COP26. Schneller, besser, weniger
Handel
In Glasgow nicht nur das Negative sehen
Entscheiden die beiden nächsten Wochen über „Alles oder Nichts“? Staatssekretär im Bundesumweltministerium (BMU) Jochen Flasbarth will den Weltklimagipfel COP26 in Glasgow nicht klein reden, aber die beiden nächsten Wochen entscheiden nicht über „Alles“. Es gehe beim Klimaschutz um „schneller, besser, weniger.“ Die Länder müssen sich schneller einigen, sie müssen in ihren Anstrengungen im Kampf gegen den Klimawandel qualitativ besser werden, wie beispielsweise bei anderen Treibhausgasen als Kohlendioxid, und am Ende müssen weniger Emissionen in die Atmosphäre gelangen. „Dann wird es ein ganz entscheidendes Jahrzehnt und es geht nicht nur um die beiden nächsten Wochen.“
Flasbarth nahm aber alles andere als die Luft aus der Klimakonferenz. Zusammen mit der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Maria Flachsbarth, gab er am Dienstagmorgen eine Einschätzung zum Auftakt der Konferenz. Beide betonten die Präsenz der Konferenz, weil es wichtig ist, miteinander zu reden, sich persönlich zu treffen, um zu verhandeln und zu einem Ergebnis zu kommen.
„Gemeinsame Klimaanstrengungen ohne Beschiß“
Die Klimaphysiker haben vor Glasgow ihre mathematischen Geschütze in Stellung gebracht [1]. Die diplomatische Ebene ist eine andere. Das G20-Treffen in Rom hat direkt vor Beginn der COP26, wenn auch mit Weichmacherdialektik, ein wichtiges Grundgerüst aufgestellt. Jetzt haben sich doch alle Industriestaaten, die für 80 Prozent der Emissionen verantwortlich sind, auf die Klimaneutralität bis oder um die Jahrhundertmitte geeinigt. Indien, das sich zuvor noch in der Entwicklungsländerrolle der G77 positioniert hatte, liegt mit dem Zieldatum 2070 ein bisschen drüber, aber für Flasbarth ist es wichtiger, dass Klimaneutralität und Vorbeugung in den Köpfen der Regierung verankert sind. Über ein Vorziehen könne immer noch geredet werden. Enttäuschend sei nur China, dass zwar mit seinem Vorgehen der Klimaneutralität bis 2060 die Rolle „des Eisbrechers an der Seite der Schwellenländer einnahm, jetzt von vielen überholt wurde“, so Flasbarth. Auch da sei das letzte Wort über ein früheres Datum noch nicht gesprochen.
Russland hat sein Ziel der Klimaneutralität um zehn Jahre auf 2050 vorgezogen. Mit Blick auf die zahlreichen Industriestandorte und der überwiegend fossilen Energieversorgung der Bevölkerung sei das sehr ambitioniert. Der Ausstieg aus der Kohlefinanzierung war zuvor lediglich offizielles Statement der G7-Länder und wurde in Rom jetzt von den G20-Ländern festgehalten.
Das alles hat die nationalen Reduzierungsziele noch nicht wirklich verbessert, aber für die Verhandler in Glasgow eine gute Grundlage geschaffen. Glasgow sollte in zwei Wochen das Regelwerk für die Pariser Klimaziele abschließen. „Alles andere wäre bitter“, sagte Flasbarth. „Diplomatischer Ballast“ muss für den Artikel 6 bewältigt werden. „Wie kooperieren wir bei den gemeinsamen Klimaanstrengungen ohne Beschiß“, übersetzt Flasbarth. Im Artikel geht es um die Kooperation und Transparenz der Klimaanstrengungen.
Beispiel Südafrika
Die Kooperationen fallen nicht vom Himmel. Deutschland, die EU, Frankreich, Großbritannien und die USA haben sich für den Weltklimagipfel mit einer „Just Energy Transition Partnership“ für Südafrika ein Leuchtturmprojekt ausgesucht. Das Land an der Südspitze Afrikas erzeugt zu 90 Prozent seiner Energie aus Kohle. Das ist weltweit Platz sechs. Dabei ist noch nicht einmal jeder an die Energieversorgung angeschlossen. Es gibt Defizite in der Infrastruktur. Was die deutschen Kohlereviere sorgt, hat in Südafrika eine ganz andere Dimension. Es gibt 90.000 Minenarbeiter und eine hohe Jugendarbeitslosigkeit. Die neue Partnerschaft will den Weg der südafrikanischen Energiewende in den nächsten fünf Jahren mit 8,5 Milliarden US-Dollar begleiten. Ein Großteil wird über Kredite bereit gestellt. Rund 700 Millionen kommen aus der Bundesrepublik, von denen das BMZ 670 Millionen Euro zur Verfügung stellt.
Die Zusammenarbeit fängt nach Maria Flachsbarth nicht bei null an. Das BMZ arbeitet mit dem Land seit Jahren in den Bereichen Energie und Klima zusammen und kann darauf aufbauen. „Das ist ein sehr anspruchsvolles Projekt, das den Unterschied machen kann.“
Waldschutz
Der Waldschutz ist eines der ersten Ergebnisse von Glasgow. Mehr als 100 Länder wollen den Verlust der Wälder und anderer Landschaften bis 2030 stoppen. Das ist nicht neu. Der Verlust des Regenwaldes hat sich beschleunigt. Nicht zuletzt durch den brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro. Brasilien bekommt zunehmend Druck von den südamerikanischen Nachbarn und Jochen Flasbarth sieht selbst bei Bolsonaro, der den Waldschutz mit unterzeichnet hat, „Flexibilitäten.“
Rund 1,6 Milliarden Menschen leben vom Wald. Sie brauchen ihn als Quelle für Nahrungsmittel, Medizin und für ihre Lebensgemeinschaften. Die Wälder beherbergen weltweit rund 80 Prozent der Biodiversität. Wachsende Wälder können 30 Prozent der weltweiten Emissionen aufnehmen und in Biomasse festlegen. Die EU hat in Glasgow für die nächsten fünf Jahre eine Milliarde Euro für den Waldschutz versprochen. Davon gehen 250 Millionen Euro in das Kongo-Becken. In den acht Ländern Äquatorialguinea, Burundi, Gabun, Kamerun, Kongo DR sowie die Republik Kongo, Ruanda und die Zentralafrikanische Republik der zweitgrößte Regenwald der Erde.
Verluste und Schäden
Ein weiteres Thema sind die so genannten „Losses and Damages“ durch den Klimawandel. Die OECD hat zum Weltklimagipfel eine neue Studie herausgebracht [2]. Das Thema ist heikel, weil die Industrieländer fürchten, mehr Geld für die Verlierer beim Klimawandel bezahlen zu müssen. Für Flachsbarth stehen Versicherungslösungen im Vordergrund, die Klimarisiken bis in den Alltag hinein verflechten müssen. Länder wie Deutschland können Schadenssummen von drei Milliarden Euro für das Ahrtal bewältigen, während Bangladesch oder die Marshallinseln damit überfordert wären.
Die Bemessung ist alles andere als trivial. Die Hitzewelle 2010 in Russland hat zu Verlusten der Getreideernte geführt. Daher hat Russland den Export von Getreide gestoppt, was weltweit zu steigenden Getreidepreisen geführt hat. Die Schäden durch Dürre, Fluten und Stürme in Indien 2018 bezifferten sich auf 6,1 Milliarden US-Dollar. Bis 2030 werden aufgrund der Klimaschäden 130 Millionen Menschen zusätzlich in Armut geraten.
Für das BMZ sind in diesem Zusammenhang „Natural Base Solutions“ in der Entwicklungsarbeit wichtig. Der Schutz von Mangroven erhöht nicht nur die Biodiversität, sie schützen die Küsten und bieten der Küstenfischerei ein Einkommen. Für die Klimafinanzierung werden solche Lösungen wichtiger, aber auch die Definitionen, die über die reine Biodiversität bis beispielsweise in die Landbewirtschaftung hineinreicht.
Dekarbonisierung mit Entwicklung
Die Klimakonferenz wird die nationalen Reduktionsziele nicht auf eine jährliche Basis umstellen, wie es der UN-Generaldirektor António Guterres vor Glasgow gefordert hat. Die Länder sollten solange ihre Ziele nachschärfen, bis die Klimaneutralität erreicht sei. Dazu müsste aber das Paris-Abkommen geändert werden. Dort ist ein Monitoringzyklus von fünf Jahren vorgesehen. Flasbarth sieht für eine Verkürzung keine Zustimmung in Glasgow. Wichtiger und politisch weniger ermüdend sei die Beibehaltung der Fünf-Jahrespläne, da mit wechselnden Partnerschaften, wie jetzt mit Südafrika, mehr Spielraum bestehe. Auch Flachsbarth will keine Verkürzung. Es gehe in den Entwicklungsländern um eine Dekarbonisierung mit Entwicklung. Von einem Verzicht zu sprechen sei schon in Deutschland und Europa schwierig.
Unter diesem Vorzeichen spielen die hohen Energiepreise in Glasgow keine Rolle. Im Gegenteil, sagte Flasbarth. Ein beschleunigter Umstieg auf erneuerbare Energien wird als Teil der Lösung gesehen.
Lesestoff:
[1] Signale für Glasgow: https://herd-und-hof.de/handel-/schlechte-perspektive-fuer-glasgow.html
[2] Losses and Damages. https://www.oecd.org/environment/governments-need-to-address-inevitable-risks-of-losses-and-damages-from-climate-change.htm
Roland Krieg
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