Bürger-Stromnetz: Schnapsidee oder Meilenstein?
Handel
Berliner Bürger wollen ihr Stromnetz kaufen
Die Energiewende hat die Genossenschaft aus der Mottenkiste befreit. Seit 2005 haben sich mehr als 500 Genossenschaften gegründet. Allein im Jahr 2011 waren es 160 [1]. Doch was im Jahr 2015 passieren soll, prescht in neue Dimensionen vor: Die Bürgergenossenschaft BürgerEnergie Berlin will das Stromnetz der Metropole Berlin übernehmen. Gelegenheit bietet das Auslaufen der Konzession. Der Berliner Senat bereitet das Verfahren vor, bei dem neben dem aktuellen Netzbetreiber Vattenfall, weitere Mitbietern wie Alliander, die Stadtwerke Schwäbisch-Hall, die Thüga und eben auch die Berliner Bürger antreten.
Veteilnetz zur Gestaltung der Energiewende
Auf dem 2.
Berliner Netzgipfel legte Vorstand Hartmut Gaßner die Beweggründe offen. Die
Übernahme des Berliner Stromnetzes ist ein Beitrag zur Energiewende. Zwar habe
auch Umweltminister Peter Altmaier angekündigt, Energiegenosse zu werden, doch
zweifelt Gaßner an der Motivation. Altmaier tritt für Gaßner eher auf das
Bremspedal der Energiewende. Überhaupt stehen die Zeichen für diese schlecht:
Der Zusammenbruch des Handels mit Emissionszertifikaten, die Strompreisbremse
wirke mehr als Bremse für erneuerbare Energien und gleichzeitig hat sich
Deutschland zu einem Exportland für Strom aufgeschwungen. Daher sei, so Gaßner
die Übernahmen ein wichtiger Hebel für die Fortführung der Energiewende.
Allerdings will
die BürgerEnergie Berlin das Netz nicht alleine übernehmen. Gaßner stellt sich
eine Kooperation vor. Entweder mit dem Land Berlin oder mit einem der anderen
Mitbieter. Fraglich ist noch, ob ein Bieterkonsortium antreten darf.
Ein Grund für
einen Mitstreiter dürften die Kosten sein. Wie viel für das Berliner Stromnetz am
Ende bezahlt werden muss, steht noch nicht fest. Während Vattenfall von 2,5
Milliarden Euro ausgeht, rechnet Gaßner mit einer Milliarde Euro. „Das ist ein
guter Preis!“ Dann beginnt das kleinrechnen: Dafür bräuchte der Verein
lediglich 400 Millionen Euro Eigenkapital. Wenn das Land Berlin 51 Prozent des
Netzes hält, halbiere sich der Betrag schon. Da Berlin erneuerbare Energien aus
Brandenburg beziehen müsste, verteilte sich der Aufwand noch einmal märkische
Mitgenossen. Immerhin: Fünf Millionen hat die Genossenschaft zusammen. „Das ist
schon mal ein Anfang“, erläuterte Luise Neumann-Cosel aus dem Aufsichtsrat
gegenüber Herd-und-Hof.de
Die Besonderheiten von Berlin
In einem
Workshop wurden zwei Besonderheiten für Berlin herausgearbeitet: Zum einen ist
Berlin eher ein Energieverbraucher und kann fast ausschließlich durch
Photovoltaikanlagen auf den Dächern Energien selber produzieren, zum anderen
ist Berlin zu 85 Prozent eine Mieterstadt. Kleinwindanlagen oder
Photovoltaikanlagen auf den Dächern müssen mit den Eigentümern ausgehandelt
werden.
So setzt Prof. Dr.
Jochen Twele von der Hochschule für Technik und Wirtschaft den Fokus des
Berliner Beitrags zur Energiewende mehr auf die Energieeinsparung. Gebäudesanierung
und Wärmedämmung sind für den Berliner Senat die großen Herausforderungen.
Brandenburg könne nur zehn Prozent des Berliner Energiebedarfes liefern. Und
derzeit gibt es zwischen beiden Bundesländern noch nicht einmal eine gemeinsame
Energiekooperation. Ohne begleitende Politik nützt den Berliner das Netz nichts
.Es verteilt nur, was an Energie angeboten wird, bremst Dr. Hans-Joachim
Ziesing vom Berliner Klimaschutzrat die Euphorie. Es fehle vor allem der Druck
der Politik auf die Eigentümer der Berliner Mietshäuser. Beispielsweise ist ein
großer Teil der Kessel schon älter als 20 Jahre und müsste dringend ersetzt
werden. Das könnte der Senat mit ordnungsrechtlichen Maßnahmen umsetzen.
Stefan Schurig
vom World Future Council hält auch neue Denk- und Wirtschaftsformen für
realistisch. Neue Firmen könnten bei einem Contracting mit den Hauseigentümern
Dachflächen für Photovoltaikanlagen mieten und realisieren. Es ließen sich
dabei auch Lösungen für Haftung und Statik finden, wie Beispiele aus den
Niederlanden zeigten.
Das wäre ein
Ausnutzen von Spielräumen im Sinne der freien Marktwirtschaft – als Kontrapunkt
einer Marktwirtschaft der Großen.
Eine Übernahme
des Berliner Stromnetzes durch seine Bürger würde ein deutliches Signal senden:
Einmal an den Berliner Senat, der sich bislang nur marginal um erneuerbare
Energien kümmere und nicht weiter als bis 2020 einen Plan aufgestellt hat und zum
anderen an den aktuellen Versorger. Dem misstrauen die Akteure. Vattenfall habe
kein Interesse, mehr erneuerbare Energie in das Netz zu bringen, weil der
schwedische Konzern im Süden Brandenburgs seinen Braunkohleabbau noch einmal
intensiviere.
Das Bürger-Netz
bringe Schwung in den Verteilkampf! Die erneuerbaren Energien haben nach
Schurig mit 22 Prozent Anteil an der Primärenergieversorgung ein Ausmaß
erreicht, wo es um den Abbau fossiler Energieträger und um den Umbau deren
Infrastruktur gehe.
Prof. Twele hält
ein Bürger-Netz für realisierbar und gesteht ihm eine „Führungsgröße in der
Energiewende“ zu. Denn, so Twele, im Verteilnetz muss sich der Speicherbedarf
realisieren lassen, um Energie für die Zeiten bereit zu halten, wenn die Sonne
nicht scheint und der Wind nicht weht. In einem Quartiersmanagement könnten
Speicher gleich für mehrere Häuser aufgebaut werden.
Schönau und Berlin
Die Hauptstädter
stehen mit dem Wunsch nach einem Bürgernetz nicht alleine da. Auch in Hamburg
und Stuttgart gibt es ähnliche Überlegungen. Doch nur wenige Gemeinden haben es
tatsächlich erst realisiert. Schönau zum Beispiel. Dort haben nach neun Jahren
und zwei Bürgerentscheidungen die Einwohner das Netz von einem
Atomkraftwerksbetreiber frei gekauft. Es wächst. Seit 2011 sind elf weitere
Stromnetze zu den Elektrizitätswerken Schönau (ESW) hinzugekommen. Aber:
Schönau im Schwarzwald liegt in der Mitte zwischen Freiburg und der Schweizer
Grenze. Auf dem Foto arbeitet Monteur Ziegler in der EWS-Werkstatt. Das
Kernnetz versorgt nur 2.500 Schönauer Einwohner.
Berlin wartet mit ganz anderen Zahlen auf:
Das Schönauer
Netz ist für die Energiebürger das Referenzmodell. Der Größenunterschied ist
Neumann-Cosel bekannt, macht ihr aber keine Angst. Die Genossen wollen das
Projekt zusammen mit dem Land Berlin stemmen. Verwaltung und Technik sollen von
Vattenfall übernommen werden.
Ein Streitpunkt
ist der Kaufpreis. BürgerEnergie Berlin wirft Vattenfall vor, mit zu hohen
Zahlen zu rechnen. Die von Vattenfall genannten 2,5 Milliarden würden zwar den „Sachzeitwert“
des Netzes widergeben, aber nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes im so
genannten „Kaufering-Urteil“ dürfe nur der Ertragswert gelten [2].
Welche
Motivation einen Genossen für die Beteiligung am Stromnetz antreibt, überlässt
Neumann-Cosel jedem Einzelnen. Das kann, so erläuterte sie gegenüber
Herd-und-Hof.de, eine wirtschaftliche Rendite oder auch eine politisch
motivierte sein. Die Übernahme setze auf jeden Fall ein deutliches Signal für
mehr Dezentralität gegen den Bundestrend und ist erst mal ein erster Schritt.
Vor allem sollen die Gewinne in das Netz und die regionale Energieerzeugung
fließen und damit der Region zugute kommen.
Was sagt Vattenfall dazu?
Vor dem Netzgipfel hatte Herd-und-Hof.de bei Vattenfall. Sprecher Hannes-Stefan Hönemann nachgefragt, wie der aktuelle Netzbetreiber seinen Mitbewerber einschätzt:
HuH: Für die realistisch halten Sie die Idee, ein ganzes Stromnetz kaufen zu wollen?
Hannes-Stefan Hönemann: Kleinere Verteilnetze als ausgerechnet das größte Verteilnetz Deutschland über ein Genossenschaftsmodell erwerben zu wollen bzw. sich daran zu beteiligen, kann durchaus erfolgreich sein und hat auch schon stattgefunden. Die schiere Größe des Berliner Stromnetzes mit drei Spannungsebenen, über 80 Umspannwerken, 35.000 Kilometern Stromnetz und einem Umsatz von über 700 Mio. Euro im Jahr lassen es nicht als geeignet erscheinen, genossenschaftlich erworben und umstrukturiert zu werden. Mir ist auch kein aktuelles Projekt in dieser Größe bekannt, das eine genossenschaftliche Eigentumsstruktur bekommen hat.
HuH: Welche Risiken gibt es aus Ihrer Sicht?
Hannes-Stefan
Hönemann: Bürgerenergie Berlin hat öfter davon gesprochen, einen technischen
Partner zu haben. Allerdings wurde dieser Partner noch nie benannt. Erst am
vergangenen Donnerstag in einem Interview in der TAZ wurde diese Frage von Frau
Neumann-Cosel nur ausweichend beantwortet. Dass die Genossenschaft den
technischen Betrieb, der ja völlig unabhängig von der Eigentumsstruktur ist,
gewährleisten kann, hat sie noch nicht ansatzweise belegen können. Darin liegt
aus unserer Sicht das größte Risiko.
Ein fast ebenso
großes Risiko liegt im Kaufpreis. Die auf der Homepage der Bürgerenergie
genannten 400 Mio. Euro werden von Frau Neumann-Cosel längst nicht mehr
öffentlich genannt. Sie selbst nennt mittlerweile deutlich höhere Beträge. Ob
die Genossenschaft aber das Ziel hat auf der Basis von 400 Mio. oder von 800
Mio. den vierzigprozentigen Eigenanteil über die Ausgabe von
Genossenschaftsanteilen zu sammeln, ist schon ein erheblicher Unterschied. Vor
dem Hintergrund, dass der Sachzeitwert des Berliner Stromnetzes oberhalb von
2,5 Mrd. Euro liegt besteht also das Risiko, das finanzielle Ziel gar nicht zu
kennen. Dazu kommt, dass das Vergabeverfahren in weniger als 20 Monaten
abgeschlossen sein soll und Bürgerenergie Berlin nach eigenen Angaben bisher
fünf Millionen Euro gesammelt hat.
HuH: Der Kaufwunsch ist vielleicht eher ein Ausdruck nach mehr Demokratisierung im Bereich der Energieversorgung. Die Energiewende trägt diesen dezentralen Ansatz ja auch in sich. Wie könnten Sie als Betreiber des Berliner Stromnetzes diesem Wunsch entgegen kommen?
Hannes-Stefan Hönemann: Die deutschen Stromverteilnetze sind eine hochregulierte Infrastruktur. Die strikte Kontrolle über die Bundesnetzagentur sowie die regelmäßigen Ausschreibungen der Konzessionen sind Ausdruck einer - wenn auch indirekten - demokratischen Legitimierung. Dass in Zusammenhang mit einer komplexen technischen Infrastruktur wie den Stromnetzen eine Ausweitung von direktdemokratischen Entscheidungselementen zu besseren Ergebnissen führt, ist nirgendwo belegt.
Vielen Dank Herr Hönemann. Die Fragen stellte Roland Krieg
Lesestoff:
[1] DieDeutschen werden zu Genossen
[2] Der BGH fällte 1999 ein Grundsatzurteil für die Kommunen. Die Gemeinde Kaufering hatte gegen eine Tochter des RWE-Konzern geklagt. Sie wollte das Stromnetz wieder rekomunalisieren, hätte aber dafür den Preis in Höhe eines neu gebaten Netzes bezahlen sollen. Das Gerihct hatte grundsätzlich entschieden, dass Kaufering nur den Ertragswertansatz bezaheln muss, damit der wirtschaftliche Betrieb des Netzes nach dem Kauf nicht behindert ist. BGH KZR 12/97
Roland Krieg; Foto: EWS: Werkstatt der EWS in Schönau