Damit aus Toten Bäume werden

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Seehofer-Politik auf Kosten der Kinder

Entwicklungsminister Dr. Gerd Müller war vor vier Wochen in Mossul. Der Irak ist eines der Länder, das durch Kriege zerrüttet ist und vor einem schwierigen Neuaufbau steht. Müller traf in den Trümmern von Mossul auf Kinder mit lachenden Augen. Die Bombenangriffe hatten sie in Kellern überlebt und wurden vom Daesh als lebende Schutzschilder auf die Dächer gelegt. Doch auch wenn Kinderaugen lachen, die Seele vergisst nicht. Ein Donner schon erinnert Kinder an Bomben und Bomber; sie hören auf zu lesen, sie lernen später weniger, haben Schwierigkeiten „sicher von unsicher“ zu unterscheiden. Henrietta Fore besuchte in der letzten Woche als Exekutivdirektorin des Kinderhilfswerkes der Vereinten Nationen UNICEF den Jemen und brachte ein Kinderbild nach Berlin mit.

Ein Mädchen hatte ihren Wunschort aufgemalt. Mit festen Häusern, der Familie, einem Auto und einer Ampel, obwohl es in Aden keine Ampeln gibt. Für 250 Millionen Kinder sind Bürgerkrieg, Tote, Ruinen und das Fehlen von Schule, und Zukunft Realität. Kinder sind die am ehesten von bewaffneten Konflikten entwurzelten Menschen, die ihr Trauma ein Leben lang behalten.

Zusammen mit dem Bundesministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) tagte UNICEF am Mittwoch und Donnerstag in Berlin mit Ländern wie dem Irak, Jordanien und dem Südsudan über Hilfe für traumatisierte Kinder und Jugendliche in Krisengebieten. „Das Leben wieder aufbauen“ heißt das Motto der psychosozialen Hilfsprogramme vor Ort, in den Flüchtlingslagern, die Kindern die Idee von einem normalen Leben vermitteln wollen.

Fore berichtet von Kindern, die zunächst zerstörte Häuser und Tote malen. Sie wertet es als Erfolg, wenn sie mit ihren Buntstiften die ersten Bäume auf das Papier malen. Im Südsudan wurden zwei Jahre lang 800 Kindersoldaten über ein Hilfsprogramm „entmilitarisiert“. Ein Tropfen auf den heißen Stein, denn Fore vermutet in der Region rund 90.000 weitere Kindersoldaten.

Nicht nur das zeigt die riesigen Aufgaben, die von der Weltgemeinschaft geleistet werden müssten.  Acht Jahre Bürgerkrieg  haben mehr als eine Generation Kinder ihr Leben lang traumatisiert. Georg Graf Waldersee von UNICEF Deutschland beklagt: Es gibt zu viele Krisen. Viel zu viele Krisen, die viel zu lange andauern!“ Die Perspektive bleibt dramatisch: 2030 werde jedes dritte Kind in einem fragilen Staat leben.

Nach Direktorin Fore steigt das öffentliche und private Spendenaufkommen. Doch der Bedarf steige schneller. Nach den USA ist Deutschland der größte Finanzier der UNICEF. Doch lediglich fünf Staaten bestreiten 90 Prozent des Gesamtetats. Die Kriegsparteien in Syrien sind zahlreicher.

Für Müller ist es als Entwicklungsminister zunächst einmal leicht, psychosoziale Hilfsprogramme zu starten. Immerhin haben sich auf der Berliner Konferenz mehr als 29 Staaten zu solchen Programmen verpflichtet. Das Ziel klingt auch einfach, wie es Cornelius Williams als Leiter der weltweiten Kinderschutzprogramme von UNICEF definiert: „Wir brauchen die Widerstandskraft der Kinder für eine friedliche Zukunft.“

Doch andererseits hat gerade der zweitgrößte Geldgeber gerade eine Woche lang ein Trauerspiel in der Flüchtlingsfrage inszeniert. Und der Donnerstag hat es nicht beendet, denn die so genannten Transitzentren des Horst Seehofer funktionieren nur, wenn Österreich zusagt. Und da die Transitzentren nicht auf österreichischem Gebiet errichtet werden können, ist der Weg in das Zentrum faktisch schon eine Einreise.

Problematisch bleibt auch das Thema Familienzusammenführung. Müller traf im Libanon auf eine flüchtende Frau mit drei Kindern. Zwei ältere Töchter befanden sich schon in Deutschland. Wer soll wohin zusammengeführt werden? Während der CSU-Politiker Müller keine Antwort zu geben wusste, stellte Graf Waldersee hingegen fest, dass die Familie für Kinder der sicherste Ort ist.

Müller lehnte am Donnerstag die UNICEF-Pressekonferenz zwar als Gelegenheit für eine Auseinandersetzung mit der deutschen Politik ab – kann das aber nur auf das gemeinsame Parteibuch mit Seehofer begründen. UNICEF und BMZ haben die Bundespressekonferenz in der Woche genutzt, in der im Bundestag der Haushalt  2019 gestritten wird. Müller will mehr Geld in den Entwicklungsetat und weniger in die Rüstung zu stecken, muss sich aber heute gegen Kürzungen in seinem Etat wehren. In den folgenden drei Jahren sind Kürzungen im Kampf gegen Fluchtursachen eingeplant. Obwohl Müller, der das Eingangskapitel des seehoferschen Masterplans mitgeschrieben hat, sagt. „Es ist völlig richtig, dass der Masterplan dort ansetzt, wo Flucht und Migration beginnen.“ Im Interview mit „Die Welt“ forderte Müller zunächst einmal ein „Abrüsten“ beim verbalen Umgang in der Union und forderte einen anderen Stil ein. Seine realpolitische Ansicht isoliert Müller in der CSU, denn der Minister war beim Abschluss des Asylkompromisses von der Parteiführung ausgeschlossen worden.

Nicht nur die Kinderaugen von Mossul wenden sich von Seehofer ab.

Lesestoff:

Entwicklungspolitik ist keine Ressortaufgabe: https://herd-und-hof.de/handel-/eigenes-versagen-zerreisst-deutsche-politik.html

Psychosoziale Hilfe für Kinder in Krisengebieten ist für das BMZ nicht neu. In Syrien bekamen in den beiden letzten Jahren rund 130.000 Kinder Hilfe aus den Programmen. Zwischen 2013 und 2017 haben 648.000 libanesische und syrische Kinder im Libanon formelle und informelle Schulangebote erhalten. 45.000 Kinder kamen in Kinderschutzprogramme und mehr als 26.000 Mädchen haben von Maßnahmen gegen geschlechtsspezifische Gewalt profitiert. Im Irak nahmen 43.000 Kinder rund um Mossul an psychosozialen Programmen teil.

Roland Krieg

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