Chefsache Export

Handel

Weg vom gesättigten Markt

„Der Platz ist voll!“ Rewes Antwort auf die Frage, wie viel Produkte denn noch den Weg in die Regale finden, umschreibt verständlich den ökonomischen Begriff des gesättigten Marktes. Auch wenn Bio und regionale Produkte im Verbrauchertrend liegen, jeden vierten Euro, auch in der Krise, gewinnt die deutsche Agrar- und Ernährungsindustrie im Ausland. Dort wo die Märkte noch wachsen. Dort wo die Kunden erst noch in die Phase des kaufkräftigen Konsumenten hineinwachsen.
Nach Angaben der Weltbank steigt die Anzahl der Menschen mit mehr als 10.000 US-Dollar Jahreseinkommen zwischen 2006 und 2015 alleine in Indien von 18 auf 72, in China von 76 auf 700 Millionen. Zwei Millionen neue Mittelschicht-Konsumenten im Monat sind zwei Millionen potenzielle Erstkonsumenten für tierische Produkte, frohlockte Don Heatley, Vorstand der Meat & Livestock Australia. Auch die Märkte in Osteuropa bergen noch viel Nachholbedarf.
Der Export von Nahrungsmitteln ist 2008 um 14,4 Prozent auf 42,4 Milliarden Euro angestiegen. Der Export in die neuen EU-Länder stieg um knappe 30 Prozent.

Chefsache Export
So liegt der Außenwirtschaftstag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) am heutigen Donnerstag voll im Trend und Export wird zur „Chefsache“, forderte Agrarministerin Ilse Aigner in der Lebensmittel Zeitung ein. Der Außenwirtschaftstag wird zusammen mit der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie gestaltet. Mit dabei ist auch die German Trade and Invest (GTI), die Anfang Juni auf der IFT Food Expo im kalifornischen Anaheim umgekehrt bei Investoren auch Werbung für den Standort Deutschland machte. Wer sein Geld in Deutschlands Agrar- und Ernährungswirtschaft anlegt, der kann auf erfolgreiche Exportstrukturen zurückgreifen. Auf dem Außenhandelstag werden in mehreren Foren die Exportmärkte von Russland bis Bulgarien, von China bis nach Spanien analysiert.

Freude bei Exporteuren
Zum Außenwirtschaftstag hat das Bundeslandwirtschaftsministerium diesen Dienstag die ersten Quartalszahlen bei Agrarexporten veröffentlicht. Trend: Positiv. Die Ausfuhr von Produkten der Agrar- und Ernährungswirtschaft blieb fast unverändert auf Vorjahresniveau, wohingegen der deutsche Gesamtexport um 21 Prozent einbrach. Von Januar bis März exportierte Deutschland Güter im Wert von rund 11,5 Milliarden Euro. Dr. Gerd Müller, Staatssekretär und Exportbeauftragter des BMELV sagte, Spitzenreiter waren Fleisch und Fleischwaren mit 1,8 Mrd. und einem Zuwachs von über 13 Prozent. Backwaren und Getreideexporte nehmen mit einer Milliarde den zweiten Platz ein – plus zwei Prozent. Die erfolgreichste Produktgruppe ist Schwein. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum konnte der Gesamtexportwert um 43,3 Prozent auf 42 Millionen gesteigert werden. Nachholbedarf sieht Müller in der Milchwirtschaft und forderte die Milchindustrie auf, „an einer konkurrenzfähigen Exportstrategie zu arbeiten“.

Chancen und Risiken
1960 wurden im Agrarhandel nach Deutschland Waren im Wert von 5,7 Milliarden Euro eingeführt, im Wert von 0,6 Milliarden exportiert. Nach vorläufigen Angaben für 2008 wurden für 58,6 Mrd. Euro Agrarprodukte ein- und für 49,6 Mrd. ausgeführt. Das Agrarhandelsdefizit erreichte in den späten 1990er Jahren mit über 15 Milliarden Euro das größte Ausmaß, und hat sich auf unter zehn Milliarden Euro verringert.´
Die Märkte aber sind sehr heterogen. Im Agrarhandel ist Polen der wichtigste Partner Deutschlands geworden und die Ein- und Ausfuhren balancieren sich bis auf einen zweistelligen Millionenbetrag. Die direkte Nachbarschaft verschafft nach Einschätzung des BMELV Exporteuren einen Wettbewerbsvorteil. Zudem sind viele Produkte den Polen vertraut und das 40 Millionen Volk gilt als „konsumfreudig“.
Auf der anderen Seite wird der große Markt im Reich der Mitte oft überschätzt. Das Potenzial ist riesig, doch die Realität winzig. Im gesamten Agrarbereich inklusive Sperrholz und Faserplatten ist das Außenhandelsdefizit groß. Zwischen Januar und November 2008 hat nach Angaben des Statistischen Bundesamtes der Einfuhrwert nur ein Drittel des Exportierten betragen. Bei Nahrungsmittelausfuhren können die Deutschen gerade einmal zehn Prozent des Einfuhrwertes in die Waagschale werfen.
Aber auch vertraute Märkten sind risikobehaftet, wie die Tagung der Agrar- und Ernährungsindustrie in der vergangenen Woche aufzeigte. Russland Zollschranken reagieren sensibel auf den Begriff „Schweinegrippe“, will zwar in die geregelte WTO eintreten, was jedoch in der Branche bezweifelt wird, und Russland will durch Steigerung der Eigenproduktion den Schweineimport bis 2012 ganz abschaffen. Solche Nachrichten treiben manchem Exporteur die Schweißperlen auf die Stirn.

Export und Struktur
Nichts desto trotz baut sich eine parallele Agrarwelt auf. Die regionalen Wertschöpfungsketten versorgen die Verbraucher mit heimischen Waren, die großen Industrien orientieren sich am internationalen Wettbewerb. Nur die großen Schlachthöfe sind in der Lage, die Auslandsmärkte gezielt zu bedienen.
Hier holt Ostdeutschland auf. Engelbert Lütke Daldrup, Staatssekretär aus dem Verkehrministerium weiß auch warum: Die Verkehrsinfrastruktur ist gelegentlich schon besser ausgebaut als im Westen, die Lücken im Breitbandanschluss werden kleiner, die Arbeitskräfte sind preiswerter und die verarbeitende Industrie kann auf große und günstige Zulieferer zurückgreifen. In den 1.200 Betrieben der ostdeutschen Ernährungswirtschaft arbeiten mehr als 100.000 Menschen.

Lesestoff:
Rewe auf der Grünen Woche
Agrarexport aus dem Osten
Agrarhandel China
Tagung Agrarwirtschaft

Roland Krieg

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