Brexit und die Agrar- und Ernährungsindustrie

Handel

Ernährungsindustrie hofft auf praktikable Lösungen

Um Mitternacht gehört Großbritannien nicht mehr der EU an. Dem Binnenmarkt und der Zollunion noch bis Jahresende. Optimist Boris Johnson will bis dahin ein Handelsabkommen mit der EU abgeschlossen haben. Realistisch ist das nicht. Daher sind die Folgen des Brexits für die Ernährungsindustrie noch immer offen. „Die Unternehmen müssen sich auf alle Szenarien einstellen“ teilt die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) mit. „Wir hoffen auf praktikable Lösungen bis Ende des Jahres", erklärt BVE-Geschäftsführerin Stefanie Sabet.

Forderungen

Die BVE fordert, um die Lebensmittelversorgungsketten auf beiden Seiten aufrechtzuerhalten, eine Zollunion mit gemeinsamen Außenzöllen, einen gegenseitigen Marktzugang für Lebensmittel und landwirtschaftliche Er-zeugnisse sowie eine transparente und einfache Zollabwicklung. Darüber hinaus bedarf es starker und wirksamer Ursprungsregeln, die den Import von EU-sensiblen Produkten auf Umwegen über Großbritannien ausschließen. Auch das hohe Niveau der EU-Standards in Bezug auf Lebensmittelsicherheit, Umwelt, Tierschutz und Gesundheitsschutz muss gewährleistet bleiben. So darf etwa die Zusammenarbeit zwischen der EFSA und dem Vereinigten Königreich im Bereich der Ernährungssicherheit nicht beendet werden. Nichttarifäre Handelshemmnisse müssen verhindert und vermieden werden. Dafür ist es notwendig, einen institutionellen Rahmen zur Gewährleistung der Rechtsangleichung zu schaffen.

Ohne ein Handelsabkommen sei mit einer Zollast von 382,5 Millionen Euro im Jahr zu rechnen. Das sind mehr als eine Million Euro pro Tag. Die größte Belastung entfiele auf die Branchen Fleisch und Milch.

Zollliste

London hat bereits im März des vergangenen Jahres bei der Welthandelsorganisation WTO eine Liste mit Importzöllen und Importquoten hinterlegt und als Quote nach dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung gelten. Die Liste gilt für alle Mitgliedsländer der WTO. Zwar sind 87 Prozent der Importe ins britische Königreich frei von protektionistischen Maßnahmen, aber für Bioethanol und Agrarprodukte bleiben Handelsbeschränkungen im Wesentlichen bestehen.

Die Briten sind ein wichtiger Agrarhandelspartner Deutschlands. 2017 exportierte Deutschland landwirtschaftliche Erzeugnisse im Wert von 4,8 Milliarden Euro in das Vereinigte Königreich, während die Importe 1,6 Milliarden Euro betrugen. Das machte für Deutschland einen Überschuss in Höhe von ca. 3,2 Milliarden Euro – so hoch wie mit keinem anderen Land. „Nach unseren Berechnungen verringert sich der Agrarüberschuss Deutschlands durch den Brexit um circa eine Milliarde Euro“, sagt Dr. Martin Banse, Leiter des Braunschweiger Thünen-Instituts für Marktanalyse am Freitag. Ds ist allerdings eine Milliarde weniger als noch vor einem Jahr geschätzt.

Wo es teurer wird

Für Getreide, Obst und Gemüse, Getränke und Tabak würde das Vereinigte Königreich dann zollfreie Einfuhren zulassen. Für Reis, Fleisch und Wurstwaren fallen Zölle an, die aber geringer sind als in früher zugrunde gelegten Szenarien.

Aktuell ist zu erwarten, dass die deutsche Agrarproduktion als Folge des Brexit um insgesamt 190 Millionen Euro zurückgehen wird. Die deutsche Produktion wird in kaum einer Warengruppe mehr als 0,5 % zurückgehen. Ausnahmen bilden die Schweine- und Geflügelzucht sowie Schweine- und Geflügelfleisch, wo mit einem Rückgang um rund 1,2 % gerechnet wird. Bei Weizen, Zucker, Rindfleisch und Milch werden sogar leichte Produktionsanstiege von 0,1 – 0,8 % erwartet.

Fischerei

Am schwierigsten scheint die Fischerei zu sein. Großbritannien gehört ein wichtiger Teil der Fischereigebiete. In der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) liegen reiche Fanggründe. Allerdings können die Briten nicht so viel Fisch essen, wie die britischen Fischer anlanden können. Außer der EU gibt es keinen praktikablen Absatzmarkt, so dass Marktzugang mit Fischereirechten ausbalanciert werden könnten.

Dennoch werden die Briten höhere Fangquoten einfordern. Seit 1982 gilt das Gebot der relativen Stabilität: Jedes Land erhält einen gewissen Prozentanteil an der Gesamtfangquote eines Fischbestandes, zum Beispiel für Hering in der Nordsee. Dieser ist in jedem Jahr gleich, und Veränderungen bei den Fangmengen ergeben sich nur durch Quotenanpassungen. Das wird London nicht mehr beibehalten wollen. Die Briten plädieren für eine Zuordnung nach Zonen, bei der die Quoten entsprechend der tatsächlichen Aufenthaltsgebiete der Fischbestände vergeben werden. Wie die Fischereiökonomen des Thünen-Instituts errechnet haben, würde eine solche Aufteilung die Fangoptionen für die deutsche Fischerei massiv einschränken. Die deutschen Fischer fischen zurzeit nahezu 100 Prozent ihrer Quote für Nordseehering in der britischen Wirtschaftszone.

Für ein Abkommen bleiben termingerecht nur noch elf Monate Zeit, was in den letzten drei Jahren nicht zustande gekommen ist.

Roland Krieg

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