Darf die Ökobranche wachsen?

Handel

Ökologisches Wachstumsverständnis

„Die Landwirtschaft organisiert Wachstum von Getreide bis zu Kälbern. Aber auch Bäume wachsen nicht in den Himmel.“ Mit diesen Worten wies Frieder Thomas, Geschäftsführer des Agrarbündnisses, zu Beginn der Internationalen Grünen Woche auf das Schwerpunktthema des jährlich erscheinenden „Kritischen Agrarberichtes 2016“ hin. Wachstum verläuft nicht linear. Negativeffekte wie die Bodendegradation begleiten als Kollateralschaden wie ein Schatten einen falschen Wachstumsbegriff.

Bio „wächst“

Wenn auch mit Stolpersteinen versehen „wächst“ Bio seit Beginn an. Mehr Bauern, mehr Fläche, mehr Nachfrage, mehr Naturkostläden, mehr alternativer Lebensstil [1]. Selbst einen der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) hat zur Grünen Woche noch kräftig die Werbetrommel für die ökologische Landbewirtschaftung gerührt. Von den Volatilitäten der konventionellen Preise entkoppelt, biete der Ökolandbau eine ökonomische Alternative. Auch der Deutsche Bauernverband musste zur Auswertung der Wirtschaftszahlen 2014/2015 unterstreichen, dass der Ökolandbau die einzige Branche mit Wachstum ist.

Gutes Wachstum – schlechtes Wachstum?

„Unsere Landwirtschaft befindet sich seit Jahren in einem Strukturwandelprozess“, sagte Prof. Hubert Weiger vom BUND. In den letzten Jahren bewirke der Strukturwandel sogar Strukturbrüche wie einer flächenunabhängigen Tierhaltung.
Der „Kritischen Agrarbericht“ will ein Wachstum definieren, das sich vom Wachstumsverständnis der konventionellen Wirtschaft unterscheidet. Der Ertrag alleine entscheidet nicht über ökologische oder konventionelle Wirtschaft, ergänzt Felix Prinz zu Löwenstein vom BÖLW. Abwechslungsreiche Fruchtfolgen mit einer Humus aufbauenden Bewirtschaftung sind nicht eingepreiste Systemdienstleistungen. Der humusreiche Boden als größte Kohlenstoffsenke kann effektiver das Klima stabilisieren als großtechnische Träume des Geo-Engineering, mit dem die Menschen das Klima beeinflussen wollen – zu horrenden Kosten und bei völliger Abwesenheit einer Risikobewertung.

„Schönheit des Kleinen“

Will die Ökobranche wachsen? Was ist ökologisches Wachstum? Und wie rein ist der Traum? Prof. Dr. Franz-Theo Gottwald, Vorstand der Schweisfurth-Stiftung listet in seinem Beitrag zum Kritischen Agrarbericht [2] die „Kosten“ des Wachstums auf. Ökobauern geben auf oder wechseln wieder zurück in die konventionelle Landwirtschaft. Es sind meist die kleineren Betriebe ohne Verbandsangehörigkeit, denen der Kontrollaufwand zu hoch ist oder bei denen die Vermarktung unzureichend ist. Am Ende stimmt das Geld nicht mehr. Ein Problem besteht nach Löwenstein auch in der Verteuerung von Pachtflächen. Betriebe bleiben klein.

Die Ökobauern zahlen nach Prof. Gottwald für das Wachstum als Ausdehnung der Produktion und des ökologischen Naturkosthandels ihren Preis: Sie folgen der konventionellen Logik des „Wachsen oder Weichen“ und leiden ebenfalls unter sinkenden Rohstoffpreisen durch Wettbewerb.

Die Hausaufgaben sind zahlreich: Kleine Märkte, wie der Obst- und Gemüsemarkt, werden durch Verbandssegmentierung weiter fragmentiert statt durch neue Systeme zur Nutzung von Synergien erschlossen, Getreide muss zusätzlich zertifiziert werden, wenn es verbandsübergreifend verarbeitet wird, Landwirte beklagen sich über zunehmenden Preisdruck durch Filialisierung des Naturkosthandels, Bio-Discounter stimulieren Mengenabsatz durch kleinere Preise und Begriffe wie „Bio-Agrarindustrie“ weisen auf brancheninterne Zentrifugalkräfte hin. Gottwald fasst die Situation wie folgt zusammen: „Diese Entwicklung ist dem ursprünglichen Leitgedanken des Ökologischen Landbaus, in vielfältigen strukturierten, kleinen Betriebseinheiten vernetzt zu produzieren, diametral entgegengesetzt.“

Derzeit findet ein Generationenwechsel im Ökolandbau statt. Die Pioniergeneration mit ganzheitlichem Produktionsansatz wird von einer neuen Generation der „ökonomischen Pragmatiker“ ersetzt. Prof. Gottwald beschreibt den Stabwechsel gegenüber Herd-und-Hof.de mit folgendem Bild: Man wirft einen Fußball auf das Spielfeld, aber die Spieler wollen lieber Handball spielen.

Bio „fühlen“ oder "wissen"?

Die Biobranche zeichnet sich durch ständige Selbstkritik aus, die der Restwelt schwer zu vermitteln ist. Der Generationenwechsel gibt erneut Anlass dazu. Die Branche brauche ein tragfähiges Entwicklungsleitbild, das nach Gottwald möglichst wenig Sprachanleihen aus „überkommenen, konventionellen oder gar industriellen Wettbewerbssystemen“ übernimmt.

Ob das Ergebnis den Biobereich von der Restwelt mehr trennt oder mit ihr verbindet bleibt ein spannendes Aufgabenfeld der Marketingstrategen. Die Einkaufsentscheidung fällt in Sekunden innerhalb des Alltags. Die Erklärung, wie Bio sich von konventionellen Produkten unterscheidet, muss deutlich vor der Ladenkasse vermittelt werden. In der Ökonomie gibt es den Begriff der Entscheidungsfindungskosten. Diese steigen als Aufwand, je größer die Zustimmungsquote ausfallen muss. Wer Bioprodukte „gefühlt“ kauft, dem reicht eine Ahnung, dass Bio besser als konventionell ist. Inklusive hoher Opportunitätskosten, falsch zu liegen. Wer Bioprodukte „bewusst“ kauft, der hat sich mit hohem Aufwand vorher durch langfristige Vergleiche ein „Überzeugungsbild“ erarbeitet. Mit minimierten Opportunitätskosten. Wen also will die Branche mit welchem Aufwand zu welchem Wachstum ansprechen? Wenn die Branche höhere Anteile von der Produktion bis zum Genuss erzielen will, muss sie die Balance zwischen kultureller Evolution und pragmatischem Alltag finden.

Lesestoff:

Ihre Analyse zu Wachstum innerhalb planetarer und humaner Grenzen finden Sie nach Studium des „Kritischen Agrarberichtes 2016 – Schwerpunkt: Wachstum“: www.kritischer-agrarbericht.de

[1] Umstellung, so wertvoll wie nie

[2] Welches Wachstum passt zum Ökolandbau? Der Kritische Agrarbericht 2016, S. 121 ff

Roland Krieg

[Sie können sich alle Artikel über die diesjährige Grüne Woche mit dem Suchbegriff „IGW-16“ anzeigen lassen]

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