Der ausgewogene Kanzlerkandidat

Handel

Steinbrück auf dem Handelskongress

Peer Steinbrück sprach am Donnerstag auf dem Deutschen Handelskongress über Handel und Politik. Dem Applaus während und nach seiner Rede nach hat er beim Deutschen Handelsverband (HDE) einige Punkte gewinnen können.

Vielleicht liegt es auch an der Zeitenwende. Steinbrück sprach die lange Zeit der reinen Marktbefürworter seit Reagan und Thatcher an, bei denen Shareholder Value und Deregulierung auf Kosten der Sozialpartnerschaft ausgeweitet wurden. Erst als mit der Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2007 und 2008 sich ein Ende mit Schrecken breit machte, rücken die Menschen wieder zusammen. Sie spüren, dass die Krise noch lange Nachwirkungen haben wird. Steinbrück spricht an, was die meisten Menschen fühlen: Gewinne werden privatisiert, Schulden sozialisiert, die Banken winden sich als selbstdefinierte Systembestandteile aus der Verantwortung und es gab finanzielle Exzesse.

Der Kanzlerkandidat der SPD steht für „Maß und Mitte“ ein, was die Partei bislang nur für den Finanzsektor geltend gemacht hat [1]. Steinbrück ist es gelungen diese Parole auf den Alltag zu übertragen. „Maß und Mitte“ sei die notwendige Konsensfindung für das wichtige Fundament der Zukunft. Den Griechen werde fünf Prozent des Inlandsproduktes als Sparquote abverlangt. Auf Deutschland übertragen müssten jährlich 150 Milliarden im öffentlichen Dienst von den Gemeinden bis zur Bundesverwaltung gekürzt werden. Am Ende koste das Stabilität und Demokratie; Tendenzen seien in den mediterranen Ländern schon zu sehen.

Mit Ausgleich und dem „altmodischen Wort Gemeinwohl“ appellierte Steinbrück an die Händler, die meist den Klein- und Mittelständischen Unternehmen angehören, auf „intakte Institutionen“ zu vertrauen. Dazu gehöre auch die Einhaltung der Öffnungszeiten. Einige wenige könnten einen 24-Stunden-Service anbieten, machten die anderen, die das nicht können, im Wettbewerb aber kaputt.

Steinbrück brachte mit dem Vergleich zwischen Derivate- und realem Handel den ehrbaren Kaufmann ins Spiel. Heute werde mit 600 Billionen Euro wieder zehnmal mehr Volumen gehandelt als in der Realwirtschaft. Das sei zu viel, aber ganz abschaffen wollen auch die Sozialdemokraten das nicht. Wo eine Kalkulationsgrundlage mit Warengütern zur Preisabsicherung dahinter stehe, sei das ein ordentliches Geschäft. Es gehe darum, die „negative Seite in den Griff zu bekommen“. Darunter leiden die Mitglieder des HDE auch.

Ausgleich und Gemeinwohl stehen nicht auf der anderen Seite des Handels. Steinbrück nennt die Einhaltung dieser Perspektive „Selbstprotektionismus“. Acht Millionen Menschen mit Niedriglöhnen und jährlich 70.000 Schulabbrecher kosten dem Staat früher oder später immens viel Geld. Diese Menschen können nicht konsumieren. Der Handel kann nicht expandieren.

Deutschland ist nach Steinbrück aus verschiedenen Gründen gut durch die Krise gekommen: Dazu zählt eine intakte industrielle Wertschöpfungskette, der hohe Bestand an Klein- und Mittelständischen Unternehmen, das, wenn auch verbesserungswürdige, Bildungsniveau, dezentrale Kreditinstitute in der Region, die Sozialpartnerschaft und eine Wissenslandschaft mit Kooperationen von Wirtschaft und Universitäten.

Auch der Mittelstand exportiert, weil zu Haus die Märkte gesättigt sind. Steinbrück legte den Händlern dar, dass 45 Prozent des aktuellen Wohlstands in Deutschland durch den Verkauf der Waren und Dienstleistungen im Ausland entsteht. Geht es den Nachbarn gut, geht es auch Deutschland gut. Versuche, eine „neue DM“ oder einen „Nord-Euro“ einzuführen, habe eine Aufwertung von 40 Prozent zu Folge. Das könnte der Handel im Export nicht mehr stemmen.

Lesestoff:

[1] Dem Handel Maß und Mitte geben

Roland Krieg (Text und Fotos)

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