Das schiere Wachstum

Handel

Minister Woidke „biotourt“ durch Berlin

Die Erlebnisgastronomie in Berlin und Brandenburg hatte schon zu Bolles derben Zeiten nicht den Ruf, mit der feinsten Nouvelle Cuisine mithalten zu können. Seit Berlin (West) wieder ein flächiges Umland hat, hätte es die Kreuzberger Ökoszene zum Feldbau in die märkischen Sande ziehen können. Aber bis heute gilt: Zwischen Berlin und Brandenburg gibt es noch ungenutztes Potenzial. Rund 1,3 Millionen Hektar Ackerfläche für 3,7 Millionen Verbraucher.

Nachfragemarkt Bio mit Hindernissen
Alle Marktstudien führen den Biomarkt mindestens als etablierten Trend der Verbrauchergunst auf. Vom Tier- und Umweltschutz bis hin zu Wellness und Gesundheit: Ökoprodukte haben mittlerweile ihren eigenen Stellenwert in der Gesellschaft gefunden und werden nachgefragt. Mehr als den Ökobauern lieb ist, denn so viel können sie nicht immer produzieren. Daher weitet sich die Fläche für den Ökolandbau weiter aus, wie es auch die Grafik der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg (FÖL) zeigt.

Fläche BB

Trotzdem gibt es Hindernisse, die gestern auf der Brandenburg-Berliner Biotour deutlich wurden. Die FÖL hatte den Potsdamer Agrarminister Dr. Dietmar Woidke eingeladen, sich über die Chancen und Probleme des gemeinsamen Marktes zu informieren. Genutzt werden sollte die Fahrt zu drei exemplarischen Schau-Plätzen in Falkensee und Berlin, um für die zu Ende gehende Förderperiode 2000 – 2006, eine Bilanz zu ziehen. Herd-und-Hof.de war in Berlin dabei.

Frischelogistik in Neukölln
Einer der Engpässe zwischen der Berliner Nachfrage und dem Brandenburger Angebot, zeigte Geschäftsführer Meinhard Schmitt in seinem rund 3.500 qm großen Logistiklager von Terra Naturkost auf. Kisten mit Brandenburger Blumenkohl gingen zuletzt in der vergangenen Woche durch die Hallen. Jetzt kommt der Blumenkohl aus Frankreich, weil im Süden ganzjährig Saison ist. Mit dem Slogan „Regional ist 1. Wahl“ komme man nicht durch das ganze Jahr.
Was in Brandenburg wächst werde aber vorgezogen. Hier haben jetzt Kohl, Pastinaken, Rote Beete und Feldsalat Konjunktur. „Monogüter“, wie Salat, haben bei den Bauern Vorteile. Das Gemüse wächst, wird geschnitten, dann verpackt und an Terra geliefert. Eine Weiterverarbeitung findet nicht statt.
So kommt die Milch von Terra zu 100 Prozent aus Brandenburg, aber Joghurt gibt es nicht: Ein Beispiel, dass Brandenburg zwar sehr reich an Rohstoffen für den Biomarkt ist, aber nicht veredelt. Bei Tiefkühlgemüse, Pizza oder Marmeladen sieht Michael Wimmer von der FÖL noch ein riesiges Potenzial an Wertschöpfung und Arbeitsplätze im ländlichen Raum.
Terra wendet nach eigenen Angaben rund 35 Millionen Euro für den Einkauf auf. Nur 15 Prozent gehen davon nach Brandenburg. So haben fast alle Ökobauern in Niedersachsen eigen Kartoffellager und verkaufen ihre Produkte das ganze Jahr über. Die Brandenburger Bauern haben keine Lager. Nur in Briezen gibt es ein Sammellager, „was man aber insgesamt intelligenter lösen könnte“, so Schmitt.

Zu wenig Geld, Köpfe, Ideen oder...?
Im September 2006 hat die Landbauforschung Völkenrode der Bundesanstalt für Landwirtschaft die Studie „Förderung des ökologischen Landbaus“ herausgebracht. Darin wird ersichtlich, dass die Förderlandschaft zwischen den Bundesländern ausgesprochen heterogen ist. Seit 1989 wird der Ökolandbau öffentlich gefördert, aber die Tabellen zeigen, dass für die letzten beiden Jahren der Satz „Keine Förderung von Umstellungsbetrieben“ das Ende des Förderbooms eingeläutet hat.
So sieht auch die FÖL in dem Potsdamer Förderstopp für Umstellungsbetriebe seit 2004 eine Wachstumsbremse für die Ausdehnung des Ökolandbaus. Zwei Jahre brauchen neue Betriebe, bis sie zertifizierte Bioprodukte verkaufen dürfen. Das betriebswirtschaftliche Risiko sollen die Betrieb nicht alleine schultern müssen.
Aber selbst Erfolgsgeschichten haben nur geringe Initialzündung. Meinhard Schmitt berichtete von einem Kartoffelbauern, der für seine sandigen Böden eine Brunnen bohren wollte und dringend einen Bürgen für die Investitionssumme von 70.000 Euro suchte. Es waren nicht offizielle Stellen, die für ihn eintraten – und in diesem „Sahara-Sommer“ 2006 war er der einzige gewesen, der Kartoffeln erntete.
Agrarminister Dr. Woidke würde „gerne Geld in die Hand nehmen“ und den Ökolandbau stärker fördern. Vor allem möchte er das Geld aber in Strukturen stecken, „die Großhandelskompatibel“ sind. So kommen bis zu 40 Prozent der Backwaren in Berlin aus Brandenburg. Bei Fleisch und Milch möchte Woidke vergleichbare Zahlen erreichen. Er gab sich aber bedeckt, was genau für die nächste Förderperiode der EU zwischen 2007 und 2013 geplant ist – außer das die Ökofläche noch weiter steigen soll. Zur Grünen Woche sollen die Ergebnisse der laufenden Gespräche vorgestellt werden. Das Groß der Mittel wird wohl in den Bereich der Agrarumweltmaßnahmen gehen, „muss aber“, so Woidke, „finanzierbar bleiben“.

Bio auf allen Wegen
Seit 2002 gibt die FÖL den Bio-Einkaufsführer heraus, der 450 Einkaufs- und Erlebnisadressen zum Entdecken und Genießen von Bioprodukten aus der Region beinhaltet. Mit einer Auflage von 700.000 Exemplaren wirbt er in diesem Jahr für die Qualität und Vielfalt des Fachhandels.
Nach Landkreisen und Stadtbezirken geordnet sind die Naturkostgeschäfte, Bio-Supermärkte, Reformhäuser, Bio-Fleischereien und Kantinen aufgelistet. Das Heft gibt es kostenfrei in der Berliner Marienstraße oder gegen eine Versandkostenpauschale online unter www.bio-berlin-brandenburg.de
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Einkaufen und Kochen
Der Weg zu mehr Wachstum in der Branche sucht seine Strategie. Frank Lüske, Geschäftsführer von Biolüske, dem Supermarkt in einem umgebauten Lichterfelder Kino, fordert vom Brandenburger Minister auch mehr Anfangsinvestitionen. Die Methode mit Bio anzufangen und darauf zu vertrauen, dass es schon jemand kaufen wird, funktioniert seiner Meinung nach nicht mehr. Wer in dem Kühlregal Wildlachs, Prosecco und Biohähnchen sieht, weiß wovon Frank Lüske spricht. In dem Supermarkt geht es nicht um Ernährungsphysiologie, sondern um Qualität. In der Weinecke gibt es die „stille Verkostung“ und auch Anfang November sieht das Regal für Obst und Gemüse abwechslungsreich aus.
Auf der alten Balustrade hat Lüske eine Kochecke eingerichtet, von der man den Überblick über das ganze Geschäft hat. Man müsse dem Kunden schon etwas besonderes bieten und er wurde dafür im letzten Jahr von der CMA mit dem Selly 2005 geehrt: Die beste Verkaufsidee für Biolebensmittel.
Der Geschäftsmann mit mittlerweile 30 Mitarbeitern sieht für die Vermarktung Brandenburger Produkte noch viel Spielraum nach oben.
Allerdings ist das Besondere auch seinen Preis wert. Auf Nachfrage von Herd-und-Hof.de sieht er nicht mehr die Zwistigkeiten zwischen den Naturkostläden und Bio-Supermärkten im Vordergrund, sondern die Regallistung von Bioprodukten im Discounter.

MOE und Grüne Revolution
Was Bauern und Händler nicht mehr liefern können kommt mittlerweile aus dem Ausland. Die Branche ist darüber nicht erfreut, denn vor allem die Mittel- und Osteuropäischen (MOE) Länder können zwar Bioqualität aufweisen, aber die sozialen Standards nicht immer halten und billiger produzieren als die deutschen Grenzregionen. Und Polen wird künftig den Ökolandbau mit 135 Euro je Hektar fördern und damit 15 Euro mehr spendieren als Potsdam. Die FÖL sieht darin eine massive Wettbewerbsverzerrung, zumal die Kaufkraft eines Euro in Polen anders ist als hier.
Allerdings gibt es noch ganz andere Faktoren, die auf das Gesamtgefüge wirken werden. Möchte Dr. Woidke die Ökoflächen vergrößern, Strukturen in der Verarbeitung schaffen die Großhandelskompatibel sind, dann muss er diese Ziele für Brandenburg mit dem Biomasseplan verbinden und, beispielsweise, auch die Forscher des ATB berücksichtigen, die aus Brandenburger Roggen Milchsäure herstellen wollen. Und das, obwohl Brandenburg nicht mit den besten Böden gesegnet ist und zunehmend unter Trockenheit im Sommer leidet.
Diese Konflikte zeichnen sich heute bereits ab, so Dr. Woidke zu Herd-und-Hof.de. Die Bauern müssen sich die Frage stellen, welche Nutzung die wirtschaftlich attraktivste, die nachhaltigste und sozialste ist. Heute stehe diese Frage noch nicht ganz oben auf der Planung, aber punktuell gebe es bereits Konflikte zwischen Naturschutz und erneuerbaren Energien. Die Entscheidungen der Bauern werden Auswirkungen auf die Lebensmittel- und Futtermittelbereiche haben. So konnte der Minister auf seiner Biotour den Wunsch nach Berlin übermitteln, mehr in die Agrarforschung zu investieren. „Wir brauchen diese Forschung.“

Lösung Marketing?
In den letzten Jahren hat in Berlin die „Marke Brandenburg“ an Klang gewonnen, fasste Lüske zusammen. Die Kunden wollen regionale Produkte. Hier kann der Verbraucher der Politik aushelfen, die bei den unterschiedlichsten Anforderungen gerne auf ihre leeren Kassen verweist. Um aber dem Kunden nicht nur einen Begriff, sondern auch die Bedeutung seiner Produktwahl zu vermitteln, suchten auch gestern die Berlinreisenden nach Vermarktungskonzepten. Gingen diese von der Politik, dem Handel, dem Logistiker oder von dem Verband aus?
Das aber fragte sich auch der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft auf seiner Herbsttagung im Oktober.

Lesestoff:
Dr. Hiltrud Nieberg und Dr. Heike Kuhnert: Förderung des ökologischen Landbaus in Deutschland: Stand, Entwicklung und internationale Perspektive; Sonderheft 295; ISSN 0376-0723; 14 Euro; www.fal.de
Insgesamt wurden auf der Pressefahrt folgende Stationen angefahren: www.das-biobackhaus.de; www.terra-naturkost.de; www.BioLüske.de

Roland Krieg

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