier Jahre). Am 28. Oktober stimmen sie erneut in einer Stichwahl über die beiden Sieger für das Präsidentenamt ab.

Parlament und Präsident

Die Brasilianer litten 20 Jahre lang unter einer Militärdiktatur. Das Land kehrte erst 1985 zur Demokratie zurück, die sich im Vergleich zu anderen südamerikanischen Ländern als beachtlich stabil erwies. Das Land am Zuckerhut ist die größte Demokratie in Südamerika und ein wichtiger Akteur im Welthandel. Wahlberechtigt sind alle Personen ab dem 16. Lebensjahr. Wer zwischen 18 und 70 Jahre alt ist, muss wählen gehen. Sonst büßt er sein Wahlrecht ein. Brasilien ist ein föderales System aus 26 Einzelstaaten und dem Bundesdistrikt Brasilia. Unabhängig von der Einwohnerzahl stellt jeder Bundesstaat drei Senatoren. Dadurch wird der arme Norden des Landes gegenüber den reicheren Südstaaten bevorteilt. Im Gegensatz zu Europa dominiert nicht die einzelne Partei, sondern der Abgeordnete, der auch vor der Wahl noch das Parteibuch wechseln kann. „Links“ und „Rechts“ sind daher keine Begriffe für die politische Versammlung. Keine Partei ist seit 2010 in der Lage allein zu regieren und muss Kompromisse mit ideologischen Gegnern finden. Die auch in Deutschland bekannte Arbeiterpartei vom ehemaligen Präsidenten Lula hat nie mehr als 20 Prozent der Stimmen vereinigen können. Die Politik in Brasilien ist ein ständiger Verhandlungsprozess und beansprucht sehr viel Zeit.

Janela

Janela ist das portugiesische Wort für Fenster. Im März dieses Jahres durften die Abgeordneten innerhalb von 30 Tagen die Parteien wechseln, ohne ihr Mandat zu verlieren. 80 von 513 Abgeordneten nutzt die Gelegenheit. Die konservative MDB und die sozialdemokratische PSB verzeichneten die größten Verluste. Für Dr. Jan Woischnik und Franziska Hübner ist es in einer Analyse für die Konrad-Adenauer-Stiftung kein Wunder, dass nur 13 Prozent der Brasilianer mit der Demokratie zufrieden sind. Korruption, Amtsmissbrauch und persönliche Vorteilsnahme machen die Wähler empfänglich für populistische Reden und haben den „rassistischen Evangelikalen Jair Bolsonaro“ von der Partei der Sozialliberalen (PSL) auf Platz zwei hinter Lulas Arbeiterpartei katapultiert. Luiz Inácio Lula da Silva, seit April 2018 in Haft, darf nicht antreten. Daher hat neben Jair Bolsonaro sein Nachfolger Fernando Haddad gute Chancen in die Stichwahl am 28. Oktober zu kommen. Ausgang offen.

Wieso Bolsonaro?

Dieser Kandidat will aus der Uno austreten, hält Adolf Hitler für einen großen Strategen, will mit der hohen Kriminalitätsrate und der Korruption Schluss machen, will öffentliche Unternehmen privatisieren und Arbeitnehmerrechte zurückdrehen. Hintergrund ist die schlechte wirtschaftliche Stimmung in einem Land, das vor einigen Jahren noch alle Trümpfe in der Hand zu halten schien. Mit 13 Millionen Menschen liegt die Arbeitslosenquote bei zwölf Prozent. Die Krise kam nach den Olympischen Spielen. Die Sozialleistungen sind weggefallen und die Sicherheit löste sich vor allem in den Favelas auf, wie der „Weltspiegel“ vor kurzem berichtete. Menschen, die Obdachlos geworden sind, müssen sich selbst Arbeit suchen. Meist sind es Hilfsarbeiten, die übrig bleiben. Für das Sammeln von einem Kilo Aluminiumdosen von der Copacobana bekommt der Sammler 60 Euro-Cent.

Das Land stellt den ersten Buchstaben in der Abkürzung BRICS und galt neben Russland, Indien, China und Südafrika als Schwellenland auf dem eigenständigen Weg in die Industrialisierung. Die Länder stellen 20 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung, gründeten ihre eigene Entwicklungsbank und traten als Gegengewicht der G20-Länder auf. Die Süd-Süd-Kooperation gewann an Konturen. Brasilien wandte sich dem Nachbarkontinent Afrika zu. Doch in nur wenigen Jahren wurde alles durch den „Lava-Jato-Korruptionsskandal“ kaputt gemacht. Java-Lato bedeutet „Autowäsche“ und bezeichnet den milliardenschweren Korruptionsskandal zwischen Petrobas und Bauunternehmen. Der geständige Geldwäscher bewirtschaftete offiziell eine Tankstelle mit Autowäsche. Die damit verbundene Polit- und Wirtschaftskrise hat den Abschwung eingeleitet, der in diesem Oktober ein neues Kapitel aufschlägt.

Verschwendete Ressourcen

Die politische Krise, Deindustrialisierung, Staatsverschuldung, niedrige Investitionsquote und steigende Armut, gepaart mit steigender Gewalt und Kriminalität führen die Wirtschaftsexperten von Germany Trade & Invest (gtai) als Risiken für die brasilianische Wirtschaft an. Dabei ist es gemessen an der Einwohnerzahl und Fläche das fünftgrößte der Welt und besitzt einen riesigen, ungesättigten Binnenmarkt. 2017 landete es im Ranking des Internationalen Währungsfonds mit seinem Bruttosozialprodukt noch immer auf Platz acht. Das Land musste aber über elf Quartale lang einen Rückgang um 8,6 Prozent der Wirtschaftsleistung hinnehmen. Erst seit 2017 setzt wieder eine langsame Erholung ein. Mit 9.895 US-Dollar fällt das Jahreseinkommen aber hinter Chile und Argentinien zurück.

Im Gegensatz zu anderen Ländern in Südamerika hat Brasilien noch kein eigenes Freihandelsabkommen abgeschlossen und setzt auf den südamerikanischen Wirtschaftsbund Mercosur. Die „Inwertsetzung der Regionen“ bedroht nach Ansicht europagrüner Kritiker den Regenwald. Zudem sind sie skeptisch gegenüber der Verwendung gentechnisch veränderter Anbaukulturen im Land. Europas Angebot, die Rindfleischexportquoten nach Europa zu erhöhen bringen auch konventionelle Bauernverbände auf. Bioethanol aus Zuckerrohr kann dient auch als Bedrohung für den europäischen Rapsanbau.

Aus Sicht Brasiliens hingegen spielt der Agrarbereich eine wichtige Rolle für die wirtschaftliche Erholung, wenn auch der Fleischskandal im letzten den Vorzeigesektor in schwere Schieflage gebracht hat. In den 1950er und 1960er Jahren war das Land noch Nettoimporteur für Nahrungsmittel. Und die engagierte Politik Lulas hat mit dem Programm „Zero Hunger“ die Brasilianer aus der Armut geführt.

Der große Binenmarkt, Rohstoffreichtum und gute Politik in der Vergangenheit gelten als Stärken des Landes. Der richtige Präsident hat es in der Hand, dass sich Wirtschaftspolitik wiederholt oder ob der Abschwung weiter in die Isolation führt. Denn Brasilien will in die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aufgenommen werden. Im Mai 2017 wurde der Antrag auf Vollmitgliedschaft gestellt. Dafür hat Brasilien schon mit dem Abbau der Bürokratie im Außenhandel begonnen.

Agrar

Selbst in der Wirtschaftskrise zeigte der Agrarsektor Wachstumsraten von bis zu 13 Prozent. Im laufenden Erntejahr könnte das Land die USA als größten Sojaproduzenten ablösen. Brasilien kann den Handelsstreit der USA mit China für eine Exportstrategie in das Reich der Mitte nutzen und investiert in Überseehäfen im Norden. Bei Zucker-, Rind- und Hühnerfleisch sowie Orangensaft ist Brasilien bereits weltweit der größte Exporteur.

Doch Schatten begleiten das Licht. So hat der Streik der Lkw-Fahrer wegen hoher Dieselpreise und Fahrermangel der gesamten Wirtschaft großen Schaden zugefügt. Benzin, Lebensmittel und Futter wurden nicht transportiert. Ob das Zugeständnis für Mindestfrachttarife vor der Verfassung Bestand hat, ist noch offen. Die Infrastruktur ist generell in schlechtem Zustand und lange Transportzeiten verzögern Rohstofflieferungen vom Landesinneren an die Überseehäfen. Durch die Mindestarife lohnen sich Transporte mit geringerer Wertschöpfung gar nicht mehr. Der mehr als eine Woche andauernde Streik habe den Soja- und Maisbauern rund 115 Millionen Euro Schaden pro Tag zugefügt.

Der Streik hat die Zuversicht in die eigene Wirtschaft geschmälert und die wirtschaftliche Erholung verlangsamt.

Brasilien steht vor schweren und überwunden geglaubten Problemen. Mit Bolsonaro wird auch die Außenpolitik schwieriger.

Lesestoff:

Brasiliens politisches Spiel; Bundeszentrale für politische Bildung, 2014 (www.bpb.de)

Brasilien: Ein halbes Jahr vor der Wahl; April 2018 www.kas.de

Das Parlament: Der Trump von Brasilia; 40-41/2018

BRICS: Mythos oder Macht? https://herd-und-hof.de/handel-/brics-mythos-oder-macht.html

Fleischskandal trifft Brasilien schwer: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/fleischskandal-trifft-brasilien-schwer.html

Chance Mercosur: https://herd-und-hof.de/handel-/jefta-mercosur-und-nafta.html

Brasilien im Kreuzverhör: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/brasilien-im-eu-kreuzverhoer.html

Roland Krieg

Zurück