Den Binnenmarkt nicht vergessen
Handel
EU-Binnenmarkt mit Wachstumschancen
Alles redet derzeit über die geplante Freihandelszone zwischen den USA und der EU. Vor allem über die zusätzlichen Wachstumschancen, die der Deal hervorbringen kann. Dabei liegt vor der eigenen Haustür noch einiges im Argen, wie die Studie „Europas Binnenmarkt – Wirtschaftsraum mit Potenzial“ vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) im Auftrag der Konrad AdenauerStiftung belegt. Sie wurde vom Autor in Berlin vorgestellt.
Chance für die EU
Autor Dr. Berthold Busch erinnerte an die ersten 300 einzelnen Maßnahmen, die 1985 die Schranken des Binnenmarktes überwinden sollten. Das war zu der Zeit, als die Agrarpolitik mit starken Marktordnungsmechanismen und Einführung der Milchquote das Image Europas in Mitleidenschaft zogen. Europa wollte mehr zu bieten haben als Milchseen und Butterberge. Der Weg bis zur Vision der verschmolzenen Nationalmärkte zu einem einheitlichen gemeinsamen Markt wird seither in kleinen Schritten umgesetzt und hat der Wirtschaft neue Perspektiven gegeben.
Dr. Andreas Schwab, Europaparlamentarier im Ausschuss für den Binnenmarkt (CDU), bedauert, dass es noch keine umfassende Studie für den Nutzen des Binnenmarktes gibt. Die einen rechnen mit 14 Prozent zusätzlichem Wachstum bis 2020, die anderen mit einem jährlichen, kontinuierlichen Wachstum von zusätzlich 0,8 Prozent. Doch meist befassen sich die Studien nur mit wenigen Sektoren. Daher wüssten Unternehmen gar nicht, wie viel Wertschöpfung sie dem Binnenmarkt verdanken.
Die schrittweise Realisierung hat dazu geführt, dass rund 60 Prozent der Exporte in die europäischen Nachbarmärkte gehen. Im Agrargewerbe sind es sogar 80 Prozent der Exporte, die innerhalb der EU verbleiben.
Dr. Schwab rechnet alleine für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer vor: Bis 2020 fehlen in Baden-Württemberg durch den demografischen Wandel 500.000 Vollzeitarbeitskräfte, in Bayern sind es 750.000 bis 2022. Die 1,2 Millionen Arbeiter müssen irgendwo herkommen. „Der massive Arbeitskräftebedarf erfordert einen starken Ausbau des Binnenmarktes“, so Schwab.
Europa oder Nationalstaat?
Ein Hindernis für den Binnenmarkt steckt wohl im Kopf. Europa gilt als stark, wenn es weit weg ist, so Schwab. Die Mitgliedsländer, darunter auch Deutschland, pochen auf die Subsidiarität, die Entscheidung vor Ort, und fürchten die Abgabe von Souveränität.
Das zeigt sich auch in der Zahl der Vertragsverletzungsverfahren, ergänzt Dr. Busch. Die meisten beziehen sich auf direkte und indirekte Besteuerung, den Wasserschutz und den Luftverkehr. Die Landwirtschaft rangiert ziemlich weit hinten.
Dabei wird der Binnenmarkt nicht gegenüber den neuen Mitgliedsländern unvollständig ausgenutzt, es sind die „alten Politiken und Politiker“, die dem entgegenstehen. Strom ist beispielweise ein homogenes Gut und dürfte nur wenig Preisstreuung zwischen den Mitgliedsländern aufweisen. Die Analyse jedoch zeigt, dass zwischen Frankreich und Deutschland, zwei Länder mir vergleichbaren Strukturen, die Strompreise sehr unterschiedlich sind.
Dr. Busch sieht in den Verhandlungen über den neuen mehrjährigen Finanzrahmen eine verpasste Gelegenheit, mehr für den Binnenmarkt zu tun. Die Kommission hatte rund 50 Milliarden Euro für die „Connecting Europe Facility“ vorgesehen. Die Regierungschefs haben den Betrag für gemeinsame Infrastrukturprojekte bei Energie und Verkehrsachsen auf unter 30 Milliarden Euro gedrückt.
Die Erhöhung der Wettbewerbsintensität ist der Schlüssel für mehr Wachstum. Doch die Länder haben sich angesichts der Finanzkrise quasi wirtschaftlich ein „Cocooning“ verordnet und besinnen sich nur noch auf sich selbst, erklärte IW-Kollege Jürgen Matthes. Mehr Binnenmarkt bedeutet mehr Wachstum und ist die Lösung für die Krise, laute das Motto nach den ökonomischen Vorvätern Adam Smith, Alfred Müller-Armack und Ludwig Erhard: Die soziale Marktwirtschaft.
Die Entscheidung für Europa und den Binnenmarkt müssen die einzelnen Regierungen treffen. Da hat Dr. Schwab für die neue Bundesregierung ab Herbst auch gleich einen Tipp parat: Fristgerechte Umsetzung der EU-Binnenmarktbeschlüsse.
Lesestoff:
Die Studie können Sie bei der Konrad Adenauer Stiftung herunterladen: www.kas.de
Roland Krieg