Der Transparenz gerecht werden
Handel
Food Safety Kongress in Berlin
Der Ruf nach Transparenz im Bereich der Lebensmittelsicherheit resultiert nach Dr. Erwin Ernst aus dem Ministerium für ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg, aus dem Verlust an Vertrauen. Vertrauen ist die Balance zwischen Wissen und Nichtwissen, was derzeit zwischen Ernährungsindustrie, Behörden und Verbrauchen gestört ist. Auf der 5. Food Safety Kongress in Berlin zeigte Dr. Ernst aber auch, wie schwer es für Behörden und Unternehmen geworden ist, die Balance wieder zu finden.
Verordnungslabyrinthe
Die Rechtslage für die Veröffentlichung von
Lebensmittelrisiken und –gefahren ist unübersichtlich geworden. Beispielsweise
wird der Paragraph über die Veröffentlichung bei erheblicher Täuschung wohl
demnächst wieder in das Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und
Futtermittelgesetzbuch wieder aufgenommen, obwohl er zuvor zur Vereinfachung in
einem anderen Artikel überführt wurde. In der Zwischenzeit sind Portale wie
Lebensmittelwarnung und Lebensmittelklarheit entstanden, das
Verbraucherinformationsgesetz wurde novelliert – aber die Lebensmittelskandale
der der letzten Jahre vermitteln eher, dass die Aufgaben größer werden.
Die Unternehmen wissen kaum noch, was sie wann
veröffentlichen sollen, den Eigenkontrollen wird wenig Vertrauen
entgegengebracht, die Strukturen der Lebensmittelwirtschaft überfordern oftmals
die Strukturen der Lebensmittelkontrolleure.
Zwischen Befund und Veröffentlichung sollen nur wenige
Stunden vergehen, aber rechtliche Absicherung und Laborprüfungen verlängern den
Zeitraum oft. Oft ist nicht klar, ob eine „B-Probe“ als Wiederholungstest vom
gleichen Labor durchgeführt werden soll, oder, wies es Dr. Girnau vom Bund für
Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde fordert, von einem unabhängigen zweiten
Labor bestätigt werden muss.
Hinzu kommen die unterschiedlichen Interpretationen der
Bundesländer im föderalen System. Muss das Bundesland veröffentlichen, in dem
das Unternehmen seinen Sitz hat oder das, in dem die Produkte verkauft werden?
Auch offen: Die Salmonelle auf der Nudel: Im gekochten
Zustand ist sie kein Problem mehr, wer aber die Nudel ungekocht im trockenen
Zustand knabbert – nutzt er das Lebensmittel dann eigentlich noch im Rahmen
seines „bestimmungsgemäßen Gebrauches“, fragt Dr. Ernst?
„Das Konfliktpotenzial ist groß, so sein Fazit.“ Wer
sich erst im Krisenfall mit dem Thema beschäftigt, komme zu spät. Seine
Empfehlung: Neben einem Risikomanagement brauchen die Unternehmen heut e auch
ein Kommunikationskonzept, dass sie vorher mit den Behörden abstimmen sollen –
damit es im Krisenfall funktioniert.
Verbraucher und Medien
Die Ernährungswirtschaft legt Wert auf richtige
Definitionen. Prof. Dr. Ulrich Nöhle von der TU Braunschweig verwies auf den
Unterschied zwischen Gefahr und Risiko. Die Gefahr ist biologisch, physikalisch
oder chemisch, wenn sie gesundheitsgefährlich wirken kann, wie Glassplitter in
der Marmelade oder eine mikrobiologische Belastung. Das Risiko hingegen
bestimmt die Eintrittswahrscheinlichkeit der Gefahr. So trägt der Metzger
ständig seinen Arbeitshandschuh, während die Verbraucher in der Küche bei der
Fleischzubereitung auf entsprechende Kleidungsstücke verzichten – Die Gefahr
einer Schnittverletzung ist deutlich geringer. Gefahr und Risiko: „Bitte nicht
verwechseln“, so Prof. Nöhle.
So hat er für die Lebensmittelindustrie noch weitere
Definitionen parat: Der Skandal ist die Empörung auf Grund eines Gefühls, die
Krise ein Wendepunkt in einer Entscheidungssituation.
Damit wehrt sich die Branche gegen „Skandalisierungen“
der Medien und Sippenhaft bei den Verbrauchern.
Dr. Michael Lendle, Geschäftsführer von AFC Risk &
Crisis Consult, beklagt, dass mittlerweile auch Fachmedien die Themen aufnehmen
und undifferenziert berichten. Heute gerät ein Produkt in Generalverdacht, weil
es keine Nachhaltigkeitslabel trägt und wenn es eines verwendet, dann schauen
auch die Wettbewerber genauer hin, ob dieses denn auch richtig verwendet wird.
Hinzu kommt, dass Nichtregierungsorganisationen Themen „diktieren“ und plakativ
in der Öffentlichkeit darstellen. Daraus können die Medien eine Geschichte
machen – und die Branche habe das Nachsehen.
Ganz so einfach ist das nicht. Nach Dr. Lendle trägt
die Branche auch eine Mitschuld, dass sie die Hoheit über ihre Themen verloren
hat. „Warum lassen wir zu, dass Tierschutzorganisationen jetzt auch unsere
Ställe zertifizieren“, fragte der Risikomanager [1].
Wie melde ich richtig
Nur wer seine Lieferkette in Ordnung hält, kann auch im
Krisenfall reagieren. Die Unternehmen sollen mit den Behörden abstimmen, welche
Daten sie bis wann zu liefern haben. Manchmal treffen bei den Behörden
20seitige Lieferdaten mit Kundennummern und ohne Postleitzahlen ein. Das
verzögert die Bearbeitung, der Skandal ist da und die Datensammlung spricht
nicht für eine intensive Beschäftigung mit seinen Lieferanten.
Das gilt gerade für globale Warenströme. Wer seine
Lieferanten nicht persönlich kennt, ist vor Überraschungen nicht sicher. Unter
diesem Aspekt sind fehlende Transparenz und Lebensmittelskandale auch
systemimmanent.
Lesestoff:
[1] Tatsächlich hat die Branche ein
Kommunikationsproblem: Auf der BLL-Jahrestagung werden ausführlich defensive
Wahlprüfbausteine vorgestellt, während Frosta den Verbraucherwunsch nach
Transparenz für verarbeitete Produkte flugs umgesetzt hat. „Geschichten“ aus
der Branche, die auch das Interesse der Menschen an modernen Produktionsweisen
wecken, bietet lediglich der Forschungskreis der Ernährungsindustrie FEI aus
Bonn.
Roland Krieg