Der Strommarkt der Zukunft

Handel

Sondergutachten vom Umweltrat zum Strommarkt

Prof. Dr. Martin Faulstich hatte nach dem Scheitern des Klimagipfels in Warschau auch Tröstendes parat: Alle Länder haben sich darauf verständigt, das Zwei-Grad-Ziel umzusetzen und die Treibhausgase bis 2050 zu reduzieren. Die Länder sind unterschiedlich weit und die mögliche große Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag die Energiewende als Ziel aufgenommen. In Deutschland wird zum Beispiel darüber gestritten, wie die erneuerbaren Energien in den bestehenden Markt zu integrieren sind, oder ob Deutschland nicht ein gänzlich anderes Marktdesign braucht, das auf die neuen Energien zugeht? Als Hilfestellung hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) am Mittwochabend sein neuestes Gutachten „Den Strommarkt der Zukunft gestalten“ vorgestellt. Parallel zum Koalitionsvertrag.
Nach Prof. Faulstich sind neue Ideen gefragt, weil die Energiewende etwas grundsätzlich anderes ist und alte Konzepte nicht mehr passen. Wind und Sonne werden die Leitenergien der Zukunft stellen, weil der Anbau von Biomasse für die energetische Nutzung langfristig nicht tragbar bleibt. Am Beispiel eines Autos zeigte er, wie sehr sich die Grenzen zwischen Erzeuger und Verbraucher verschieben. Das Auto erzeugt beim Fahren Energie, die Batterien müssen als Speicher begriffen werden und natürlich verbraucht es auch Energie.

Governance

Die Energiewende ist eine große Herausforderung an Staat und Gesellschaft, die besonders begleitet werden muss. Sie passt nicht mehr in die alten Strukturen, sondern bringt mit den Energiegenossenschaften der Bürger neue Partizipationsmodelle hervor, betont Prof. Dr. Miranda Schreurs vom SRU. Die Energiewende berührt nicht nur die Tiefen der Gesellschaft, sondern auch die Politik auf ihren verschiedenen Ebenen. So spiegelt die Summe der 16 Länderklimaziele nicht das Ziel der Bundesregierung wider. Mit Governance umschreibt sie die nötige Koordination und das Monitoring der Energiewende, was nicht zu einem Energieministerium führen soll. Dazu sollte eine Staatsministerstelle im Bundeskanzleramt eingeführt werden, die Ressortstreitigkeiten moderiert sowie zwischen Bund und Länder vermittelt. Sie könne en Regelungssystem für systemische Grundfragen aufbauen und regelmäßige Monitorberichte begutachten.
Deutschland sollte, so das Gutachten, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg folgen und die Klimaziele in ein Klimaschutzgesetz verbindlich regeln. Großbritannien hatte als erstes eines verfasst, die Schweiz folgte in diesem Jahr.

Mehr Flexibilität

Ausführlich widmet sich das Gutachten mit Flexibilisierung und Finanzierung des Strommarktdesigns bei Vollversorgung mit erneuerbaren Energien als auch für die Übergangszeit. Dazu gehört auch ein Reformmodell für die Marktprämie sowie die Frage nach Begünstigungen im EEG.
Prof. Dr. Harald Bradke vom SRU bemängelt die Ungleichheit zwischen alten und neuen Energien. Bei der Kostenfrage werden den neuen Energien ihre Vollkosten, den fossilen Energien nur die Grenzkosten berechnet. Außerdem bleiben die externen Effekte wie Umweltzerstörung durch den Braunkohletagebau und Kosten für die Anpassung an den Klimawandel unberücksichtigt. „Kostenehrlichkeit“ fordert das Gutachten des SRU.

Der Koalitionsvertrag

Gutachten hin und her. Entscheidend ist die Realpolitik, deren Koalitionsvertrag gleich Gegenstand der Diskussion wurde.

„Der weitere Ausbau der Erneuerbaren Energien erfolgt in einem gesetzlich festgelegten Ausbaukorridor: 40 bis 45 Prozent im Jahre 2025, 55 bis 60 Prozent im Jahr 2035. Jährlich wird der Fortgang des Ausbaus im Hinblick auf Zielerreichung, Netzausbau und Bezahlbarkeit überprüft (Monitoring).“ So steht es im Koalitionsvertrag, der ebenfalls am Mittwoch unterschriftsreif formuliert wurde.

Für Dr. Franz Brickwedde vom Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) ist das eine eindeutige Verlangsamung der Energiewende: „Das ist ein deutliches Bremsmanöver!“ Damit werden die europäischen Klimaziele verfehlt und die erneuerbaren Energien reichten gerade aus, um den wegfallenden Atomstrom zu kompensieren, aber nicht den eines einzigen Kohlekraftwerkes: „Das ist bedauerlich“, lautet das Fazit Brickweddes. Ein Rückschritt sei auch die Formulierung, dass die Zahl der Begünstigten der EEG-Umlagebefreiung nur überprüft und nicht reduziert werde.

Die neue Zielsetzung mit den „Zwischenjahren“ 2025 und 2035 macht die Koalitionsvereinbarung auch schwer vergleichbar mit anderen Zeitzielen. Hildegard Müller vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) glaubt, bei genauerem Hinsehen seien die Koalitionsziele ehrgeiziger als bislang. Zumal beim Jahr 2050 keine Abstriche gemacht wurden. Wohl aber kritisierte sie den Koalitionsvertrag, weil das Potenzial für den Wärmemarkt ungenutzt bleibe.

Thomas Breuer von Greenpeace sieht in dem Papier, das die SPD-Basis noch abstimmen muss, ein „fatales Signal“ an die EU und die Welt, die auf Deutschland schauen, wie ein Industrieland die Energiewende meistern kann. Das Vorbild droht zu verblassen und vergesse, dass die neuen Energien Arbeitsplätze und Wertschöpfung geschaffen haben.

Stahlmarktdilemma

Einer der großen Energieverbraucher ist die Stahlindustrie. Dr. Brickwedde wirft ihr vor, Investitionen nur durchzuführen, wenn sie sich innerhalb von zwei Jahren amortisieren. Weil der Strompreis derzeit niedrig ist und die Werke von der EEG-Umlage befreit sind, würden keine Effizienzprogramme fahren.
Holger Lösch vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) wollte Brickwedde zwar widersprechen, konnte das Bild aber nur ergänzen. Er nahm ein kleineres Stahlwerk als Beispiel, das 15 Millionen Euro Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebidta) macht. Mit EEG-Umlage käme es auf ein Minus von 35 Millionen Euro. Lösch beklagte, dass das Unternehmen vor allem deshalb keine Investitionen in Energieeffizienz mache, weil weltweit kein „grüner Stahl“ nachgefragt werde. Diesen Wettbewerb gebe es einfach nicht, weswegen sich Investitionen kaum refinanzierten.

Lesestoff:

Das Sondergutachten des Sachverständigenrates finden Sie auf www.umweltrat.de

Roland Krieg

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